21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil14.07.2010

BGH zu Preiserhöhungen in Erdgas-SonderverträgenHinnahme einer erhöhten Jahres­a­b­rechnung kann als Zustimmung zu Preiserhöhungen ausgelegt werden

Der Bundes­ge­richtshof hat im Zusammenhang mit Klagen von Erdgas-Sonderkunden gegen Gaspreis­er­hö­hungen entschieden, dass die von dem Versor­gungs­un­ter­nehmen in älteren Verträgen verwendete Preis­än­de­rungs­klausel wirksam, die in jüngeren Verträgen verwendete Klausel hingegen unwirksam ist. Ferner hat der Bundes­ge­richtshof seine Rechtsprechung zu der Frage weiter entwickelt, in welchen Fällen die wider­spruchslose Hinnahme von Jahres­a­b­rech­nungen als Zustimmung zu einem erhöhten Preis angesehen werden kann.

Die Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls werden als Endverbraucher von der Beklagten, einem nordwest­deutschen Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, zum "Sondertarif I" (ab 1. April 2007 "E. Erdgas classic") leitungs­ge­bunden mit Erdgas beliefert. Das Unternehmen verwendete Auftrags­for­mulare für die Herstellung von neuen Gasanschlüssen, in denen es auszugsweise heißt:

"Der Auftrag erfolgt aufgrund der "Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts- und Gasversorgung von Tarifkunden"(AVBEltV/AVBGasV) vom 21. Juli 1979 einschließlich der "Ergänzenden Bestimmungen der EWE Aktien­ge­sell­schaft" in jeweils gültiger Fassung".

Seit 1. April 2007 verwendet das Unternehmen "Allgemeine Geschäfts­be­din­gungen für die Lieferung von Energie … außerhalb der Grundversorgung". Diese lauten auszugsweise wie folgt:

"4. Preisänderung

Der Erdgaspreis ändert sich, wenn eine Änderung der Preise der E. AG für die Grundversorgung eintritt; es ändert sich der Arbeitspreis um den gleichen Betrag in Cent/kWh, der Grundpreis um den gleichen Betrag in Euro/a. Die Preisänderung wird zu dem in der öffentlichen Bekanntgabe über die Änderung der Erdgaspreise genannten Zeitpunkt wirksam.

Im Falle einer Preisänderung hat der Kunde ein Sonder­kün­di­gungsrecht. Der Kunde ist berechtigt, das Vertrags­ver­hältnis mit zweiwöchiger Frist zum Wirksamwerden der Preisänderung zu kündigen."

Sachverhalt

Das Versor­gungs­un­ter­nehmen erhöhte seit dem 1. September 2004 in mehreren Schritten einseitig die Arbeitspreise für das gelieferte Erdgas. Die Kunden haben die Feststellung begehrt, dass die zwischen ihnen und der Beklagten jeweils bestehenden Gasver­sor­gungs­verträge über den 31. August 2004 hinaus zu einem nicht höheren als dem bis dahin geltenden Arbeitspreis im Sondertarif I fortbestehen.

Oberlan­des­gericht erklärt Preis­an­pas­sungs­klauseln teilweise für unwirksam

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen haben 56 der ursprünglich 66 Kläger Berufung eingelegt. Das Oberlan­des­gericht hat die Preis­an­pas­sungs­klauseln für unwirksam gehalten und festgestellt, dass die jeweils bestehenden Gasver­sor­gungs­verträge zu einem nicht höheren als dem bis zu bestimmten Zeitpunkten geltenden Arbeitspreis fortbestehen. Die genauen Zeitpunkte weichen hinsichtlich der einzelnen Kunden voneinander ab. Zehn Kunden hatten mit ihrer Klage in vollem Umfang Erfolg. Die Klagen der weiteren im Berufungs­ver­fahren noch vertretenen Kunden hatten nur hinsichtlich eines Teilzeitraums Erfolg; sie sind im Übrigen abgewiesen worden, weil die Kunden die auf den einseitigen Preiserhöhungen basierenden Jahres­a­b­rech­nungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hatten. Mit ihrer Revision hat die Beklagte die vollständige Klageabweisung angestrebt. Die 46 teilweise unterlegenen Kläger haben ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter verfolgt.

