23.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.02.2011

BGH zu Preiserhöhungen in Erdgas-SonderverträgenPreis­än­de­rungs­klausel wegen unangemessener Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam

Erneut wurde eine Preis­än­de­rungs­klausel in einem Erdgas-Sonder­kun­den­vertrag vom Bundes­ge­richtshof für unwirksam erklärt.

Im hiesigen Rechtsstreit bezieht der Kläger von der Beklagten seit 1993 leitungs­ge­bunden Erdgas für seine Wohnung in Wiesbaden. Nach einer Tarifumstellung der Beklagten im Jahr 1995 gab es unter dem Oberbegriff "Allgemeine Tarife" zwei Grund­ver­brauch­s­tarife und unter dem Oberbegriff "Heizgas-Sonderabkommen" die Tarife R1 und R2, welche mit Wirkung vom 1. November 2001 durch die Tarife "ESWE Komfort 1" und "ESWE Komfort 2" abgelöst wurden. Für diese Tarife veröffentlichte die Beklagte die "Bedingungen für ESWE KOMFORT GAS" und teilte sie dem Kläger mit.

Bedingungen enthalten auszugsweise folgende Bestimmungen:

"Nr. 2 Preisänderungen, Änderungen der Bedingungen, Kündigungsfrist

Preisänderungen und Änderungen der Bedingungen für "ESWE KOMFORT GAS" werden nach öffentlicher Bekanntmachung in der örtlichen Presse wirksam. ESWE ist nicht zu Einzel­be­nach­rich­ti­gungen verpflichtet. ESWE KOMFORT GAS kann mit einer Frist von einem Monat von beiden Seiten gekündigt werden. ESWE weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf das Sonderkündigungsrecht gemäß AVB § 32 Abs. 2 hin.

Nr. 3 Allgemeine Bedingungen

Soweit in diesen Bedingungen nichts Abweichendes geregelt ist, gelten die "Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden" (AVBGasV) vom 21. Juni 1979... ."

Beklagte erhöht Preise ab 08/2004

Die Beklagte rechnete den Gasbezug des Klägers nach den Tarifen R1 und R2 bzw. ESWE Komfort Gas 1 und ESWE Komfort Gas 2 ab. Am 1. August 2004, 1. Januar 2005, 1. Oktober 2005, 1. Juni 2006 und 1. Oktober 2007 erhöhte die Beklagte die Arbeitspreise.

Klage und Berufung zunächst erfolglos

Mit seiner Klage hat der Kläger, der die Endabrechnungen der Jahre 2004 bis 2007 jeweils beanstandet hat, u. a. die Feststellung begehrt, dass die von der Beklagten vorgenommenen Preis­be­stim­mungen unwirksam sowie die Endabrechnungen der Beklagten für die beanstandeten Jahre nicht fällig sind. Das Landgericht hat die Klage mit Ausnahme der die Preiserhöhung zum 1. Oktober 2007 betreffenden Feststellung abgewiesen. Das Berufungs­gericht hat die Berufung des Klägers, mit der er sein Klageziel im Umfang der Klageabweisung weiterverfolgt und zusätzlich die Feststellung begehrt hat, dass der Gaspreis insgesamt im streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum unwirksam und nicht fällig gewesen ist, zurückgewiesen.

BGH: Preiserhöhungen unwirksam

Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die zum 1. August 2004, 1. Januar 2005, 1. Oktober 2005 und 1. Juni 2006 vorgenommenen Preiserhöhungen der Beklagten unwirksam und dass Ansprüche aus den angegriffenen Endabrechnungen bezogen auf den Erdgasverbrauch nicht fällig sind.

Preis­än­de­rungsrecht nach § 4 AVBGasV nicht bei Sonder­kun­den­ver­trägen

Die Beklagte kann sich vorliegend nicht auf das nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV* bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht berufen, weil sie den Kläger aus dessen maßgeblicher Sicht nicht nach allgemeinen Tarifen, sondern zu dem als Sondertarif zu quali­fi­zie­renden Tarif ESWE KOMFORT beliefert hat und § 4 AVBGasV* für Sonder­kun­den­verträge nicht unmittelbar gilt. Der Beklagten steht auch kein wirksam vereinbartes vertragliches Preis­än­de­rungsrecht zu. Die in Nr. 2 ihrer Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen enthaltene Preis­än­de­rungs­klausel ist wegen unangemessener Benachteiligung des Kunden nach § 307 Abs. 1 BGB*** unwirksam, weil sie dem Kunden kein der Regelung des § 32 Abs. 2 AVBGasV** entsprechendes Sonder­kün­di­gungsrecht einräumt. § 32 Abs. 2 ABVGasV** gewährt dem Kunden im Falle einer Änderung der allgemeinen Tarife ein Sonder­kün­di­gungsrecht mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Monats. Diese Kündigungsfrist ist nicht identisch mit der von der Beklagten in Nr. 2 der Bedingungen gewährten Kündigungsfrist von einem Monat. Die Anwendbarkeit von § 32 Abs. 2 AVBGasV wird auch nicht durch den Verweis auf "AVB § 32 Abs. 2" sichergestellt. Die Regelung lässt nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit erkennen, auf welche Norm verwiesen werden soll, denn die Beklagte selbst hat in Nr. 3 ihrer Bedingungen die Abkürzung "AVBGasV" verwendet.

BGH verweist Sache an Berufungs­gericht für erneute Feststellung zurück

Bezüglich der Feststellung, dass der Gaspreis insgesamt im streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum unwirksam ist, hat der VIII. Zivilsenat die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Der Kläger muss zunächst klarstellen, welchen Gaspreis er selbst als jedenfalls geschuldet ansieht, bevor das Berufungs­gericht ggf. weitere Feststellungen hierzu zu treffen hat.

Erläuterungen

*Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV)

§ 4 AVBGasV: Art der Versorgung

(1) Das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugs­ver­hält­nissen des Unternehmens ergebenden Schwan­kungs­breite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

**§ 32 AVBGasV: Kündigung

(1)...

(2) Ändern sich die allgemeinen Tarife oder ändert das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen im Rahmen dieser Verordnung seine allgemeinen Bedingungen, so kann der Kunde das Vertrags­ver­hältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des der öffentlichen Bekanntgabe folgenden Kalendermonats kündigen.

*** § 307 BGB: Inhalts­kon­trolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2 Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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