21.11.2024
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Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss23.05.2017

Hessen: Kopftuchverbot für Rechts­re­fe­rendarin im juristischen Vorbe­rei­tungs­dienst bestätigtTragen religiös konnotierter Bekleidung während Ausübung des Vorbereitungs­dienstes mit Übernahme staatlicher Funktionen und Repräsentations­aufgaben verstößt gegen Neutra­li­tätsgebot in der Justiz

Der Hessische Verwaltungs­gerichts­hof hat entschieden, dass Rechts­referendarinnen islamischen Glaubens, die während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen möchten, keine Tätigkeiten ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können. In der Praxis bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und / oder Beweisaufnahmen durchführen dürfen, keine Sitzungs­vertretungen für die Staats­an­walt­schaft übernehmen und während der Verwal­tungs­station keine Anhörungs­aus­schuss­sitzungen leiten können. Mit dieser Entscheidung gab der Hessische Verwaltungs­gerichts­hof der Beschwerde des Landes Hessen, vertreten durch das Hessische Ministerium der Justiz, gegen den Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts Frankfurt am Main vom 12. April 2017 statt, durch den die antragstellende Referendarin mit ihrem entsprechenden Eilantrag noch gegen das Land obsiegte.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin trat Anfang dieses Jahres den juristischen Vorbe­rei­tungs­dienst am Landgericht Frankfurt am Main an. Als Ausdruck ihrer Glaubens­über­zeugung trägt sie ein Kopftuch, das Haare und den Hals bedeckt.

Bereits vor Aufnahme ihres Referen­da­r­dienstes hatte sie über das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main ein Hinweisblatt mit folgendem Inhalt erhalten:

"Das hessische Ministerium der Justiz hat mich angewiesen, Sie über folgende Umstände zu belehren: Auch Rechts­re­fe­ren­da­rinnen im juristischen Vorbe­rei­tungs­dienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und neutral zu verhalten. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeit ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können. Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und / oder Beweisaufnahmen durchführen können, keine Sitzungs­ver­tre­tungen für die Staats­an­walt­schaft übernehmen können, während der Verwal­tungs­station keine Anhörungs­aus­schuss­sit­zungen leiten können [...]".

Antragstellerin fühlt sich durch Ausführungen in Hinweisblatt gegenüber anderen Rechts­re­fe­ren­da­rinnen benachteiligt

Die Antragstellerin hatte beim Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht, weil sie sich durch dieses Hinweisblatt in ihrem Vorbe­rei­tungs­dienst eingeschränkt und diskriminiert sah. Sie machte geltend, einen Anspruch auf eine diskri­mi­nie­rungsfreie, gleich­be­rechtigte Durchführung des Referendariats zu haben. Das Tragen des Kopftuches stelle für sie ein religiöses Gebot dar und die Nichtbeachtung dieses Gebots stürze sie in einen schwerwiegenden Gewis­sens­konflikt. Das erhaltene Hinweisblatt richte sich explizit an muslimische, kopftuch­tragende Referendarinnen. Durch diesen Hinweis werde sie gegenüber anderen Rechts­re­fe­ren­da­rinnen benachteiligt.

VG gibt Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes statt

Ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab das Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 12. April 2017 mit der Begründung statt, dass eine Grund­recht­s­ein­schränkung durch das Verbot des Tragens des Kopftuches während wesentlicher Teile des Vorbe­rei­tungs­dienstes gegeben sei. Die Antragstellerin habe zur Überzeugung des Gerichts eine religiöse Motivation für das von ihr aus Glaubensgründen verpflichtend dargestellte Gebot des Tragens des Kopftuches geltend gemacht.

Gesetzliche Grundlage für Anordnung eines Kopftuchverbots für Rechts­re­fe­ren­da­rinnen hinreichend gegeben

Der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof gab dagegen nunmehr der Beschwerde des Landes Hessen gegen den Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts Frankfurt am Main statt und hob in der Sache den Beschluss des Verwal­tungs­ge­richts Frankfurt am Main auf. Zur Begründung führte der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof aus, dass eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Anordnung eines solchen Kopftuchverbots für Rechts­re­fe­ren­da­rinnen gegeben sei. Der Landes­ge­setzgeber sei unter Beachtung des sogenannten Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit auch ermächtigt, Regelungen zur Sicherung der staatlichen Neutralität zu schaffen. Die Ausübung des Vorbe­rei­tungs­dienstes mit der Übernahme staatlicher Funktionen und der Repräsentation nach außen mit religiös konnotierter Bekleidung verstoße gegen das Neutra­li­tätsgebot in der Justiz. So könnten sich insbesondere Verfah­rens­be­teiligte durch eine Referendarin, die die staatliche Autorität repräsentiert und zugleich ein solches Kopftuch trage, beeinträchtigt fühlen oder aber Zweifel an der Neutralität dieser Person und damit eventuell auch an der Justiz haben.

Wahrung staatlicher Neutralität bei Gericht von besonderer Bedeutung

Es sei kaum ein Ort denkbar, an dem die Wahrung staatlicher Neutralität durch ihre Repräsentanten so bedeutsam sei wie vor Gericht, wo die Verfah­rens­be­tei­ligten eine in jeder Hinsicht unabhängige Entscheidung von weltan­schau­lichen, politischen oder religiösen Grund­ein­stel­lungen erwarteten. Würden durch das Erschei­nungsbild der Repräsentanten der Recht­spre­chungs­gewalt Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz begründet, sei das staatliche Neutra­li­tätsgebot in seinem Kernbereich betroffen. Daher sei dort, wo Rechts­re­fe­rendare nach ihrem äußeren Erschei­nungsbild als Repräsentanten der Justiz wahrgenommen würden, die hierdurch begründete abstrakte Gefahr für eine Beschädigung des Vertrauens bei den Verfah­rens­be­tei­ligten in die Neutralität des Gerichts und Unabhängigkeit der Entschei­dungs­findung ausreichend, um Rechts­re­fe­rendaren das Tragen religiös konnotierter Kleidungsstücke in dieser Situation zu untersagen. Das gelte nicht nur dann, wenn Rechts­re­fe­rendare mit Verfah­rens­hand­lungen betraut würden, sondern auch, wenn sie auf der Richterbank Platz nähmen. Die Grundrechte der Rechts­re­fe­ren­da­rinnen und Rechts­re­fe­rendare hätten nach einer durch­zu­füh­renden Abwägung demgegenüber zurückzutreten.

Quelle: Hessischer Verwaltungsgerichtshof/ra-online

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