BGH bekräftigt bisherige Rechtsprechung zu Preis­an­pas­sungs­klauseln

Der Bundes­ge­richtshof hat seine Rechtsprechung bekräftigt, dass eine Preis­an­pas­sungs­klausel, die das im Bereich der Grundversorgung bestehende gesetzliche Preis­än­de­rungsrecht nach § 5 Abs. 2 GasGVV* (vor deren Inkrafttreten am 8. November 2006: das im Tarif­kun­den­ver­hältnis bestehende gesetzliche Preis­än­de­rungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV**) unverändert in einen Normson­der­kun­den­vertrag übernimmt, also davon nicht zum Nachteil des Kunden abweicht, einer Inhalts­kon­trolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB standhält (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 15.07.2009 - VIII 225/07 - und Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 15.07.2009 - VIII ZR 56/08 -).

Vor dem 1. April 2007 verwendete Preis­an­pas­sungs­re­gelung wirksam

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundes­ge­richtshof entschieden, dass die von dem Versor­gungs­un­ter­nehmen vor dem 1. April 2007 verwendete Preis­an­pas­sungs­re­gelung der Inhalts­kon­trolle standhält und somit wirksam ist. Sie gewährleistet in jeder Hinsicht eine sachliche Gleich­be­handlung von Tarifkunden und Sonderkunden. Durch die vollständige Einbeziehung des Wortlauts der AVBGasV wird das in § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV geregelte Preis­än­de­rungsrecht unverändert in die zwischen den Parteien bestehenden Sonder­kun­den­verträge übernommen.

Seit dem 1. April 2007 verwendete Preis­än­de­rungs­be­stimmung benachteiligt Kunden unangemessen und ist unwirksam

Hingegen ist die seit dem 1. April 2007 verwendete Preis­än­de­rungs­be­stimmung gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil sie die Kunden unangemessen benachteiligt. Zwar lässt sich der Klausel entnehmen, dass dem Unternehmen eine einseitige Preis­an­pas­sungs­be­fugnis zustehen soll und die Preise jeweils nominal an die entsprechenden Preise der Grundversorgung gekoppelt sein sollen. Es kommt aber ein Verständnis der Klausel in Betracht, nach dem – anders als bei dem gesetzlichen Preis­än­de­rungsrecht gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV – wegen der festen Koppelung der Preisänderungen an die Änderungen der Grund­ver­sor­gungs­preise kein Ermes­sens­spielraum besteht und deshalb keine Billigkeitskontrolle stattfindet. Die Preis­an­pas­sungs­re­gelung entspricht auch im Übrigen inhaltlich nicht voll der Regelung in § 5 Abs. 2 GasGVV. Denn nach der Klausel muss die Bekanntgabe der Preisänderung nicht mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen. Unerwähnt bleiben auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten weiteren Pflichten des Unternehmens (briefliche Mitteilung der beabsichtigten Änderung, Veröf­fent­lichung im Internet).

Kein Recht zur einseitigen Preisänderung aufgrund ergänzender Vertrags­aus­legung

Ein einseitiges Preis­än­de­rungsrecht des Versor­gungs­un­ter­nehmens ergibt sich für die Zeit ab 1. April 2007 auch nicht aus einer ergänzenden Vertrags­aus­legung. Denn der Wegfall der unwirksamen Preis­än­de­rungs­klausel führt nicht zu einem Ergebnis, das das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten der Kunden verschiebt und deshalb nicht mehr inter­es­sen­gerecht ist. Der Bundes­ge­richtshof hat allerdings offen gelassen, ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn es sich um ein langjähriges Gasver­sor­gungs­ver­hältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahres­a­b­rech­nungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht. Sind in einem solchen Fall die Geste­hungs­kosten des Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmens erheblich gestiegen und ergibt sich daraus für die betroffenen Zeiträume ein erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, lässt sich die Annahme eines nicht mehr inter­es­sen­ge­rechten Ergebnisses jedenfalls hinsichtlich der länger zurück liegenden Zeitabschnitte nicht ohne weiteres – wie im entschiedenen Fall – mit der Begründung verneinen, dass eine Kündi­gungs­mög­lichkeit bestand.

