23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.08.2010

"Geräteabgabe" nach dem Urheber­rechts­gesetz: Verletzung der Garantie des gesetzlichen RichtersBundes­ver­fas­sungs­gericht bemängelt fehlende Prüfung einer Vorlage zum Gerichtshof der Europäischen Union

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat ein Urteil des Bundes­ge­richtshofs in Zusammenhang mit der “Geräteabgabe” nach dem Urheber­rechts­gesetz aufgehoben. Das Verfas­sungs­gericht beanstandete die Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da der Bundes­ge­richtshof seiner Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (Art. 267 Abs. 3 AEUV) nicht nachkam.

Nach dem Urheberrecht sind Verviel­fäl­ti­gungen eines Werkes zum eigenen Gebrauch in gewissen Grenzen zulässig. Zum Ausgleich dafür, dass die Hersteller und Importeure von Verviel­fäl­ti­gungs­geräten für die Nutzer die Möglichkeit schaffen, sich fremde Urheber­leis­tungen durch Vervielfältigung anzueignen, haben sie an die Urheber zum Ausgleich eine sog. Geräteabgabe zu leisten. Die bis zum 31.12.2007 geltende Fassung des § 54 a Abs. 1 Urheber­rechts­gesetz (UrhG a.F.) sah eine solche Vergü­tungs­pflicht der Hersteller und Importeure vor, wenn nach der Art des Werkes zu erwarten war, dass es durch Ablichtung eines Werkstücks oder in einem Verfahren vergleichbarer Wirkung vervielfältigt wird.

Sachverhalt

Im hiesigen Rechtsstreit nimmt die Beschwer­de­führerin und Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens die Verwer­tungs­ge­sell­schaft die Urheberrechte von Wortautoren wahr. Die Beklagte des Ausgangs­ver­fahrens importiert und verkauft u.a. Drucker und Plotter. Die Parteien stritten darüber, ob Drucker und Plotter zu den vergü­tungs­pflichtigen Verviel­fäl­ti­gungs­geräten nach § 54 a Abs. 1UrhG a.F. gehören. Die Beschwer­de­führerin nahm die Beklagte auf Auskunft u.a. über die Art und Anzahl der von ihr in Verkehr gebrachten Drucker und Plotter sowie deren Leistung in Anspruch und begehrte zudem die Feststellung einer nach Tarif bestimmten Vergü­tungs­pflicht der Beklagten. Während Landgericht und Oberlan­des­gericht dem Klagebegehren im Wesentlichen stattgaben, verneinte der Bundes­ge­richtshof (BGH, Urteil v. 06.12.2007 - I ZR 94/05 -) die geltend gemachten Ansprüche insbesondere mit der Begründung, dass nach dem seinerzeit anwendbaren Recht nur die Verviel­fäl­tigung von Druckwerken (analogen Vorlagen) der Vergü­tungs­pflicht unterfalle, nicht aber die Verviel­fäl­tigung digitaler Vorlagen. Daher seien Drucker und Plotter auch in Kombination mit anderen Geräten (wie PC und Scanner) nicht vergü­tungs­pflichtig.

Beschwer­de­führerin sieht Verletzung ihres Rechts auf gesetzlichen Richter

Die Beschwer­de­führerin sieht durch diese Entscheidung die von ihr vertretenen Urheber digitaler Druckvorlagen in ihrem gemäß Art. 14 Abs. 1 GG als geistiges Eigentum gewährleisteten Verwer­tungsrecht verletzt. Zudem rügt sie eine Verletzung ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter, weil der Bundes­ge­richtshof vorab dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage hätte vorlegen müssen, ob seine Auslegung des nationalen Urheber­rechts­richtlinie 2001/29/EG zuwiderlaufe. Nach dieser Vorschriften können Mitglieds­s­taaten Beschränkungen hinsichtlich des Verviel­fäl­ti­gungs­rechts der Urheber eines Werkes regeln, so u.a. in Bezug auf Verviel­fäl­ti­gungen mittels "beliebiger fotome­cha­nischer Verfahren" oder "anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung", jedoch unter der Bedingung, dass der Rechtsinhaber einen "gerechten Ausgleich" erhält. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat das Urteil des Bundes­ge­richtshofs aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

Gericht muss Vorlagepflicht nachkommen

Das angegriffene Urteil verstößt wegen Fehlens einer Ausein­an­der­setzung mit der Vorlagepflicht zum Gerichtshof der Europäischen Union ("Gerichtshof") nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss ein nationales letzt­in­sta­nz­liches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemein­schafts­rechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entschei­dungs­er­heblich ist, dass sie bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemein­schafts­rechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht überprüft allerdings nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zustän­dig­keitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV offensichtlich unhaltbar ist. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf die Vertretbarkeit der fachge­richt­lichen Auslegung des für den Streitfall maßgeblichen materiellen Unionsrechts an, sondern auf die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.

