21.11.2024
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Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Beschluss15.07.2013

Studienrat muss vom Land Hessen über die gesetzliche Altersgrenze hinaus beschäftigt werdenAllgemeine Regel­al­ters­grenze nach § 50 des Hessischen Beamtengesetz steht im Widerspruch zur EU-Richtlinie

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass das Land Hessen einen Studienrat über die gesetzliche Altersgrenze hinaus beschäftigen muss. Das Verwal­tungs­gericht berief sich in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die in einer verweigerten Weiter­be­schäf­tigung ohne sachliche Gründe eine Diskriminierung aufgrund des Alters sieht.

Der Antragsteller des zugrunde liegenden Falls ist Studienrat, der aufgrund der Vollendung seines 65. Lebensjahres zum 31. Juli 2013 in den Ruhestand treten würde. Im Dezember 2012 hatte er beim Hessischen Kultus­mi­nis­terium (Antragsgegner) beantragt, den Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr hinaus­zu­schieben. Das Hessische Kultus­mi­nis­terium lehnte den Antrag im Mai 2013 ab. Der Studienrat hat daraufhin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Unionsrechtlich garantierter Schutz vor Diskri­mi­nie­rungen wegen des Alters vorliegend verletzt

Das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main hat das Hessische Kultus­mi­nis­terium im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Studienrat über den 1. August 2013 hinaus längstens bis zum 31. Juli 2014 zu beschäftigen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der unionsrechtlich garantierte Schutz des Einzelnen davor durch einen EU-Mitgliedsstaat wegen seines Lebensalters nicht diskriminiert zu werden, vorliegend verletzt sei. Der Anspruch des Studienrates, weiterhin im aktiven Beamten­ver­hältnis beschäftigt zu werden, beruhe auf der Nicht­an­wend­barkeit der allgemeinen Regel­al­ters­grenze nach § 50 Hessisches Beamtengesetz (HGB). Diese Regelung sei vorliegend nicht anwendbar, weil sie in Widerspruch zur hier einschlägigen, höherrangigen und unmittelbar Gültigkeit beanspruchenden Richtlinie 2000/78/EG stehe.

Ungleich­be­handlung aufgrund des Alters unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt

Nach § 6 Abs. 1 dieser RL seien Ungleich­be­hand­lungen wegen des Alters – eine solche liege beim Ruhestand­seintritt infolge des Erreichens einer allgemeinen Altersgrenze unstreitig vor – gerechtfertigt, sofern sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele aus den Bereichen Beschäf­ti­gungs­politik und Arbeitsmarkt angemessen und erforderlich sei. In Anwendung dieser Bestimmung habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass die RL 2000/78/EG einem Gesetz wie § 50 HBG, das die zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsehe, nicht entgegenstehe, wenn es im dienstlichen Interesse liege, sofern dieses Gesetz zum Ziel habe, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung von jüngeren Berufs­an­ge­hörigen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit Rechtss­trei­tig­keiten über die Fähigkeit des Beschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen, und es die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermögliche.

Erkenntnisse über Angemessenheit und Erfor­der­lichkeit einer allgemeinen Altersgrenze liegen für Berufsgruppe der Lehrer nicht vor

Zwar könne seit der Verkündung des 2. Gesetzes zur Modernisierung des Dienstrechts in Hessen vom 27. Mai 2013 ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Ziele vom Antragsgegner verfolgt würden. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei die Angemessenheit und Erfor­der­lichkeit einer allgemeinen Altersgrenze aber nur nachgewiesen, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel nicht unvernünftig erscheine und auf Beweismittel gestützt werde, deren Beweiskraft das nationale Gericht zu beurteilen habe. Für die Berufsgruppe der Lehrer lägen aber dahingehende Erkenntnisse nicht vor. Es wäre vorliegend notwendig gewesen, dass der Gesetzgeber eine auf Tatsachen basierende Prognose über den Anteil derjenigen Lehrer und Lehrerinnen getroffen hätte, die vorzeitig in den Ruhestand treten, die mit der Regel­al­ters­grenze in den Ruhestand treten und die gegebenenfalls über die Altersgrenze hinaus tätig sein wollten, um eine vernünftige, die wider­strei­tenden Interessen zum Ausgleich bringende Regelung über den Ruhestand­seintritt von Angehörigen dieser Berufsgruppe treffen zu können.

Hessischer Landes­ge­setzgeber bringt keine Beweise für Notwendigkeit der Altersgrenze

Der hessische Landes­ge­setzgeber habe aber von dem ihm insoweit eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht, denn er habe es überhaupt nicht ausgeübt. Er habe seine Entscheidung über die Notwendigkeit der Beibehaltung einer allgemeinen Altersgrenze auch nicht auf Tatsachen – also Beweismittel im Sinne der Rechtsprechung des EuGH – gestützt, die es dem Gericht ermöglichten, die ihm obliegende Überprüfung der Angemessenheit und Notwendigkeit dieser Maßnahme positiv festzustellen. Es liege auch nicht auf der Hand, dass für jede Berufsgruppe und in jeder denkbaren Konstellation eine allgemeine Altersgrenze die einzige Möglichkeit sei, dem Ziel einer Arbeitsteilung zwischen den Generationen gerecht zu werden. Das Fehlen solcher Angaben gehe zu Lasten des insoweit beweis­pflichtigen Antragsgegners, denn das erkennende Gericht, dass die der gesetz­ge­be­rischen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen habe, habe keine Veranlassung zu der Annahme, den gesetz­ge­be­rischen Erwägungen liege gleichsam unausgesprochen eine Tatsachenbasis zugrunde, die eine allgemeine Regel­al­ters­grenze für die hier in Rede stehende Berufsgruppe der Lehrer als einzigen Weg erschienen ließe, um das Ziel einer Arbeitsteilung zwischen den Generationen zu erreichen.

Quelle: Verwaltungsgericht Frankfurt am Main/ra-online

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