18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil06.09.2016

Rundfunk­beiträge: Drittelbeitrag für Schwer­be­hinderte verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandenRundfunk­bei­trags­staats­vertrag formell und materiell verfas­sungsgemäß

Die Berufung eines schwer­be­hin­derten Klägers gegen das vorinstanzliche Urteil, mit dem dessen Klage gegen seine Heranziehung zu Rundfunk­bei­trägen durch den Südwestrundfunk abgewiesen worden war, wurde nunmehr zurückgewiesen. Dies hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg in seiner Entscheidung bekanntgegeben.

Im hier zugrun­de­lie­genden Rechtsstreit war der Kläger unter der Geltung des früheren Rundfunk­ge­büh­ren­staats­vertrags (RGebStV) aufgrund seiner Schwerbehinderung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 RGebStV von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht befreit gewesen. In seinem Schwer­be­hin­der­te­n­ausweis findet sich ein entsprechender Eintrag („RF“). § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 RGebStV bestimmte, dass behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 von Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, auf Antrag von der Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht befreit werden.

Rundfunk­bei­trags­staats­vertrag sieht lediglich Ermäßigung statt Befreiung vor

Der zum 01.01.2013 in Kraft getretene Rundfunk­bei­trags­staats­vertrag (RBStV) sieht in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RBStV demgegenüber unter diesen Voraussetzungen nur noch eine Ermäßigung des Rundfunk­beitrags auf ein Drittel des regulären Beitrags vor. Der Beklagte hatte daraufhin gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 01.09.2013 für die Monate Januar bis Juni 2013 auf ein Drittel ermäßigte Rundfunk­beiträge in Höhe von 35,94 € festgesetzt. Nach Zurückweisung eines hiergegen gerichteten Widerspruchs durch den Beklagten hatte der Kläger Klage vor dem Verwal­tungs­gericht erhoben. Diese war mit Urteil vom 01.10.2014 abgewiesen worden.

Kläger macht Anspruch auf Nachteils­aus­gleich geltend

Der Kläger machte mit der hiergegen gerichteten Berufung vor dem VGH geltend, die Beitrags­er­mä­ßigung sei unzureichend, weil er als Schwerbehinderter einen Anspruch auf Nachteils­aus­gleich habe und deshalb eine Befreiung von jeglicher Beitragszahlung geboten sei. Außerdem bestehe ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der Befreiung von Rundfunkabgaben.

Auch nach Vorschriften des Schwer­be­hin­der­ten­rechts kein Anspruch auf Beitrags­be­freiung

Der Verwal­tungs­ge­richtshof ist den Argumenten des Klägers nicht gefolgt und hat zur Begründung ausgeführt: Der Kläger könne - über die ihm nach den Regelungen des RBStV gewährte Beitrags­er­mä­ßigung hinaus - keine vollständige Beitrags­be­freiung beanspruchen. Seine an die Rundfunk­ge­büh­ren­pflicht nach dem RGebStV anknüpfende Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 RGebStV sei mit dem Inkrafttreten des RBStV gegenstandslos geworden, zumal der Gesetzgeber (in § 14 Abs. 7 RBStV) eine Fortgeltung der nach früherem Recht ergangenen Rundfunk­ge­büh­ren­be­frei­ungs­be­scheide als Rundfunk­bei­trags­be­frei­ungs­be­scheide ausdrücklich nicht angeordnet habe. Entgegen seiner Rechts­auf­fassung könne der Kläger auch über Vorschriften des Schwer­be­hin­der­ten­rechts (§ 69 Abs. 5 SGB IX, § 1 und 3 Schwer­be­hin­der­te­n­aus­weis­ver­ordnung) keine vollständige Beitrags­be­freiung erlangen, denn diese Normen regelten lediglich, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Inhalt ein Schwer­be­hin­der­te­n­ausweis als "Nachweis" für die Inanspruchnahme nach "anderen Vorschriften" gewährter Leistungen und Hilfen ausgestellt werden könne. Einen materi­ell­recht­lichen Anspruch auf solche Leistungen und Hilfen gewährten die genannten schwer­be­hin­der­ten­recht­lichen Normen selbst aber nicht. Auch aus § 126 SGB IX, welcher den Nachteils­aus­gleich schwer­be­hin­derter Menschen betreffe, folge kein Anspruch des Einzelnen auf Rundfunk­bei­trags­be­freiung. Denn diese Vorschrift wende sich ausschließlich an den Gesetzgeber und gebe diesem auf, bei der Ausgestaltung des Nachteils­aus­gleichs nicht an die Ursache der Behinderung anzuknüpfen, was bei der Ausgestaltung des § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV nicht geschehen sei.

