21.11.2024
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Dokument-Nr. 8717

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Urteil17.05.1984Bundesarbeitsgericht2 AZR 3/83
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DB 1984, 2702Zeitschrift: Der Betrieb (DB), Jahrgang: 1984, Seite: 2702
  • NJW 1985, 284Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1985, Seite: 284
  • NZA 1985, 91Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 1985, Seite: 91
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ergänzende Informationen

Bundesarbeitsgericht Urteil17.05.1984

Bienenstich-Fall: Verkäuferin, die ein Stück Bienenstich im Wert von wenigen Cent verzehrt, kann fristlos gekündigt werdenVertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer ist gestört - Fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung möglich

Eine Verkäuferin, die ein Stück Bienenstich im Wert von rund 30 Cent (60 Pfennig) verzehrt, kann fristlos gekündigt werden. Eine vorherige Abmahnung ist nicht erforderlich. Allerdings kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­a­r­beits­ge­richts hervor.

Die Veröf­fent­lichung dieser Entscheidung erfolgt in der Reihe "historische Urteile". Das hier besprochene Urteil ist als "Bienenstich-Urteil" in die Rechts­ge­schichte eingegangen.

Sachverhalt

Eine Verkäuferin wandte sich vor dem Bundes­a­r­beits­gericht gegen ihre fristlose Kündigung. Sie war seit Dezember 1980 in einem Essener Warenhaus als Buffetkraft für einen Monatslohn von 1.705,-- DM brutto angestellt. Am 29. März 1982 wurde die Klägerin von einer Kontroll­ver­käuferin beobachtet, wie sie ohne Bezahlung ein Stück Bienen­stich­kuchen aus dem Warenbestand nahm und hinter der Bedienungstheke verzehrte. Nach Anhörung und Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen und hilfsweise zur fristgemäßen Kündigung kündigte das Waren­haus­un­ter­nehmen wegen dieses Vorfalls das Arbeits­ver­hältnis am 2. April 1982 fristlos.

Verkäuferin: Fristlose Kündigung ist nicht gerechtfertigt

Die Verkäuferin klagte gegen ihre Kündigung. Sie trug vor, sie habe sich an dem fraglichen Tage nicht wohl gefühlt. Bis zum Nachmittag habe sie deshalb kein Essen zu sich nehmen können. Als es ihr dann besser gegangen sei, habe sie, um ihren größten Hunger zu stillen, ein Stück Bienenstich verzehrt. Dieses Verhalten sei zwar nicht ordnungsgemäß gewesen, gleichwohl halte sie die fristlose Kündigung für nicht gerechtfertigt.

Landes­a­r­beits­gericht: Vor fristloser Kündigung hätte eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen

Die erste Instanz sah die vom Arbeitgeber ausgesprochene außer­or­dentliche Kündigung als unwirksam an. Die zweite Instanz (Landes­a­r­beits­gericht) deutete auf Antrag des Warenhauses die fristlose Kündigung in eine fristgemäße Kündigung um und hob das Arbeits­ver­hältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1.200,-- DM auf. Das Landes­a­r­beits­gericht meinte, dass der Verkäuferin das Unrecht ihres Handelns "kaum bewußt" gewesen sei. Der einmalige Vorfall und die geringfügige Schädigung des Arbeitgebers könnten ohne eindringliche Abmahnung für den Wieder­ho­lungsfall nicht zu der schwerwiegenden Folge des Arbeits­platz­ver­lustes führen.

Beide Seiten legten beim Bundes­a­r­beits­gericht Revision ein

Beide, die Verkäuferin und der Arbeitgeber legten beim Bundes­a­r­beits­gericht Revision ein. Die Verkäuferin wandte sich gegen die Auflösung ihres Arbeits­ver­hält­nisses und der Arbeitgeber verlangte Klageabweisung (Festhalten an der fristlosen Kündigung) .

Bundes­a­r­beits­gericht: Fristlose Kündigung auch bei Aneignung einer Sache von geringem Wert grundsätzlich möglich

Das Urteil des Landes­a­r­beits­ge­richts hatte vor dem Bundes­a­r­beits­gericht keinen Bestand. Die Richter beriefen sich auf ein Urteil von 1958. Im Urteil vom 24. März 1958 - 2 AZR 587/55 - (AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) hatte das Bundes­a­r­beits­gericht den gegenüber einer Kassiererin bestehenden schwerwiegenden Verdacht, einen Betrag in Höhe von 1,-- DM weniger gebont und entwendet zu haben, als einen Sachverhalt anerkannt, der, von den Besonderheiten des Einzelfalles abgesehen, geeignet sei, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. An der im Urteil vom 24. März 1958 zugrunde liegenden Ansicht, dass auch die Entwendung von im Eigentum des Arbeitgebers stehenden geringwertigen Sachen an sich geeignet sei, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und es somit immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankomme, ob ein solches Verhalten die fristlose Kündigung rechtfertige, sei festzuhalten, führte das Gericht aus.

Diebstahl einer anvertrauten Sache

Die Richter machten deutlich, dass es einen erheblichen Unterschied gäbe zwischen einem Diebstahl von Arbeit­ge­be­rei­gentum im Allgemeinen und einem Diebstahl von Waren, die dem betreffenden Arbeitnehmer speziell anvertraut wurden. So sei etwa die Entwendung einer Zigarette aus einer Besucher­schatulle des Arbeitgebers durch einen Arbeitnehmer anders zu beurteilen als die Entwendung einer gleichwertigen Ware durch einen Arbeitnehmer, dem sie - als Verkäufer, Lagerist oder Auslie­fe­rungs­fahrer - gerade auch zur Obhut anvertraut sei. Objektive Kriterien für eine allein am Wert des entwendeten Gegenstandes ausgerichtete Abgrenzung in ein für eine außer­or­dentliche Kündigung grundsätzlich geeignetes und nicht geeignetes Verhalten ließen sich nicht aufstellen.

Unrechts­be­wusstsein der Verkäuferin

Ebenfalls entscheidend sei das subjektive Unrechts­be­wusstsein des betreffenden Arbeitnehmers. Dieses hatte das Landes­a­r­beits­gericht verneint, obwohl die Mitarbeiterin offen eingeräumt hatte, dass sie durchaus gewusst habe, dass es sich hier um einen Diebstahl gehandelt habe. Diese Schutzhaltung des Landes­a­r­beits­ge­richts wurde vom Bundes­a­r­beits­gericht als schwerer Verfah­rens­verstoß angesehen und das Urteil deshalb aufgehoben.

Vertrauensbruch - Abmahnung nicht erforderlich

Da es sich vorliegend um eine Störung im Vertrau­ens­bereich handelt, ist eine vorherige Abmahnung als Teil des Kündi­gungs­grundes nur dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen, etwa aufgrund einer unklaren Regelung oder Anweisung, annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeits­ver­hält­nisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.

Quelle: ra-online (pt)

der Leitsatz

Auch die rechtswidrige und schuldhafte Entwendung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache von geringem Wert durch den Arbeitnehmer ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außer­or­dent­lichen Kündigung abzugeben. Ob ein solches Verhalten ausreicht, eine außer­or­dentliche Kündigung zu rechtfertigen, hängt von der unter Berück­sich­tigung der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmenden Inter­es­se­n­ab­wägung ab (Bestätigung des Senatsurteils vom 24. März 1958 - 2 AZR 587/55 = AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

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