Der Beschwerdeführer des zugrunde liegenden Falls, Albert Haidn, ist deutscher Staatsbürger, 1934 geboren, und derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus in Bayreuth untergebracht. Albert Haidn wurde im März 1999 vom Landgericht Passau wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Drei Tage vor der vollständigen Verbüßung seiner Strafe, im April 2002, ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth seine Unterbringung im Gefängnis auf unbestimmte Dauer nach dem Bayerischen Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern an, das im Januar 2002 in Kraft getreten war. Das Gericht stützte sich auf psychologische und psychiatrische Sachverständigengutachten und befand, dass von Albert Haidn weiterhin Straftaten zu erwarten seien, da er sich jeglicher Behandlung seiner sexuellen Störung verweigert, während der Haft seine Straftaten abgestritten und somit jegliche therapeutische Maßnahme unmöglich gemacht habe. Aufgrund seiner organischen Persönlichkeitsstörung, die zu einem fortschreitenden Persönlichkeitsabbau führe, sei er nicht mehr in der Lage, sein möglicherweise abweichendes sexuelles Verhalten zu reflektieren und Grenzen zu erkennen. Das Oberlandesgericht Bamberg bestätigte die Entscheidung.
In einem Urteil vom 10. Februar 2004 gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde Albert Haidns gegen den Beschluss teilweise statt. Es befand einstimmig, dass das Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern, ebenso wie ein vergleichbares Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt, mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, da die deutschen Länder keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Straftäterunterbringung hätten. Zugleich entschied das Gericht mit Stimmenmehrheit, dass das Gesetz in einer Übergangszeit bis September 2004 weiter anzuwenden sei, da der Schutz der Öffentlichkeit vor einem Straftäter, von dem nach Meinung mindestens zweier Sachverständiger eine erhebliche Gefahr insbesondere für die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgehe, vorrangig sei.
In der Zwischenzeit setzte das Landgericht Bayreuth, mit Beschluss vom Dezember 2003, die Unterbringung Albert Haidns im Gefängnis zur Bewährung aus. Er wurde in der psychiatrischen Abteilung eines Seniorenheims untergebracht mit der Weisung, das Heim nur mit Erlaubnis seines Betreuers zu verlassen. Im März 2004 widerrief das Landgericht die Aussetzung zur Bewährung, da er mehrfach sexuelle Übergriffe zulasten alter dementer Frauen begangen hatte; er wurde folglich erneut im Gefängnis untergebracht. Im Juli 2004 wurde er auf Anordnung des Gerichts in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.
Mit Urteil vom Juni 2005 ordnete das Landgericht Passau die Sicherungsverwahrung Albert Haidns nach § 66 b des Strafgesetzbuches (StGB) an, einer Bestimmung, die im Juli 2004 in Kraft getreten war und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich machte. Die Sicherungsverwahrung wurde in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil anschließend wieder auf und verwies den Fall an das Landgericht Passau zurück. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem das Landgericht Hof im Juni 2007 wegen der erneuten Taten Albert Haidns im Seniorenheim seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet hatte, einer Bestimmung, die eine solche Unterbringung nach Begehung einer Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit vorsieht.
Albert Haidn beklagte sich, dass seine fortwährende Freiheitsentziehung zu Präventionszwecken nach vollständiger Verbüßung seiner Freiheitsstrafe Artikel 5 § 1 verletze. Weiterhin sah er durch diese Freiheitsentziehung seine Rechte gemäß Artikel 3 (Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung) verletzt.
Die Beschwerde wurde am 14. Februar 2004 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Der Gerichtshof war nicht vom Argument der deutschen Bundesregierung überzeugt, dass die nachträgliche Unterbringung Albert Haidns im Gefängnis zu Präventionszwecken als Freiheitsentzug "nach Verurteilung" durch ein zuständiges Strafgericht im Sinne von Artikel 5 § 1 (a) zulässig sei. In seinem Urteil im Fall M. gegen Deutschland hatte der Gerichtshof klargestellt, dass nur die Verurteilung wegen einer Straftat durch ein Strafgericht als "Verurteilung" im Sinne dieser Bestimmung zu bewerten ist. Im Gegensatz dazu genügt die Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer, die Freiheitsentziehung einer Person fortdauern zu lassen, den Anforderungen einer "Verurteilung" nicht, da sie keine neue Feststellung, dass die betreffende Person einer Straftat schuldig ist, beinhaltet. In Albert Haidns Fall konnte folglich nur das Urteil des Landgerichts Passau vom März 1999, das ihn wegen Vergewaltigung in zwei Fällen schuldig sprach, als "Verurteilung" gelten. In diesem Urteil war seine Unterbringung im Gefängnis zu Präventionszwecken neben der eigentlichen Freiheitsstrafe nicht angeordnet worden und wäre nach der damaligen Rechtslage auch nicht möglich gewesen. Folglich bestand kein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung Albert Haidns und seiner Unterbringung im Gefängnis zu Präventionszwecken.