Auch mit Behinderung Empfang von Rundfunk­an­geboten möglich

Im Übrigen sei der Rundfunk­bei­trags­staats­vertrag in allen seinen Teilen formell und materiell verfas­sungsgemäß. Insbesondere lasse sich nicht feststellen, dass die Bestimmungen des RBStV behinderte Menschen in verfas­sungs­rechtlich unzulässiger Weise (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) benachteiligten. Bei der Ausgestaltung des § 4 RBStV und der Entscheidung, Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV einen Drittelbeitrag abzuverlangen, habe sich der Gesetzgeber von der nachvoll­ziehbaren Überlegung leiten lassen, dass eine Behinderung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1-3 RBStV - und damit auch im Falle des Klägers - für sich genommen nicht den Empfang jeglicher Rundfunk­an­gebote für die betreffenden Menschen ausschließe und dieser Personenkreis daher an der Finanzierung des Rundfunk­an­gebots "angemessen" zu beteiligen sei. Dem Fall, dass ein Behinderter überhaupt keine Möglichkeit habe, das Programmangebot zu nutzen und demgemäß auch keinen beitrags­re­le­vanten Vorteil ziehe, habe der Gesetzgeber andererseits durch Einführung der in § 4 Abs. 1 Nr. 10 RBStV vorgesehenen Befrei­ungs­mög­lichkeit und durch die Härte­fa­ll­re­gelung des § 4 Abs. 6 RBStV Rechnung getragen.

Kein Verstoß gegen verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz des Vertrau­ens­schutzes

Dem Gesetzgeber sei dadurch, dass er behinderte Menschen nicht generell von der Rundfunk­bei­trags­pflicht befreit und diesem Personenkreis auch keine über die Drittels­re­gelung des § 4 Abs. 2 RBStV hinausgehende Beitrags­er­mä­ßigung zugesprochen habe, ferner kein Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verankerten Förderauftrag unterlaufen. Zwar verlangte dieses Grundrecht vom Staat, dass dieser auf eine gleich­be­rechtigte Teilhabe behinderter Menschen und den Abbau von Benach­tei­li­gungen in der Gesellschaft hinwirke. Bei der Umsetzung dessen komme ihm aber ein weiter Ausge­stal­tungs­spielraum zu, der bei der diffe­ren­zie­renden Ausgestaltung des § 4 RBStV nicht verletzt worden sei. Die Heranziehung des in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RBStV genannten Personenkreises - und damit des Klägers - zu einem Drittelbeitrag verstoße schließlich nicht gegen den verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz des Vertrau­ens­schutzes. Denn der Drittelbeitrag werde nur für Zeiträume ab dem 01.01.2013 geschuldet. Spätestens mit dem endgültigen Beschluss des Landtages von Baden-Württemberg vom 12.10.2011 über den Rundfunk­bei­trags­staats­vertrag habe der Kläger mit dem Inkrafttreten der Neuregelung - anstatt der bisher geltenden vollständigen Rundfunkgebührenbefreiung - rechnen müssen. Die bloße Erwartung, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, genieße ohnehin keinen besonderen verfas­sungs­recht­lichen Schutz.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ ra-online

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