18.10.2024
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Dokument-Nr. 11082

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Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg Beschluss24.01.2011

Hanseatisches Oberlan­des­gericht hält nachträgliche Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung in so genannten Altfällen für zulässigGericht legt Verfahren wegen abweichender Entscheidungen anderer Oberlan­des­ge­richte dem Bundes­ge­richtshof zur Entscheidung vor

Das Hanseatische Oberlan­des­gericht in Hamburg ist der Auffassung, dass trotz der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Siche­rungs­ver­wahrung in Altfällen nachträglich über zehn Jahre hinaus verlängert werden kann. Aufgrund abweichender Entscheidungen anderer Oberlan­des­ge­richte hat das Gericht das Verfahren dem Bundes­ge­richtshof zur Entscheidung vorgelegt.

In dem zugrunde liegenden Verfahren wendet sich der wegen Totschlags und anderer Gewalt­ver­brechen vorbestrafte 60jährige Beschwer­de­führer gegen die Entscheidung der Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2010, mit der die Fortdauer seiner bereits 1993 angeordneten Sicherungsverwahrung bestimmt wurde. 1993 durfte die Siche­rungs­ver­wahrung für die erste Unterbringung höchstens zehn Jahre dauern. Diese Frist endete, da der Beschwer­de­führer zunächst seine Strafhaft verbüßen musste, am 26. Dezember 2010.

Gericht ordnet Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung aufgrund konkret vorliegender hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt­ver­brechen an

Mit dem am 31. Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten wurde die Höchstdauer der Siche­rungs­ver­wahrung aufgehoben, und zwar auch für die so genannte Altfälle, d.h. solche Fälle, in denen – wie hier - die Siche­rungs­ver­wahrung noch nach der alten Rechtslage angeordnet worden war. Stattdessen wurde für die Fälle anhaltender Gefährlichkeit des Untergebrachten insbesondere in Bezug auf drohende Gewalt- und Sexual­straftaten der unbefristete Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung ermöglicht (§ 67 d Abs. 3 Satz 1 StGB). Auf der Grundlage dieser Regelung ordnete die Straf­voll­stre­ckungs­kammer am 20. Dezember 2010 die Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung für den Beschwer­de­führer an. Das Gericht begründete dies damit, dass konkrete Umstände vorlägen, die eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt­ver­brechen begründeten, wenn der Verurteilte jetzt entlassen würde.

Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss Gesetzgeber vorbehalten bleiben

Die nachträgliche Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung in den Altfällen verstößt allerdings nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, da insbesondere das sog. Rückwir­kungs­verbot verletzt werde. Dennoch ist nach der Auffassung des 3. Strafsenats in diesen Fällen weiterhin eine nachträgliche Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung auf der Grundlage des geltenden Rechts (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StGB) möglich. Die Gerichte seien gehalten, bei der Geset­zes­aus­legung die Europäische Menschen­rechts­kon­vention in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu beachten. Die Grenzen der Auslegung seien hier jedoch angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung erreicht. Selbst ein offenkundiger Verstoß gegen die Menschen­rechts­kon­vention gestatte es nicht, sich über den im Gesetz zum Ausdruck gebrachten eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen. Die Suche nach neuen Geset­zes­lö­sungen oder die Entscheidung, bezüglich der Altfälle zur früheren Rechtslage zurückzukehren, falle, da sie die Grenzen der Geset­zes­aus­legung überschreite, nicht mehr in den Aufgabenbereich der Gerichte. Eine Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müsse daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Gemäß Gerichts­ver­fas­sungs­gesetz besteht Vorlagepflicht zum Bundes­ge­richtshof

Wegen der fortbestehenden höchsten Gefährlichkeit des Beschwer­de­führers für die Allgemeinheit ist die weitere Vollstreckung der Siche­rungs­ver­wahrung nach Auffassung des Senats unerlässlich. Eine abschließende Entscheidung komme jedoch nicht in Betracht, weil andere Oberlan­des­ge­richte in vergleichbaren Fällen entschieden haben, dass aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 die Unterbringung nach zehnjährigem Vollzug beendet werden muss. Für einen solchen Fall der unter­schied­lichen Beurteilung einer Rechtsfrage durch mehrere Oberlan­des­ge­richte sieht das Gerichts­ver­fas­sungs­gesetz eine Vorlagepflicht zum Bundes­ge­richtshof vor.

Quelle: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg/ra-online

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