24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.06.2011

BVerfG: Nachträgliche Anordnung der Sicherungs­verwahrung erneut erfolglosSicherungs­verwahrung ist nur noch bei Erfüllung der besonderen Anforderungen an Verhält­nis­mä­ßigkeit anzuordnen oder aufrecht­zu­er­halten

Das Bundes­verfassungs­gericht hat in einem weiteren Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungs­verwahrung wegen Verletzung des Freiheits­grundrechts des Untergebrachten und des rechts­s­taat­lichen Vertrauens­schutzgebotes aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls wurde 1987 wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren und 1997 wegen Totschlags zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zum Zeitpunkt der zweiten Verurteilung war eine Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtlich (noch) nicht möglich, weil diese nach der damals geltenden Rechtslage mindestens drei vorsätzliche Straftaten voraussetzte. Erst der zum 1. April 1998 eingeführte § 66 Abs. 3 StGB ließ eine Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung bereits nach zwei vorsätzlichen Straftaten zu. Die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung wurde 2004 eingeführt und mit der 2007 erfolgten Änderung von § 66 b Abs. 1 Satz 1 sowie der Einführung von § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB dahingehend erweitert, dass nunmehr die Siche­rungs­ver­wahrung auch dann nachträglich angeordnet werden durfte, wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstat aus Rechtsgründen keine primäre Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet werden konnte. In Anwendung dieser neuen Rechtsgrundlage wurde im Jahr 2009 nachträglich die Unterbringung des Beschwer­de­führers in der Siche­rungs­ver­wahrung angeordnet.

Unterbringung in Siche­rungs­ver­wahrung bzw. deren Fortdauer darf nur noch unter Wahrung strikter Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen angeordnet werden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat mit seinem Urteil vom 4. Mai 2011 alle Vorschriften des Straf­ge­setz­buches und des Jugend­ge­richts­ge­setzes über die Anordnung und Dauer der Siche­rungs­ver­wahrung wegen Verstoßes gegen das Abstandsgebot für unvereinbar mit dem Freiheits­grundrecht erklärt. Darüber hinaus hat es für die mit den dort zugrunde liegenden Verfas­sungs­be­schwerden konkret angegriffenen Vorschriften zur nachträglichen Verlängerung der Siche­rungs­ver­wahrung über die früher geltende Höchstfrist hinaus und zur nachträglichen Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung - zu denen § 66 b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB nicht zählte - auch die Unvereinbarkeit mit dem rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzgebot festgestellt. Nach Maßgabe der im Urteil vom 4. Mai 2011 getroffenen Überg­angs­re­ge­lungen darf auf der Grundlage dieser auch wegen Verstoßes gegen das Vertrau­ens­schutzgebot für verfas­sungs­widrig erklärten Vorschriften die Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung bzw. deren Fortdauer nur noch unter Wahrung strikter Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen angeordnet werden; nämlich, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexual­straftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nr. 1 des Thera­pie­un­ter­brin­gungs­ge­setzes (ThUG) leidet.

Vom BVerfG festgesetzte höhere Anforderungen an nachträgliche Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung sind zu beachten

Mit der nun getroffenen Entscheidung hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht klargestellt, dass die im Urteil vom 4. Mai 2011 festgesetzten höheren Anforderungen an die nachträgliche Anordnung der Siche­rungs­ver­wahrung immer dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - in das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen auf ein Unterbleiben seiner Unterbringung in der Siche­rungs­ver­wahrung eingegriffen wird. Die Gerichte sind daher bis zu einer Neuregelung des Rechts der Siche­rungs­ver­wahrung gehalten, über die dem Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 4. Mai 2011 zugrunde liegenden Fallge­stal­tungen hinaus auch in den anderen Konstellationen, in denen das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen in das Unterbleiben der Siche­rungs­ver­wahrung beeinträchtigt wird, die Siche­rungs­ver­wahrung nur noch dann anzuordnen oder aufrecht­zu­er­halten, wenn die besonderen Anforderungen an die Verhält­nis­mä­ßigkeit erfüllt sind. Ob diese Voraussetzungen im Fall des Beschwer­de­führers gegeben sind, wird das Landgericht zu prüfen haben.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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