03.12.2024
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Arbeitsgericht Siegen Urteil14.01.2010

Stromklau: Kündigung wegen Aufladens eines Elektro-Rollers im Büro unwirksamKeine Bagatell­kün­digung bei langjährigem Mitarbeiter

Das Arbeitsgericht Siegen erklärte die Kündigung eines Arbeitnehmers, der sich am Strom seines Arbeitsgebers bediente, für unwirksam. Schaden: 1,8 Cent.

Im zugrunde liegenden Fall arbeitete ein 1969 geborener Angestellter (Kläger) in einer Firma als Netzwerk­ad­mi­nis­trator. Er hatte in der Firma seine Ausbildung gemacht und war dort seit dem 1.8.1990 beschäftigt.

Arbeitnehmer lädt Elektroroller am Stromnetz des Arbeitgebers auf

Im Mai 2009 hatte sich der Kläger für einige Tage einen Elektroroller ("Segway") gemietet. Am Freitag, den 15.05.2009 fuhr der Kläger mit diesem Elektroroller zur Arbeit in den Betrieb. In der Zeit zwischen ca. 9.30 Uhr und ca. 9.45 Uhr schloss er diesen Roller im Vorraum zum Rechenzentrum an eine Steckdose an, um den Akku aufzuladen. Der Vorgesetze des Klägers bemerkte den Roller und forderte ihn auf, den Roller zu entfernen: "Ist ihnen das Ding? Tun sie das weg, bevor der Chef das sieht!" Er fragte den Kläger, ob er, der Kläger das richtig fände, sein Privatgefährt heimlich auf Kosten des Arbeitgebers zu laden. Zu dieser Zeit gegen 10.00 Uhr führte der Kläger gerade ein Telefonat mit einem Außen­dienst­mi­t­a­r­beiter. Trotz der Aufforderung des Vorgesetzten nahm der Kläger den Elektroroller nicht vom Stromnetz sondern, setzte das Telefonat fort. Erst als der Vorgesetzte gegen 11.00 Uhr den Kläger erneut aufforderte, beendete der Kläger das Telefonat und nahm den Roller vom Netz.

Ladevorgang verursacht Stromkosten von ca. 1,8 Cent

Der Elektroroller befand sich ca. 1,5 Stunden am Stromnetz der Firma. Nach Angaben des Herstellers dauert ein Ladevorgang ca.1,5 Stunden und verbraucht das Gerät bei einem Ladevorgang von 8 Stunden ca. 1 KW Strom. Bei Industriekosten von 10 Cent je Kilowattstunde verbrauchte der Roller in dieser Zeit damit Stromkosten im Wert von ca. 1,8 Cent.

Fristlose Kündigung

Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer wegen dieses Vorfalls fristlos. Der Arbeitnehmer habe zum Nachteil und auf Kosten der Firma heimlich seinen privaten Elektroroller aufgeladen. Dabei habe der Angestellte mit "hoher krimineller Energie" gehandelt, weil er den Roller so positioniert habe, dass man zunächst annehmen musste, der Roller sei nur geparkt worden, um ihn z.B. vor Diebstahl zu schützen. Der Arbeitnehmer habe das von der Steckdose zum Roller führende Kabel sorgfältig versteckt, behauptete der Arbeitgeber.

Arbeitsgericht: Kündigung ist unwirksam

Der Arbeitnehmer klagte gegen die fristlose Kündigung. Das Arbeitsgericht Siegen gab ihm Recht. Die Kündigung sei unwirksam.

Arbeitsgericht: Wichtiger Kündigungsgrund liegt vor

Zwar würde an sich ein wichtiger Grund für eine außer­or­dentliche Kündigung vorliegen; jedoch führe eine Inter­es­se­n­ab­wägung unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalles dazu, dass dem Interesse des Klägers am Erhalt des Arbeitsplatzes der Vorrang gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses einzuräumen sei.

Straftatbestand "Entziehung elektrischer Energie" verwirklicht

Indem der Kläger den Akku seines Elektrorollers an der Steckdose aufgeladen habe, habe er den Tatbestand des § 248 c StGB (Entziehung elektrische Energie) und damit ein Vermögensdelikt zum Nachteil des Arbeitgebers verwirklicht, führte das Gericht aus.

Kündigung grundsätzlich auch bei Bagatelle möglich

Vermö­gens­delikte zulasten des Arbeitgebers stellten auch wenn sie nur Sachen von geringem Wert beträfen einen wichtigen Kündigungsgrund dar (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. BAG, Urteil v. 11.12.2003 - 2 AZR 36/03 -; BAG, Urteil v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 -).

Inter­es­se­n­ab­wägung fällt zugunsten des Arbeitnehmers aus

Das Gericht stellte im Rahmen der Inter­es­se­n­ab­wägung fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung fast 19 Jahre beanstan­dungsfrei im Betrieb gearbeitet hatte. Auch dass er verheiratet ist und einem Kind gegenüber unter­halts­pflichtig ist, sei zu beachten. Der beim Arbeitgeber eingetretene Schaden sei mit 1,8 Cent "hart an der Grenze des Messbaren". Ein geringerer Schaden sei kaum denkbar, führte das Gericht aus. Auch eine Wieder­ho­lungs­gefahr sei nicht anzunehmen, weil der Elektroroller lediglich gemietet war und zwischen­zeitlich bereits wieder zurückgegeben worden sei.

Dass der Kläger heimlich und mit krimineller Energie vorgegangen sei, konnte das Gericht nicht sehen. Der Kläger habe sein gesamtes Berufsleben bei der Firma verbracht und sich eine vertrauensvolle Position erarbeitet. Die ihm vorzuwerfende einmalige Verfehlung könne nicht dazu führen, dass der Kläger seine gesamte berufliche Existenz verliere, urteilte das Gericht.

Quelle: ra-online, Arbeitsgericht Siegen (vt/pt)

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