18.10.2024
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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss27.06.2011

OLG Stuttgart: Keine Unterbringung eines ehemaligen Sexual­straf­täters in Thera­pie­ein­richtung im Anschluss an Siche­rungs­ver­wahrungSofortige Entlassung des Straftäters aus Siche­rungs­ver­wahrung nach Entscheidungen des BGH und BVerfG nicht geboten

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat auf die sofortige Beschwerde eines Betroffenen hin dessen angeordnete vorläufige Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung nach dem Thera­pie­un­ter­brin­gungs­gesetz (ThUG) aufgehoben und den entsprechenden Antrag zurückgewiesen. Angesichts mittlerweile ergangener Entscheidungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bundes­ge­richtshofs zur Siche­rungs­ver­wahrung konnte das Oberlan­des­gericht das gesetzlich erforderliche dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden zur Zeit nicht mehr feststellen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall befindet sich der Betroffene derzeit in Sicherungsverwahrung in der Justiz­voll­zugs­anstalt Heilbronn. Nach mehreren Verurteilungen wegen Sexualdelikten und anderen Straftaten wurde er zuletzt 1985 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Außerdem wurde Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet. Nach dem zum Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen geltenden Recht betrug die Höchstdauer der Siche­rungs­ver­wahrung 10 Jahre. Diese zeitliche Beschränkung entfiel mit dem am 31.Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten. Daher ordnete das damals zuständige Landgericht Freiburg nach Vollzug von 10 Jahren Siche­rungs­ver­wahrung die Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung an.

Strafsenat des OLG weist mehrfach gestellte Entlas­sungs­anträge des Betroffenen zurück

Ein Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart wies mittlerweile mehrfach die unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 zu den so genannten „Zehn-Jahres-Altfällen“ gestellten Entlas­sungs­anträge des Betroffenen zurück.

Landgericht ordnet vorläufige Unterbringung des Betroffenen in geeigneter geschlossener Einrichtung an

Ende Januar 2011 hatte der Leiter der Justiz­voll­zugs­anstalt Heilbronn die Anordnung einer Thera­pie­un­ter­bringung des Betroffenen nach § 1 ThUG in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung sowie die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 14 ThUG beantragt. Am 29. März 2011 ordnete das Landgericht Heilbronn im Wege einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung für die Dauer von 3 Monaten ab Wirksamkeit des Beschlusses an. Das Landgericht hatte die Notwendigkeit sofortigen Handelns im Hinblick auf das zum Zeitpunkt der Entscheidung offene Verfahren vor dem Großen Senat des Bundes­ge­richtshofs bejaht (vgl. Bundes­ge­richtshof, Beschluss v. 09.11.2010 - 5 StR 394/10/ 5 StR 440/10/ 5 StR 474/10 -). Es sei noch nicht abzusehen, ob der Bundes­ge­richtshof zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßre­gel­voll­streckung kommen würde, was die sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Siche­rungs­ver­wahrung zur Folge gehabt hätte.

OLG sieht kein dringendes Bedürfnis für sofortiges Tätigwerden im Verfahren nach § 14 ThUG

Der für die Verfahren nach dem ThUG zuständige 8. Zivilsenat des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart hat entschieden, dass das Landgericht Heilbronn im Verfahren der einstweiligen Anordnung zwar in nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen von Gründen für die Annahme bejaht hat, dass der Betroffene an einer psychischen Störung leidet, und dass der Betroffene mit hoher Wahrschein­lichkeit infolge dieser psychischen Störung das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbst­be­stimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Jedoch sah der Senat derzeit kein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Verfahren nach § 14 ThUG mehr.

Landgericht kann im Haupt­sa­che­ver­fahren auf gesicherter Tatsa­chen­grundlage über Antrag nach dem ThUG entschieden

Nach der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 4. Mai 2011 und der darauf basierenden Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs vom 23. Mai 2011 ist eine sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Siche­rungs­ver­wahrung nicht geboten und auch nicht zu erwarten. Die zuständigen Strafgerichte haben bis zum 31. Dezember 2011 Gelegenheit, aktuelle Feststellungen zu treffen, ob eine Fortdauer der Siche­rungs­ver­wahrung angezeigt ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass bis zu dem genannten Datum auch die in Auftrag gegebenen Gutachten vorliegen und somit geklärt ist, ob der Betroffene an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet. Dann kann gegebenenfalls im Haupt­sa­che­ver­fahren vor dem Landgericht Heilbronn auf gesicherter Tatsa­chen­grundlage über einen entsprechenden Antrag nach dem ThUG entschieden werden.

Beschwerde unbegründet

Die Frage einer geeigneten Einrichtung als Voraussetzung für die Thera­pie­un­ter­bringung konnte - anders als in den vom Oberlan­des­gericht Karlsruhe entschiedenen Verfahren - vom Senat dahingestellt bleiben, weil sich die Beschwerde bereits aus dem oben ausgeführten Grund als begründet erwiesen hat.

ThUG (auszugsweise):

Erläuterungen

§ 1 Thera­pie­un­ter­bringung

1) Steht auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Straf­ge­setz­buches genannten Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Siche­rungs­ver­wahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Siche­rungs­ver­wahrung zu berücksichtigen ist, kann das zuständige Gericht die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen, wenn

1. sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebens­ver­hältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrschein­lichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbst­be­stimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und

2. die Unterbringung aus den in Nummer 1 genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.

(2) Absatz 1 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Siche­rungs­ver­wahrung befindet oder bereits entlassen wurde.

§ 14 Einstweilige Anordnung

(1) Das Gericht kann im Haupt­sa­che­ver­fahren durch einstweilige Anordnung für die Dauer von drei Monaten eine vorläufige Unterbringung anordnen, wenn

1. Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Thera­pie­un­ter­bringung nach § 1 gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, und

2. der Betroffene persönlich und ein ihm beigeordneter Rechtsanwalt angehört worden sind. Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist zulässig.

(2) Abweichend von § 10 Absatz 1 kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung bereits vor Rechtskraft der in § 1 Absatz 1 vorausgesetzten Entscheidung ergehen. Das Gericht kann anordnen, dass der Beschluss mit Rechtskraft der in § 1 Absatz 1 vorausgesetzten Entscheidung wirksam wird.

(3) Die Dauer der vorläufigen Unterbringung auf Grund einer einstweiligen Anordnung kann um jeweils weitere drei Monate bis zu einer Gesamtdauer von einem Jahr nach Anhörung der Sachver­ständigen nur verlängert werden, wenn eine besondere Schwierigkeit in der Begutachtung oder ein anderer wichtiger Grund die Entscheidung im Haupt­sa­che­ver­fahren erheblich verzögert.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online

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