Fraglich, ob Urheber digitaler Vorlagen vom Geräteabgabe-System ausgeschlossen werden dürfen

Die angegriffene Entscheidung verstößt gegen die Garantie des gesetzlichen Richters, weil sie schon nicht erkennen lässt, ob sich der Bundes­ge­richtshof überhaupt mit dem europäischen Recht und einer Vorlage an den Gerichtshof ausein­an­der­gesetzt hat. Dabei liegt das Bestehen einer Vorlagepflicht nahe, da vertretbare andere Ansichten zu der vom Bundes­ge­richtshof vertretenen auf der Grundlage der Urheber­rechts­richtlinie keinesfalls ausgeschlossen erscheinen. Es ist fraglich, ob nach Unionsrecht Urheber digitaler Vorlagen vom Genuss eines Geräteabgabe-Systems ausgeschlossen werden dürfen. Denn die Urheber­rechts­richtlinie unterscheidet nicht ausdrücklich zwischen analogen und digitalen Vorlagen. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie und die Erwägungsgründe schließen nicht aus, dass die Richtlinie allein auf das Ergebnis des Verviel­fäl­ti­gungs­vorgangs und nicht auf die Beschaffenheit der Vorlage abstellt. Zur Auslegung der fraglichen Vorschrift der Urheber­rechts­richtlinie existiert weder eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshof noch ist die richtige Anwendung des Unionsrecht offenkundig. Vielmehr ist die Rechtsfrage bereits mit Blick auf das deutsche, ähnlich formulierte Recht höchst umstritten. Zudem gelten in den Mitgliedstaaten unter­schiedliche Regelungen, ob überhaupt und welche Geräte beziehungsweise Medien belastet werden und welchen "gerechten Ausgleich" die Rechtsinhaber erhalten; im Hinblick auf die spanische Regelung ist bereits ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen beim Gerichtshof anhängig. Der Bundes­ge­richtshof wird auch zu prüfen haben, ob nicht bereits die Eigen­tums­ga­rantie nach Art. 14 Abs. 1 GG eine Auslegung des § 54 a UrhG a.F. erfordert, nach welcher dem Klagebegehren der Beschwer­de­führerin stattzugeben ist. Denn in diesem Falle könnte sich eine Vorlage an den Gerichtshof mangels Entschei­dungs­er­heb­lichkeit der Vorlagefrage erübrigen.

Zu den konsti­tu­ie­renden Merkmalen des Urheberrechts als Eigentum im Sinne der Verfassung gehören die grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber im Wege privat­recht­licher Normierung sowie seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können.

Aufgrund rasanter Verbreitung digitaler Daten­spei­cherung könnte Schutzlücke entstehen

Die Argumentation des Bundes­ge­richtshofs, nach der bei Urhebern digitaler Vorlagen jegliche Vergütung entfällt, zieht mildere Mittel, d. h. hier eine Begrenzung der Höhe der Vergütung, nicht in Erwägung. Zudem muss die Auslegung und Anwendung des Urheberrechts trotz der auf diesem Gebiet zahlreichen technischen Neuerungen die Eigentumsrechte der Urheber gewährleisten. Eine restriktive Auslegung von § 54 a UrhG a.F. könnte angesichts der rasanten Verbreitung digitaler Daten­spei­cherung und -verviel­fäl­tigung dazu führen, dass zu Lasten gewisser Urheber eine absolute Schutzlücke entsteht. Bedenken begegnet schließlich die Annahme des Bundes­ge­richtshofs, dass bei digitalen Vorlagen - anders als bei Druckvorlagen - häufig eine Einwilligung des Berechtigten in die Verviel­fäl­tigung vorliege, da derjenige, der Texte und Bilder im Internet frei zugänglich mache, zumindest damit rechnen müsse, dass sie herunterladen und ausgedruckt würden. Diese Annahme lässt offen, warum zum einen den Urhebern in Fällen fehlender Einwilligung keine Vergütung zukommen, zum anderen die unterstellte Einwilligung in die Verviel­fäl­tigung zugleich einen Verzicht auf jegliche Vergütung enthalten soll.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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