Vorbehaltlose Zahlung eines erhöhten Preises kann nicht als still­schweigende Zustimmung des Kunden zu dem erhöhten Preis angesehen werden

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben, soweit es die Klage von 46 Kunden teilweise abgewiesen hat, weil sie die auf den einseitigen Preiserhöhungen basierenden Jahres­a­b­rech­nungen ohne Beanstandung in angemessener Zeit akzeptiert hatten. Bei einer einseitigen Preiserhöhung eines Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmens aufgrund einer Preis­an­pas­sungs­klausel, die unwirksam oder – beispielsweise mangels ordnungsgemäßer Einbeziehung – nicht Vertrags­be­standteil ist, kann die vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Preises durch den Kunden nach Übersendung einer auf der Preiserhöhung basierenden Jahres­a­b­rechnung nicht als still­schweigende Zustimmung zu dem erhöhten Preis angesehen werden. Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält grundsätzlich über seinen Charakter als Erfül­lungs­handlung hinaus keine Aussage des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen.

Wird Preiserhöhung nicht in angemessener Zeit beanstandet, kann dies als Zustimmung der Billigkeit der Preiserhöhung ausgelegt werden

Allerdings hält der Bundes­ge­richtshof an seiner Rechtsprechung zur Billig­keits­kon­trolle (§ 315 Abs. 3 BGB***) von einseitigen Preiserhöhungen fest. Danach ist das Verhalten des Kunden, der nach Übersendung einer auf einer einseitigen Preiserhöhung basierenden Jahres­a­b­rechnung weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden, dahin auszulegen, dass er die Billigkeit der Preiserhöhung nicht in Frage stellt und ihr unter diesem Aspekt zustimmt (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 -). Dieser bisher nur für Tarif­kun­den­verträge geltende Grundsatz ist auch bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preis­an­pas­sungs­rechts gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 GasGVV) in einen Sonder­kun­den­vertrag anzuwenden, soweit der Kunde geltend macht, die umstrittenen Preiserhöhungen seien unbillig im Sinne des § 315 BGB. Eine weiter gehende Auslegung des Kunden­ver­haltens dahin, dass er nicht nur die Billigkeit der jeweiligen einseitigen Preisänderung, sondern – soweit es darauf ankommt – auch die Berechtigung des Versor­gungs­un­ter­nehmens zur einseitigen Preisänderung an sich akzeptiert, kommt jedoch nicht in Betracht.

Rückweisung der Sache an das OLG zur Feststellungen der Billigkeit der vor dem 1. April 2007 vorgenommenen Preiserhöhungen

Die Sache ist an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen worden, damit die nunmehr noch erforderlichen Feststellungen, unter anderem zur Billigkeit der vor dem 1. April 2007 vorgenommenen Preiserhöhungen, getroffen werden können. Soweit das Oberlan­des­gericht die Unwirksamkeit der nach dem 1. April 2007 erfolgten Preiserhöhungen festgestellt hat, ist das Berufungsurteil rechtskräftig.

*Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatz­ver­sorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz - Gasgrund­ver­sor­gungs­ver­ordnung (GasGVV)

§ 5 Art der Versorgung

(1) …

(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.

**Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV; gültig bis 7. November 2006)

§ 4 Art der Versorgung

(1) Das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugs­ver­hält­nissen des Unternehmens ergebenden Schwan­kungs­breite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach den allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.

***§ 315 BGB: Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertrag­s­chlie­ßenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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