Bundesarbeitsgericht Urteil27.09.2022
Fristlose Kündigung wegen Verkaufs von Waren ohne BonierungArbeitnehmer muss zu Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen vortragen
Der Verkauf von Waren ohne Bonierung kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Ist der Vorwurf des Arbeitsgebers nicht völlig aus der Luft gegriffen, hat der Arbeitnehmer Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe vorzutragen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein in einem Gastronomiebetrieb in Hessen tätiger Stationskellner wurde im Dezember 2019 fristlos gekündigt, weil die Arbeitgeberin ihm vorwarf, Speisen und Getränke verkauft zu haben, ohne diese boniert zu haben. Da bemerkt wurde, dass die Kasse des Kellners für eine längere Zeit offen stand, wurde eine Kassenkontrolle durchgeführt, welche eine positive Differenz zwischen Ist- und Soll-Bestand in Höhe von 28,90 € ergab. Gegen die Kündigung richtete sich die Kündigungsschutzklage des Kellners.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht gaben Klage statt
Sowohl das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. als auch das Landesarbeitsgericht Hessen gaben der Kündigungsschutzklage statt. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts habe die Beklagte nicht darlegen können, dass der Kläger die positive Kassendifferenz im Verlauf seiner Schicht absichtlich aufgebaut habe. Denn der Kläger behauptet, die Kassendifferenz sei redlich zustande gekommen. Die Beklagte legte gegen die Entscheidung Revision ein.
Bundesarbeitsgericht hält Darlegung der Arbeitgeberin für ausreichend
Das Bundesarbeitsgericht entschied zu Gunsten der Beklagten. Das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungen der Beklagten überspannt. Zwar müsse der Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses darlegen und beweisen, dass ein Kündigungsgrund vorliegt. Er dürfe sich dabei aber darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung vorzutragen. Er müsse nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Es sei vielmehr Sache des Arbeitnehmers. Für das Eingreifen solcher Gründe zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablauf steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. So liege der Fall hier.
Vorliegen eines berechtigten Vorwurfs der Arbeitgeberin
Nachdem der Vorwurf der Beklagten nicht völlig aus der Luft gegriffen war und sich auch keine redlichen Gründe für die Entstehung der Kassendifferenz unmittelbar aufdrängten, sei nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts der Kläger gehalten gewesen, im Rahmen einer sekundären Darlegungslast die ihm zumutbaren Angaben zu dem von ihm angenommenen redlichen Zustandekommen des Kassenüberschusses zu machen.
Verkauf von Waren ohne Bonierung kann fristlose Kündigung rechtfertigen
Das Bundesarbeitsgericht verwies darauf, dass der Verkauf von Waren ohne Bonierung an sich einen Grund für eine fristlose Kündigung darstelle. Denn mit der fehlenden Erfassung der vereinnahmten Beträge im Kassensystem werde das Vermögen des Arbeitgebers gefährdet und das Vertrauen in die Redlichkeit des Mitarbeiters erschüttert. Dies gelte unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.07.2025
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)