22.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.09.2010

Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen scheitert mit Verfas­sungs­be­schwerde gegen Feststellung der Unwirksamkeit von Preis­er­hö­hungs­klauselnBGH-Entscheidung zur Unzulässigkeit der Preis­an­pas­sungs­klauseln nicht zu beanstanden

Die Verfas­sungs­be­schwerden eines Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmens gegen die Feststellung der Unwirksamkeit von Preis­er­hö­hungs­klauseln sind unzulässig. Die Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs, Vertrags­klauseln, die die Gaspreise für so genannte Sonderkunden an den Ölpreis koppeln, für unwirksam zu erklären, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Falls ist ein Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das in Berlin rund 650.000 Haushalte und Klein­ge­wer­be­kunden mit Gas beliefert. Ihr Preissystem sah sowohl variable Tarife mit einer Preis­an­pas­sungs­klausel als auch fixe Tarife mit einem Festpreis vor. In den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Beschwer­de­führerin für verschiedene variable Tarife war eine Klausel enthalten, wonach der Gaspreis den an den internationalen Märkten notierten Ölpreisen folgen sollte. Insofern sollte die Beschwer­de­führerin berechtigt sein, die Gaspreise auch während der laufenden Vertrags­be­zie­hungen an ihre geänderten Gasbezugskosten anzupassen, wobei die Preisänderungen sowohl Erhöhung als auch Absenkung einschließen sollten.

Kunden klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit von Gaspreis­er­hö­hungen

Zum 1. Oktober 2005 und zum 1. Januar 2006 erhöhte die Beschwer­de­führerin den Gaspreis in ihren variablen Tarifen jeweils um ,5 Cent/kWh. Daraufhin klagten mehrere Kunden auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen.

BGH-Entscheidung: Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen war zu Preiserhöhungen nicht befugt

In den Ausgangs­ver­fahren, die den beiden Verfas­sungs­be­schwerden zugrunde lagen, war der Bundes­ge­richtshof davon ausgegangen, dass die Beschwer­de­führerin zu den Preiserhöhungen nicht befugt gewesen sei, weil sie sich die Preisänderungen in ihren allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen nicht wirksam vorbehalten habe (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 15.07.2009 - VIII 225/07 -). Da die Kläger nicht Tarifkunden im Sinne der zur Zeit der Preiserhöhungen noch geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV), sondern Normson­der­kunden seien, könne sich die Beschwer­de­führerin nicht unmittelbar auf die Möglichkeit zur Preisänderung nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV berufen. In ihren Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen habe sich die Beschwer­de­führerin ein Preis­än­de­rungsrecht nicht wirksam vorbehalten, weil die beanstandete Klausel die Kunden unangemessen benachteilige und daher der Inhalts­kon­trolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht standhalte. Die Preis­an­pas­sungs­klausel in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Beschwer­de­führerin habe nicht lediglich das Preis­än­de­rungsrecht nach § 4 AVBGasV übernommen, sondern weiche - jedenfalls bei der gebotenen kunden­feind­lichsten Auslegung - zum Nachteil der Kunden davon ab und sei deshalb unwirksam. § 4 AVBGasV ermögliche nämlich die Weitergabe von gestiegenen Bezugspreisen an Tarifkunden nur insoweit, als die Kosten­stei­gerung nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werde. Die von der Beschwer­de­führerin verwendete Preis­an­pas­sungs­klausel sehe aber die unein­ge­schränkte Weitergabe von Bezugs­kos­ten­stei­ge­rungen vor und ermögliche damit eine Preiserhöhung wegen gestiegener Gasbezugskosten auch dann, wenn sich ihre Kosten insgesamt nicht erhöht hätten. Außerdem enthalte die Klausel auch keine Pflicht der Beschwer­de­führerin zur Preisanpassung, wenn dies für den Kunden günstig sei.

Grundrechte des Unternehmens nicht verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die gegen beide Entscheidungen des Bundes­ge­richtshofs gerichteten Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar gehört zur Garantie der freien Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen frei mit den Interessenten auszuhandeln, dieses Grundrecht wurde aber durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt. Angesichts dieses spezielleren Grundrechts scheidet eine Missachtung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Privatautonomie aus.

Verfas­sungs­be­schwerde unzulässig – Beschwerde wird Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Soweit die Beschwer­de­führerin in einem der beiden Verfahren gerügt hat, der Bundes­ge­richtshof habe ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass er die - wegen drohender Rückforderungen durch eine Vielzahl von Kunden - existenz­be­dro­henden wirtschaft­lichen Auswirkungen seiner Entscheidung missachtet habe, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfas­sungs­be­schwerde nicht gerecht wird. Das Kammergericht und der Bundes­ge­richtshof haben in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass es hierzu an einem hinreichend konkreten Tatsa­chen­vortrag der Beschwer­de­führerin im fachge­richt­lichen Verfahren gefehlt habe.