Diese Unterbringung war darüber hinaus auch nicht nach Artikel 5 § 1 (c) zulässig, um Albert Haidn "an der Begehung einer Straftat zu hindern". Sie war nämlich nicht "zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde" für ein Verfahren wegen potentieller Straftaten angeordnet worden und konnte daher nicht als Untersuchungshaft im Sinne von Artikel 5 gelten. Die potentiellen Straftaten Albert Haidns im Falle seiner Freilassung waren zudem nicht konkret und spezifisch genug, um den Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu genügen. Die deutschen Gerichte hatten sich bei der Anordnung der Unterbringung Albert Haidns im Gefängnis auf unbestimmte Dauer auf objektive medizinische Gutachten gestützt, die zeigten, dass er an einer Persönlichkeitsstörung litt. Dennoch war der Gerichtshof nicht überzeugt, dass die Gerichte eine psychische Krankheit im Sinne von Artikel 5 § 1 (e) festgestellt hatten. Das deutsche Rechtssystem macht einen Unterschied zwischen der Unterbringung gefährlicher Straftäter im Gefängnis zu Präventionszwecken und der Unterbringung psychisch Kranker in einem psychiatrischen Krankenhaus. Albert Haidn war zunächst nicht nach den maßgeblichen Bestimmungen (nach § 63 StGB bzw. dem Bayerischen Unterbringungsgesetz) in einem solchen Krankenhaus untergebracht worden und bis Juli 2004 war er in einem gewöhnlichen Gefängnis untergebracht.
Der Gerichtshof kam daher zu dem Schluss, dass die nachträgliche Unterbringung Albert Haidns im Gefängnis zu Präventionszwecken Artikel 5 § 1 verletzte.
Albert Haidns fortgeschrittenes, aber noch nicht besonders hohes Alter und sein Gesundheitszustand, der im Hinblick auf die Haft nicht als kritisch zu bewerten war, erreichten nicht das Mindestmaß an Schwere, um in den Anwendungsbereich von Artikel 3 zu fallen. Die Umstände, unter denen er nach vollständiger Verbüßung seiner Freiheitsstrafe weiter im Gefängnis untergebracht wurde, mussten bei ihm ein Gefühl der Demütigung und Unsicherheit im Hinblick auf die Zukunft ausgelöst haben, das das mit jeder Freiheitsentziehung verbundene unvermeidliche Leiden übertraf. Da das Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern erst kurz vor der Anordnung seiner weiteren Freiheitsentziehung in Kraft getreten war, konnte den Behörden jedoch nicht vorgeworfen werden, dass sie vorsätzlich darauf abgezielt hatten, ihn zu erniedrigen, indem sie seine weitere Freiheitsentziehung drei Tage vor seiner vorgesehenen Freilassung anordneten. Nach diesem Gesetz mussten die deutschen Gerichte außerdem mindestens alle zwei Jahre überprüfen, ob die Unterbringung der betroffenen Person im Gefängnis noch notwendig war, und sie hatten die Unterbringung Albert Haidns zwischenzeitlich zur Bewährung ausgesetzt.
Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass die Umstände der Anordnung und die Dauer der Haft Albert Haidns zu Präventionszwecken nicht das Mindestmaß an Schwere erreichten, um einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe gleichzukommen. Folglich lag keine Verletzung von Artikel 3 vor.
Albert Haidn reichte keine Forderung nach gerechter Entschädigung nach Artikel 41 in der für seine Stellungnahme in der Sache vorgesehenen Frist ein.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.01.2011
Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte/ra-online