23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil12.10.2010

EuGH: Deutsche Regelung zur Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses bei Erreichen des Rentenalters verstößt nicht gegen EU-RichtlinieUngleich­be­handlung wegen des Alters zulässig und im Rahmen des nationalen Rechts gerechtfertigt

Die automatische Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten ist nicht notwendig diskriminierend. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

In Deutschland ergibt sich aus dem Allgemeinen Gleich­be­hand­lungs­gesetz, dass Klauseln, nach denen das Arbeits­ver­hältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, dem Verbot von Diskri­mi­nie­rungen wegen des Alters entzogen sein können. Nach deutschem Recht ist es den Sozialpartnern erlaubt, solche Klauseln in Tarifverträgen vorzusehen.

Klägerin sieht in Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses Diskriminierung wegen des Alters

Die klagende Arbeitnehmerin war beruflich 39 Jahre lang mit Tätigkeiten der Gebäu­de­r­ei­nigung befasst. Ihr Arbeits­ver­hältnis endet im Einklang mit dem geltenden Tarifvertrag für das Gebäu­de­r­ei­ni­gungs­gewerbe mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie Anspruch auf eine Altersrente hat, spätestens mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet. Als die Arbeitnehmerin das Rentenalter von 65 Jahren erreichte, wurde ihr von ihrem Arbeitgeber mitgeteilt, dass ihr Arbeits­ver­hältnis damit ende. Hiergegen erhob die Frau Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg, das den Gerichtshof um eine Vorab­ent­scheidung ersucht hat. Sie macht geltend, dass die Beendigung ihres Arbeits­ver­hält­nisses eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle.

Arbeitsgericht erbittet Stellungnahme des EuGH zu möglichem Verstoß gegen EU-Richtlinie

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die automatische Beendigung eines Arbeits­ver­hält­nisses bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gegen das in der Richtlinie 2000/78/EG1 niedergelegte Verbot von Diskri­mi­nie­rungen wegen des Alters verstößt.

Automatisch bei Erreichen des Rentenalters endendes Arbeits­ver­hältnis, stellt unmittelbar auf Alter beruhende Ungleich­be­handlung dar, die dennoch gerechtfertigt sein kann

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass eine Klausel, nach der das Arbeits­ver­hältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleich­be­handlung darstellt. Der Gerichtshof hat weiter geprüft, ob diese Ungleich­be­handlung als gerechtfertigt angesehen werden kann.

Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass mit einer solchen Klausel keine zwingende Regelung des Eintritts in den Ruhestand eingeführt wird, sondern dass sie eine Art und Weise der Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses wegen Erreichens des Rentenalters unabhängig von einer Kündigung zum Inhalt hat.

Hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Ziels führt der Gerichtshof aus, dass der in Frage stehende Mechanismus auf einem Ausgleich zwischen politischen, wirtschaft­lichen, sozialen, demografischen und/oder haushalts­be­zogenen Erwägungen beruht und von der Entscheidung abhängt, die Lebens­a­r­beitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder, im Gegenteil, deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen.

Automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen seit Langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass derartige Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen seit Langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und in den Beziehungen des Arbeitslebens weithin üblich sind. Da sie den Arbeitnehmern eine gewisse Stabilität der Beschäftigung bieten und langfristig einen vorhersehbaren Eintritt in den Ruhestand verheißen, während sie gleichzeitig den Arbeitgebern eine gewisse Flexibilität in ihrer Personalplanung bieten, sind diese Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, der sich in einen komplexen Kontext von Beziehungen des Arbeitslebens einfügt und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft ist. Diese Ziele sind grundsätzlich als solche anzusehen, die eine von den Mitgliedstaaten vorgesehene Ungleich­be­handlung wegen des Alters im Sinne der Richtlinie 2000/78 als „objektiv und angemessen“ erscheinen lassen und „im Rahmen des nationalen Rechts“ rechtfertigen.

Klauseln über automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen im Hinblick auf damit verfolgte Ziele angemessen und erforderlich

Dem Urteil des Gerichtshofs zufolge erscheint es daher nicht unvernünftig, wenn die Stellen eines Mitgliedstaats oder die Sozialpartner in diesem Staat annehmen, dass solche Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen angemessen und erforderlich sein können, um diese legitimen Ziele zu erreichen. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass die im Fall der Angestellten anwendbare Klausel zum einen nicht nur auf ein bestimmtes Alter abstellt, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugutekommt, und zum anderen die Arbeitgeber nicht zur einseitigen Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses ermächtigt. Überdies eröffnet die tarif­ver­tragliche Grundlage die Möglichkeit, von diesem Mechanismus mit nicht unerheblicher Flexibilität Gebrauch zu machen, so dass die Sozialpartner die Gesamtlage des Arbeitsmarkts und die speziellen Merkmale der jeweiligen Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse berücksichtigen können. Die fragliche deutsche Regelung enthält zudem eine zusätzliche Beschränkung, da sie die Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitnehmer zu jeder Klausel einzuholen oder sich bestätigen zu lassen, nach der das Arbeits­ver­hältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte ein Alter erreicht hat, in dem er eine Rente beantragen kann, das aber unter der Regel­al­ters­grenze liegt. Schließlich betont der Gerichtshof, dass nach dem deutschen Recht einer Person, die nach Erreichen des Rentenalters eine Berufstätigkeit fortführen möchte, eine Beschäftigung nicht aus einem Grund verweigert werden darf, der mit ihrem Alter zusammenhängt.

Richtlinie steht nationaler Regelung nicht entgegen

Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 2000/78 einer Klausel über die automatische Beendigung von Arbeits­ver­hält­nissen bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten, wie sie in Deutschland der Rahmen­ta­rif­vertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäu­de­r­ei­nigung vorsieht, nicht entgegensteht.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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