Verletzung der geltend gemachten Grundrechte kann nicht festgestellt werden

Im Übrigen hat das Gericht Bedenken gegen die Grund­rechts­fä­higkeit der Beschwer­de­führerin, an der ausländische Staaten mittelbar beteiligt sind, dahinstehen lassen und eine Verletzung der geltend gemachten Grundrechte nicht feststellen können.

Bundes­ge­richtshof mit angegriffenen Entscheidungen Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit nicht verkannt

Nach den Grundsätzen der beschränkten verfas­sungs­ge­richt­lichen Überprüfbarkeit fachge­richt­licher Entscheidungen sind die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts Aufgabe der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht weitgehend entzogen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht überprüft - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur, ob die fachge­richt­lichen Entscheidungen Ausle­gungs­fehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Entgegen der Ansicht der Beschwer­de­führerin hat der Bundes­ge­richtshof mit den angegriffenen Entscheidungen Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit nicht verkannt.

Gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen als solche verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden

Die hier von der Freiheit der Berufsausübung umfasste Privatautonomie setzt auch als Grundlage für das freie Aushandeln einer Vergütung zwischen den Vertrags­parteien voraus, dass die Bedingungen der Selbst­be­stimmung des Einzelnen tatsächlich gegeben sind. Vor diesem Hintergrund ist die Inhalts­kon­trolle von Formu­la­r­ver­trägen nötig, weil es Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen der anderen Partei regelmäßig verwehren, eine abweichende Indivi­du­a­l­ver­ein­barung zu treffen. Die gerichtliche Kontrolle der Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen kompensiert die mangelnde Verhand­lungsmacht des Vertrags­partners des Verwenders. Deshalb ist sie als solche auch dann verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Verwender sich auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit berufen kann. Die Inhalts­kon­trolle Allgemeiner Geschäfts­be­din­gungen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der jeweils grundrechtlich geschützten Privatautonomie des Verwenders wie der anderen Vertragspartei dient.

Verletzung spezifischen Verfas­sungs­rechts nicht erkennbar

Auch die Feststellung des Bundes­ge­richtshofs, dass die umstrittene Preis­an­pas­sungs­klausel die Kunden der Beschwer­de­führerin entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (§ 307 Abs. 1 BGB), ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Der Bundes­ge­richtshof hat die grundrechtlich geschützte Vertrags­freiheit der Beschwer­de­führerin nicht etwa übersehen, sondern sie - wie auch die Vertrags­freiheit der Gaskunden - zum Ausgangspunkt seiner Prüfung gemacht. Bei der gebotenen Abwägung der wider­strei­tenden grund­recht­lichen Schutzgüter hat der Bundes­ge­richtshof die Vertrags­freiheit der Beschwer­de­führerin hinreichend berücksichtigt. Sowohl bei der Herleitung seines Prüfungs­maßstabs als auch bei der Würdigung der konkreten Klausel hat er die Interessen der Beschwer­de­führerin in nicht zu beanstandender Weise einbezogen. Bei der Würdigung der umstrittenen Preis­an­pas­sungs­klausel macht er gerade das vertraglich vereinbarte Äquiva­lenz­ver­hältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zum Ausgangspunkt seiner Prüfung. Die Beanstandung der Klausel beruht darauf, dass sie nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs eine einseitige Verschiebung dieses durch die vertragliche Vereinbarung gefundenen Äquiva­lenz­ver­hält­nisses ermöglicht. Diese fachge­richtliche Würdigung des zugrunde liegenden Lebens­sach­verhalts, insbesondere die vom Bundes­ge­richtshof angenommene Abweichung der Klausel vom Leitbild des § 4 AVBGasV zum Nachteil der Gaskunden, lässt eine Verletzung von spezifischem Verfas­sungsrecht nicht erkennen.

Versagen des Preis­an­pas­sungs­rechts im Wege ergänzender Vertrags­aus­legung ist verfas­sungs­rechtlich nicht bedenklich

Auch dass der Beschwer­de­führerin vom Bundes­ge­richtshof ein Preis­an­pas­sungsrecht entsprechend § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV im Wege ergänzender Vertrags­aus­legung versagt worden ist, begegnet keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Diese Auffassung entspricht vielmehr den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs, die verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist. Insbesondere kann die Beschwer­de­führerin nicht mit Erfolg einwenden, dass die angegriffenen Entscheidungen das vertraglich vereinbarte Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung beseitigten. Zwar führen die Entscheidungen dazu, dass aus - von beiden Vertrags­parteien als solche vereinbarten - variablen Tarifen faktisch Fixtarife werden. Dieser Eingriff in das vertragliche Äquiva­lenz­ver­hältnis, der sich faktisch zugunsten der Kunden auswirkt, ist aber nur die Reaktion auf die verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandende Feststellung des Bundes­ge­richtshofs, dass die umstrittene Preis­an­pas­sungs­klausel ihrerseits eine unzulässige Verschiebung des vereinbarten Äquiva­lenz­ver­hält­nisses in die umgekehrte Richtung, nämlich zugunsten der Beschwer­de­führerin bewirkt hätte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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