21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.03.2013

EuGH zur Preis­miss­brauchs­kon­trolle von Standa­rd­klauseln in Erdgas-SonderverträgenStandardklausel, die eine einseitige Anpassung erlaubt, muss Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen

Eine Standardklausel in Verbrau­cher­ver­trägen unterliegt auch dann einer Missbrauchs­kon­trolle, wenn sie nur eine für eine andere Vertrags­ka­tegorie geltende nationale Regelung aufgreift. Es ist Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob eine solche Klausel, die dem Gasversorger eine einseitige Preisanpassung erlaubt, den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

In dem zugrunde liegenden Fall geht die Verbrau­cher­zentrale Nordrhein-Westfalen vor den deutschen Gerichten gegen eine Standa­rd­ver­trags­klausel vor, mit der sich RWE, ein deutsches Erdgas­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das Recht vorbehält, den Gaslieferpreis gegenüber seinen Kunden einseitig zu ändern, wenn für sie ein Sondertarif gilt (Sonderkunden). Anstatt den Standardtarif zu wählen, den die deutschen Gasversorger den Verbrauchern anbieten müssen, schlossen diese Kunden ihre Verträge im Rahmen der Vertragsfreiheit. Die Verbrau­cher­zentrale hält die fragliche Klausel für missbräuchlich und nimmt RWE aus abgetretenem Recht von 25 Verbrauchern auf Erstattung der Zusatzzahlungen in Höhe von insgesamt 16.128,63 Euro in Anspruch, die diese Verbraucher infolge von vier Preiserhöhungen zwischen 2003 und 2005 an RWE geleistet hatten.

RWE: Regelung erlaubt Lieferanten einseitige Änderung der Gaspreise

RWE ist insbesondere der Ansicht, dass die streitige Klausel, die in den für die betroffenen Kunden geltenden allgemeinen Bedingungen enthalten ist, keiner Missbrauchs­kon­trolle unterliege. Sie nehme nämlich nur auf die für Tarif­kun­den­verträge geltende deutsche Regelung Bezug. Diese Regelung erlaubte es dem Lieferanten, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden von der Änderung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.

BGH befragt Gerichtshof zur Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts

Nachdem RWE vor dem Landgericht und dem Oberlan­des­gericht unterlegen war, legte das Unternehmen Revision beim Bundes­ge­richtshof ein, der den Gerichtshof um Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts ersucht, mit denen die Verbraucher vor missbräuch­lichen und/oder intransparenten Standa­rd­ver­trags­klauseln geschützt werden sollen. Für den Bundes­ge­richtshof stellt sich u. a. die Frage, in welchem Umfang Standa­rd­klauseln, die lediglich bindende Rechts­vor­schriften aufgreifen, von einer Missbrauchs­kon­trolle ausgeschlossen sind. Mit seinem Urteil von heute antwortet der Gerichtshof, dass solche Klauseln einer Missbrauchs­kon­trolle unterliegen, wenn die Rechts­vor­schriften, die sie aufgreifen, nur für eine andere Vertragskategorie gelten.

Missbrauchs­kon­trolle gerechtfertigt

Der Ausschluss der Vertrags­klauseln, die auf nationalen Rechts­vor­schriften beruhen, mit denen eine bestimmte Vertrags­ka­tegorie geregelt wird, von der Missbrauchs­kon­trolle ist nämlich dadurch gerechtfertigt, dass die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien der betreffenden Verträge getroffen hat. Diese Argumentation gilt jedoch nicht für Klauseln anderer Verträge. Nähme man nämlich eine Klausel in einem solchen Vertrag von der Missbrauchs­kon­trolle allein deshalb aus, weil sie eine Regelung aufgreift, die nur für eine andere Vertrags­ka­tegorie gilt, so wurde der vom Unionsrecht angestrebte Verbraucherschutz gefährdet.

Standardklausel unterliegt bestimmten Anforderungen

Zur etwaigen Missbräuch­lichkeit der streitigen Klausel stellt der Gerichtshof fest, dass der Unions­ge­setzgeber anerkannt hat, dass im Rahmen von unbefristeten Vertragen wie Gaslie­fe­rungs­ver­tragen das Versor­gungs­un­ter­nehmen ein berechtigtes Interesse daran hat, die Entgelte für seine Leistung zu andern. Allerdings muss eine Standardklausel, die eine solche einseitige Anpassung erlaubt, den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass es letztlich nicht seine Sache, sondern die des nationalen Gerichts ist, in jedem Einzelfall festzustellen, ob dem so ist.

Kriterien zur Prüfung der Anforderungen

Bei dieser Prufung durch das nationale Gericht kommt den folgenden Kriterien besondere Bedeutung zu:

1. In dem Vertrag müssen der Anlass und der Modus der Änderung der Entgelte so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann.

Der Gerichtshof betont in diesem Zusammenhang, dass das Ausbleiben der betreffenden Information vor Vertrags­ab­schluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrages mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird.

2. Von der dem Verbraucher eingeräumten Kündi­gungs­mög­lichkeit muss unter den gegebenen Bedingungen tatsachlich Gebrauch gemacht werden können. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Verbraucher aus Gründen, die mit den Kündi­gungs­mo­da­litäten oder mit den auf dem betroffenen Markt herrschenden Bedingungen zusammenhangen, nicht über eine wirkliche Möglichkeit zum Wechsel des Lieferanten verfugt oder wenn er nicht angemessen und rechtzeitig von der künftigen Änderung benachrichtigt wurde.

Auslegung des Unionsrechts nicht nur auf die ab heute eintretenden Tarifänderungen anwendbar

Im Übrigen weist der Gerichtshof die Antrage der deutschen Regierung und von RWE zurück, die Wirkungen seines Urteils zeitlich zu begrenzen, um dessen finanzielle Folgen in Grenzen zu halten. Die Auslegung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in diesem Urteil vornimmt, ist daher nicht nur auf die ab heute eintretenden Tarifänderungen anwendbar, sondern auch auf alle Tarifänderungen, die seit dem Inkrafttreten der in diesem Urteil ausgelegten Bestimmungen des Unionsrechts erfolgt sind. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Bestimmungen betreffenden Streit vorliegen.

Finanzielle Folgen für RWE können nicht nur auf Grundlage der Auslegung des Unionsrechts bestimmt werden

Der Gerichtshof stellt zu der Frage der zeitlichen Begrenzung der Urteils­wir­kungen fest, dass die finanziellen Folgen für die Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen in Deutschland, die mit den Verbrauchern Sonder­kun­den­vertrage geschlossen haben, nicht allein auf der Grundlage der von ihm in seinem Urteil von heute vorgenommenen Auslegung des Unionsrechts bestimmt werden können. Es ist nämlich Sache des nationalen Gerichts, unter Berück­sich­tigung dieser Auslegung über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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