21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.10.2007

EuGH: Altersgrenzen im Tarifvertrag können zulässig seinZwangsruhestand mit 65 Jahren ist gerechtfertigt, wenn dadurch die Arbeits­lo­sigkeit eingedämmt werden soll

Das aus dem allgemeinen Kontext einer nationalen Regelung abgeleitete Ziel, über eine bessere Beschäf­ti­gungs­ver­teilung zwischen den Generationen den Beschäf­ti­gungs­zugang zu fördern, kann grundsätzlich als eine "im Rahmen des nationalen Rechts" "objektive und angemessene" Rechtfertigung für eine von den Mitgliedstaaten angeordnete Ungleich­be­handlung wegen des Alters angesehen werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Eine Richtlinie aus dem Jahr 2000 bezweckt die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung bestimmter Formen der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, zu denen auch die Diskriminierung wegen des Alters gehört. Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung stellt grundsätzlich eine vom Gemein­schaftsrecht verbotene Diskriminierung dar. Die Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch, eine solche Ungleich­be­handlung vorzusehen und diese als nicht diskriminierend einzustufen, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäf­ti­gungs­politik und Arbeitsmarkt zu verstehen sind. Zudem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein.

Zwangs­ver­setzung in den Ruhestand mit 65 Jahren

Die spanische Regelung erklärt in Tarifverträgen enthaltene Klauseln über die Zwangs­ver­setzung in den Ruhestand für gültig, in denen als Voraussetzung lediglich verlangt wird, dass der Arbeitnehmer die - auf 65 Jahre festgesetzte - Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat und die übrigen sozia­l­ver­si­che­rungs­recht­lichen Voraussetzungen für den Bezug einer beitrags­be­zogenen Altersrente erfüllt.

Herr Palacios de la Villa war seit 1981 als Organi­sa­ti­o­ns­leiter bei der Firma Cortefiel beschäftigt. Im Jahr 2005 teilte ihm Cortefiel mit, dass sein Arbeitsvertrag aufgelöst sei, weil er das Alter für eine Zwangs­ver­setzung in den Ruhestand erreicht habe. Zum Zeitpunkt der Mitteilung hatte Herr Palacios de la Villa die erforderlichen Beschäf­ti­gungs­zeiten zurückgelegt, um eine Altersrente aus der Sozia­l­ver­si­cherung beanspruchen zu können, die 100 % seiner Beitrags­be­mes­sungs­grundlage entspricht.

Da Herr Palacios de la Villa der Auffassung war, dass diese Mitteilung einer Entlassung gleichkomme, erhob er Klage bei einem spanischen Gericht, das dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorab­ent­schei­dungs­er­suchens mehrere Fragen hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf vorgelegt hat. Der Gerichtshof betont zunächst, dass eine nationale Regelung, wonach das Erreichen des für den Eintritt in den Ruhestand festgesetzten Alters automatisch zur Auflösung des Arbeitsvertrags führt, die Dauer des zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber vereinbarten Arbeits­ver­hält­nisses und - allgemeiner - die Berufsausübung des betroffenen Arbeitnehmers berührt, indem sie diesen daran hindert, zukünftig am Erwerbsleben teilzunehmen. Mit einer derartigen Regelung eines Mitgliedstaats werden daher Vorschriften über die "Beschäftigungs- und Arbeits­be­din­gungen, einschließlich der Entlassung … und des Arbeitsentgelts", im Sinne der Richtlinie von 2000 geschaffen, in deren Anwen­dungs­bereich eine solche Regelung folglich fällt. Nach Ansicht des Gerichtshofs erlegt eine nationale Regelung dieser Art den Arbeitnehmern, die das Ruhestandsalter erreicht haben, unmittelbar eine weniger günstige Behandlung auf als allen anderen Erwerbstätigen. Eine solche Regelung führt daher zu einer unmittelbar auf dem Alter beruhenden Ungleich­be­handlung.

Rechtfertigung der Ungleich­be­handlung

Der Gerichtshof prüft anschließend, ob diese Ungleich­be­handlung möglicherweise gerechtfertigt ist.

Er hebt hervor, dass die spanische Regelung auf Betreiben der Sozialpartner als Teil eines nationalen Programms verabschiedet wurde, mit dem über eine bessere Beschäf­ti­gungs­ver­teilung zwischen den Generationen der Beschäf­ti­gungs­zugang gefördert werden sollte. Dass diese Regelung keinen ausdrücklichen Hinweis auf ein derartiges Ziel enthält, schließt sie nicht automatisch von einer Rechtfertigung aus. Nach Auffassung des Gerichtshofs können nämlich andere - aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete - Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtfertigung gerichtlich überprüft werden kann.

Ziel: Arbeits­lo­sigkeit eindämmen

Aus dem Kontext, in dem die spanische Regelung erlassen wurde, leitet der Gerichtshof ab, dass diese Regelung darauf abzielt, den nationalen Arbeitsmarkt zu regulieren, um u. a. die Arbeits­lo­sigkeit einzudämmen. Die Rechtmäßigkeit eines solchen im Allge­mein­in­teresse liegenden Ziels kann in Anbetracht der Richtlinie und des EU- sowie des EG-Vertrags nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, da die Förderung eines hohen Beschäf­ti­gungs­niveaus eines der Ziele darstellt, die sowohl von der Europäischen Union als auch von der Gemeinschaft verfolgt werden.

Ein derartiges Ziel ist grundsätzlich als eine - wie in der Richtlinie von 2000 verlangt - "im Rahmen des nationalen Rechts" "objektiv[e] und angemessen[e]" Rechtfertigung für eine von den Mitgliedstaaten angeordnete Ungleich­be­handlung wegen des Alters anzusehen. Der Gerichtshof erinnert schließlich daran, dass die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner auf nationaler Ebene beim gegenwärtigen Stand des Gemein­schafts­rechts nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermes­sens­spielraum verfügen. Jedoch dürfen die in diesem Zusammenhang vorgesehenen nationalen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was "angemessen und erforderlich" ist, um das von dem betreffenden Mitgliedstaat verfolgte Ziel zu erreichen.

Die Annahme der Stellen eines Mitgliedstaats, dass die Zwangs­ver­setzung eines Arbeitnehmers in den Ruhestand wegen des Erreichens der vorgesehenen Altersgrenze angemessen und erforderlich sein kann, um das im Rahmen der nationalen Beschäf­ti­gungs­politik angeführte legitime Ziel der Förderung von Vollbe­schäf­tigung durch Begünstigung des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu erreichen, erscheint nicht unvernünftig.

Darüber hinaus kann die genannte Maßnahme auch nicht als übermäßige Beein­träch­tigung der berechtigten Erwartungen der Arbeitnehmer angesehen werden, die wegen Erreichens der festgelegten Altersgrenze zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden sind, wenn die einschlägige nationale Regelung nicht nur auf ein bestimmtes Alter abstellt, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente wie die in der spanischen Regelung vorgesehene zugute kommt, deren Höhe nicht als unangemessen betrachtet werden kann.

Demzufolge hält der Gerichtshof eine solche Regelung nicht für unvereinbar mit den Erfordernissen der Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 73/07 des EuGH vom 16.10.2007

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