Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragstellerin trat Anfang dieses Jahres den juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Frankfurt am Main an. Als Ausdruck ihrer Glaubensüberzeugung trägt sie ein Kopftuch, das Haare und den Hals bedeckt.
Bereits vor Aufnahme ihres Referendardienstes hatte sie über das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Hinweisblatt mit folgendem Inhalt erhalten:
"Das hessische Ministerium der Justiz hat mich angewiesen, Sie über folgende Umstände zu belehren: Auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und neutral zu verhalten. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeit ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können. Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen die ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können, keine Sitzungsleitung und / oder Beweisaufnahmen durchführen können, keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können, während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzungen leiten können [...]".
Die Antragstellerin hatte beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht, weil sie sich durch dieses Hinweisblatt in ihrem Vorbereitungsdienst eingeschränkt und diskriminiert sah. Sie machte geltend, einen Anspruch auf eine diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Durchführung des Referendariats zu haben. Das Tragen des Kopftuches stelle für sie ein religiöses Gebot dar und die Nichtbeachtung dieses Gebots stürze sie in einen schwerwiegenden Gewissenskonflikt. Das erhaltene Hinweisblatt richte sich explizit an muslimische, kopftuchtragende Referendarinnen. Durch diesen Hinweis werde sie gegenüber anderen Rechtsreferendarinnen benachteiligt.
Ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 12. April 2017 mit der Begründung statt, dass eine Grundrechtseinschränkung durch das Verbot des Tragens des Kopftuches während wesentlicher Teile des Vorbereitungsdienstes gegeben sei. Die Antragstellerin habe zur Überzeugung des Gerichts eine religiöse Motivation für das von ihr aus Glaubensgründen verpflichtend dargestellte Gebot des Tragens des Kopftuches geltend gemacht.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab dagegen nunmehr der Beschwerde des Landes Hessen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main statt und hob in der Sache den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main auf. Zur Begründung führte der Hessische Verwaltungsgerichtshof aus, dass eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Anordnung eines solchen Kopftuchverbots für Rechtsreferendarinnen gegeben sei. Der Landesgesetzgeber sei unter Beachtung des sogenannten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch ermächtigt, Regelungen zur Sicherung der staatlichen Neutralität zu schaffen. Die Ausübung des Vorbereitungsdienstes mit der Übernahme staatlicher Funktionen und der Repräsentation nach außen mit religiös konnotierter Bekleidung verstoße gegen das Neutralitätsgebot in der Justiz. So könnten sich insbesondere Verfahrensbeteiligte durch eine Referendarin, die die staatliche Autorität repräsentiert und zugleich ein solches Kopftuch trage, beeinträchtigt fühlen oder aber Zweifel an der Neutralität dieser Person und damit eventuell auch an der Justiz haben.
Es sei kaum ein Ort denkbar, an dem die Wahrung staatlicher Neutralität durch ihre Repräsentanten so bedeutsam sei wie vor Gericht, wo die Verfahrensbeteiligten eine in jeder Hinsicht unabhängige Entscheidung von weltanschaulichen, politischen oder religiösen Grundeinstellungen erwarteten. Würden durch das Erscheinungsbild der Repräsentanten der Rechtsprechungsgewalt Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz begründet, sei das staatliche Neutralitätsgebot in seinem Kernbereich betroffen. Daher sei dort, wo Rechtsreferendare nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als Repräsentanten der Justiz wahrgenommen würden, die hierdurch begründete abstrakte Gefahr für eine Beschädigung des Vertrauens bei den Verfahrensbeteiligten in die Neutralität des Gerichts und Unabhängigkeit der Entscheidungsfindung ausreichend, um Rechtsreferendaren das Tragen religiös konnotierter Kleidungsstücke in dieser Situation zu untersagen. Das gelte nicht nur dann, wenn Rechtsreferendare mit Verfahrenshandlungen betraut würden, sondern auch, wenn sie auf der Richterbank Platz nähmen. Die Grundrechte der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare hätten nach einer durchzuführenden Abwägung demgegenüber zurückzutreten.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 24.05.2017
Quelle: Hessischer Verwaltungsgerichtshof/ra-online