Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg Beschluss24.01.2011
Hanseatisches Oberlandesgericht hält nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung in so genannten Altfällen für zulässigGericht legt Verfahren wegen abweichender Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor
Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg ist der Auffassung, dass trotz der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Sicherungsverwahrung in Altfällen nachträglich über zehn Jahre hinaus verlängert werden kann. Aufgrund abweichender Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte hat das Gericht das Verfahren dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
In dem zugrunde liegenden Verfahren wendet sich der wegen Totschlags und anderer Gewaltverbrechen vorbestrafte 60jährige Beschwerdeführer gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg vom 20. Dezember 2010, mit der die Fortdauer seiner bereits 1993 angeordneten Sicherungsverwahrung bestimmt wurde. 1993 durfte die Sicherungsverwahrung für die erste Unterbringung höchstens zehn Jahre dauern. Diese Frist endete, da der Beschwerdeführer zunächst seine Strafhaft verbüßen musste, am 26. Dezember 2010.
Gericht ordnet Fortdauer der Sicherungsverwahrung aufgrund konkret vorliegender hochgradiger Gefahr schwerster Gewaltverbrechen an
Mit dem am 31. Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten wurde die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung aufgehoben, und zwar auch für die so genannte Altfälle, d.h. solche Fälle, in denen – wie hier - die Sicherungsverwahrung noch nach der alten Rechtslage angeordnet worden war. Stattdessen wurde für die Fälle anhaltender Gefährlichkeit des Untergebrachten insbesondere in Bezug auf drohende Gewalt- und Sexualstraftaten der unbefristete Vollzug der Sicherungsverwahrung ermöglicht (§ 67 d Abs. 3 Satz 1 StGB). Auf der Grundlage dieser Regelung ordnete die Strafvollstreckungskammer am 20. Dezember 2010 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung für den Beschwerdeführer an. Das Gericht begründete dies damit, dass konkrete Umstände vorlägen, die eine hochgradige Gefahr schwerster Gewaltverbrechen begründeten, wenn der Verurteilte jetzt entlassen würde.
Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte muss Gesetzgeber vorbehalten bleiben
Die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung in den Altfällen verstößt allerdings nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, da insbesondere das sog. Rückwirkungsverbot verletzt werde. Dennoch ist nach der Auffassung des 3. Strafsenats in diesen Fällen weiterhin eine nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des geltenden Rechts (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StGB) möglich. Die Gerichte seien gehalten, bei der Gesetzesauslegung die Europäische Menschenrechtskonvention in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu beachten. Die Grenzen der Auslegung seien hier jedoch angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung erreicht. Selbst ein offenkundiger Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention gestatte es nicht, sich über den im Gesetz zum Ausdruck gebrachten eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegzusetzen. Die Suche nach neuen Gesetzeslösungen oder die Entscheidung, bezüglich der Altfälle zur früheren Rechtslage zurückzukehren, falle, da sie die Grenzen der Gesetzesauslegung überschreite, nicht mehr in den Aufgabenbereich der Gerichte. Eine Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müsse daher dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.
Gemäß Gerichtsverfassungsgesetz besteht Vorlagepflicht zum Bundesgerichtshof
Wegen der fortbestehenden höchsten Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die Allgemeinheit ist die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach Auffassung des Senats unerlässlich. Eine abschließende Entscheidung komme jedoch nicht in Betracht, weil andere Oberlandesgerichte in vergleichbaren Fällen entschieden haben, dass aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 die Unterbringung nach zehnjährigem Vollzug beendet werden muss. Für einen solchen Fall der unterschiedlichen Beurteilung einer Rechtsfrage durch mehrere Oberlandesgerichte sieht das Gerichtsverfassungsgesetz eine Vorlagepflicht zum Bundesgerichtshof vor.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.02.2011
Quelle: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg/ra-online