21.11.2024
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Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss20.07.2011

Siche­rungs­ver­wahrung: Auch bei Gefahr nur "gravierender" Straftaten darf Unterbringung nach dem Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz angeordnet werdenVom Bundes­ver­fas­sungs­gericht festgelegter strenger Maßstab "hochgradiger Gefahr" findet im Bereich des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes keine Anwendung

Der vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht festgelegte strenge Maßstab der „hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten“, der in Fällen der nachträglichen oder über zehn Jahre hinaus verlängerten Siche­rungs­ver­wahrung angelegt werden soll, ist nicht auf den Tatbestand des § 1 Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz zu übertragen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Nürnberg.

Im der zugrunde liegenden Verhandlung hatte sich das Gericht mit dem Fall eines vielfach vorbestraften 62-jährigen Mannes zu befassen, der im Jahr 1997 wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt und gegen den daneben die Sicherungsverwahrung angeordnet worden war. Diese wurde nach Verbüßung der Strafe in der Justiz­voll­zugs­anstalt Straubing vollzogen. Nach mehr als zehnjährigem Vollzug der Unterbringung war der Betroffene Anfang Juli 2011 schließlich auf Grundlage der neueren Entscheidungen des Bundes­ge­richtshofs, des Bundesverfassungsgerichts

und im Lichte einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht der Siche­rungs­ver­wahrung in die Freiheit entlassen worden.

Antrag auf Unterbringung des Straftäters gemäß Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz erfolglos

Die Justiz­voll­zugs­anstalt Straubing hatte bereits Anfang des Jahres die vorläufige Unterbringung des Betroffenen nach dem erst zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz (ThUG) beantragt und war mit diesem Antrag bei dem Landgericht Regensburg gescheitert. Dieses hatte die Zurückweisung des Antrags im Wesentlichen damit begründet, dass unter Berück­sich­tigung des Urteils des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 4. Mai 2011 auch eine Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG nur dann zulässig sei, wenn von dem Betroffenen aufgrund seiner psychischen Störung eine hochgradige Gefahr „schwerster“ Gewalt- oder Sexualdelikte ausgeht. Da beim Betroffenen nur „gravierende“ und nicht schwerste Sexual­straftaten zu befürchten seien, dürfe keine vorläufige Unterbringung nach § 14 ThUG angeordnet werden.

Strenger Maßstab „hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten“ nicht bei Unterbringung gemäß des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes anzuwenden

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde der Justiz­voll­zugs­anstalt, über die das Oberlan­des­gericht Nürnberg zu entscheiden hatte. Das Gericht ordnete die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung im Sinne des § 2 ThUG sowie die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung an. In seiner Begründung stellt das Gericht fest, dass entgegen der Auffassung des Landgerichts der in Fällen der nachträglich angeordneten oder über zehn Jahre hinaus verlängerten Siche­rungs­ver­wahrung anzulegende Maßstab der hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten nicht auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 ThUG zu übertragen ist. Hiergegen spräche nicht nur, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht diesen strengen Maßstab in der Entscheidung vom 4. Mai 2011 ausdrücklich nur für den weiteren Verbleib der Altfälle in der Siche­rungs­ver­wahrung gefordert hat, sondern auch, dass eine Übertragung dieses Maßstabs im Ergebnis dazu führen würde, dass für das Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz kein Anwen­dungs­bereich verbleibt und dessen Vorschriften gänzlich leerlaufen. Dieses Ergebnis aber stünde in Widerspruch zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der einen möglichst nachhaltigen Schutz der Allgemeinheit vor schweren Rechts­guts­ver­let­zungen durch psychisch gestörte Gewalt- oder Sexual­straftäter gerade auch in den Fällen, in denen solche Täter wegen des Rückwir­kungs­verbotes aus dem Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung entlassen werden mussten, anstrebte.

Zwischen­zeitlich ist der Betroffene, der sich zuletzt in Nordrhein-Westfalen aufhielt, durch die dortigen Behörden der vorläufigen Unterbringung zugeführt worden.

Quelle: Oberlandesgericht Nürnberg/ra-online

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