21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil13.06.2007

BGH: Anfechtung von Gaspreis­er­hö­hungen nur sehr begrenzt möglichBundes­ge­richtshof verwirft Revision eines Verbrauchers

Gaspreis­er­hö­hungen können unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich gem. § 315 BGB überprüft werden. Das hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Die gerichtliche Überprüfung des Gaspreises ist jedenfalls dann möglich, wenn der Gasversorger die Preiserhöhung mit höheren Bezugskosten begründet. Geklagt hatte der als "Gaspreis-Rebell" bekannt gewordene pensionierte Heilbronner Richter Klaus von Waldeyer-Hartz. Der BGH wies die Klage ab.

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer von der Beklagten vorgenommenen Erhöhung der Gaspreise zum 1. Oktober 2004. Die Beklagte versorgt Endverbraucher im Bereich der Stadt Heilbronn mit Erdgas. Der Kläger ist Tarifgaskunde. Am 30. September 2004 gab die Beklagte ihren Tarifkunden durch Veröf­fent­lichung in der "Heilbronner Stadtzeitung" die Erhöhung der Gastarife bekannt. Der Arbeitspreis des Grund­prei­s­tarifs 3 des Klägers wurde von netto 3,47 Cent/kWh auf netto 3,84 Cent/kWh erhöht; der monatliche Grundpreis blieb unverändert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass "aufgrund einer Kosten­stei­gerung beim Bezug von Erdgas sich die Abgabepreise für Erdgas" erhöhen.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Gaspreis­er­höhung durch die Beklagte zum 1. Oktober 2004 unbillig und daher unwirksam sei. Das Amtsgericht hat die Unbilligkeit der Preiserhöhung festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte nur die gestiegenen Bezugspreise weitergegeben habe und die Preiserhöhung daher der Billigkeit entsprechen. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision erstrebte der Kläger die Wieder­her­stellung des amtsge­richt­lichen Urteils.

Der VIII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Er hat entschieden, dass § 315 BGB auf die streit­ge­gen­ständliche Preiserhöhung Anwendung findet und die vom Berufungs­gericht gemäß § 315 BGB vorgenommene Billig­keits­über­prüfung keinen Fehler aufweist. Das den Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen gemäß § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV) eingeräumte Recht, die allgemeinen Tarife durch öffentliche Bekanntmachung einseitig zu ändern, stellt ein gesetzliches Leistung­s­än­de­rungsrecht dar, auf das § 315 BGB Anwendung findet. Erfolgen solche Preiserhöhungen wegen gestiegener Bezugskosten, nimmt das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen sein berechtigtes Interesse wahr, Kosten­stei­ge­rungen während der Vertrags­laufzeit an die Kunden weiterzugeben. So verhielt es sich auch im vorliegenden Fall. Es konnte deshalb offen bleiben, ob eine Billig­keits­kon­trolle auch auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen vorgenommen werden kann.

Eine Überprüfung der Billigkeit der von der Beklagten mit ihrer Lieferantin vereinbarten Bezugspreise, die der Kläger wegen der so genannten Ölpreisbindung der Erdgaspreise beanstandet hatte, war im Rahmen der Billig­keits­über­prüfung der Tariferhöhung nicht vorzunehmen.

Der Bundes­ge­richtshof hatte nicht darüber zu entscheiden, ob die bereits vor der Preiserhöhung geforderten Tarife unbillig überhöht waren und die Beklagte eine etwaige Unbilligkeit im Rahmen der von ihr nach billigem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Weitergabe der gestiegenen Bezugskosten hätte berücksichtigen müssen. Eine Überprüfung der vor der Preiserhöhung geltenden Tarife der Beklagten auf ihre Billigkeit kam nicht in Betracht, weil es sich um zwischen den Parteien vereinbarte Preise handelte. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob die vor der streit­ge­gen­ständ­lichen Preiserhöhung vom 1. Oktober 2004 geltenden Tarife bereits bei Abschluss des Gaslie­fe­rungs­vertrags zwischen den Parteien galten oder ihrerseits wiederum durch in der Vergangenheit erfolgte Preiserhöhungen gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV zustande gekommen sind.

Handelte es sich bei den vor der streit­ge­gen­ständ­lichen Preiserhöhung geltenden Tarifen um die bereits bei Abschluss des Versor­gungs­ver­trages zwischen dem Kläger und der Beklagten geltenden (Anfangs-)preise, unterlagen sie keiner Billig­keits­kon­trolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB. § 315 Abs. 3 BGB findet auf einen zwischen den Parteien eines Gaslie­fe­rungs­vertrags vereinbarten Anfangspreis weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung. Die unmittelbare Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB kam nicht in Betracht, weil der bei Abschluss des Gaslie­fe­rungs­ver­trages bestehende Tarif mit Abschluss des Vertrages zum vereinbarten Preis geworden ist.

Auch eine entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB auf den zwischen den Parteien vereinbarten Anfangspreis schied vorliegend aus. Der Bundes­ge­richtshof geht zwar in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benut­zungs­ver­hält­nisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billig­keits­kon­trolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind. Diese Rechtsprechung war hier indessen nicht einschlägig. Es fehlte an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB. Die Beklagte war im Jahr 2004 zwar einzige Anbieterin leitungs­ge­bundener Gasversorgung im Versor­gungs­gebiet Heilbronn. Auf dem Wärmemarkt stand und steht sie aber – wie alle Gasversorger - in einem (Substitutions-)Wettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizener­gie­träger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme, zwischen denen Neukunden frei wählen können. Der von diesem Konkur­renz­ver­hältnis ausgehende Wettbe­wer­bsdruck, der den Preis­ge­stal­tungs­spielraum der Gasanbieter begrenzt, kommt wegen der Einheitlichkeit der Versor­gung­s­tarife auch "alten" Tarifkunden wie dem Kläger des vorliegenden Verfahrens zugute.

Handelte es sich dagegen bei den vor der streit­ge­gen­ständ­lichen Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 geltenden Tarifen der Beklagten um Tarife, die in der Vergangenheit durch von der Beklagten gemäß § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV vorgenommene Preiserhöhungen zustande gekommen waren, war § 315 BGB auf diese Preiserhöhungen zwar zunächst unmittelbar anwendbar. Der Kläger hätte diese – wie auch die streit­ge­gen­ständliche Preiserhöhung – auf ihre Billigkeit überprüfen lassen können. Der Berück­sich­tigung der etwaigen Unbilligkeit vergangener Preiserhöhungen im Rahmen der Überprüfung der hier streit­ge­gen­ständ­lichen Preiserhöhung zum 1. Oktober 2004 stand aber entgegen, dass der Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahres­a­b­rech­nungen unbeanstandet hingenommen hatte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 70/07 des BGH vom 13.06.2007

der Leitsatz

BGB § 315; EnWG 1998 § 10; AVBGasV § 4

a) Einseitige Tariferhöhungen eines Gasversorgers gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVB-GasV unterliegen der gerichtlichen Billig­keits­kon­trolle nach § 315 Abs. 3 BGB.

b) Die gerichtliche Billig­keits­kon­trolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB wird durch den Beseitigungs- und Unter­las­sungs­an­spruch nach § 19 Abs. 4 Nr. 4, § 33 GWB nicht verdrängt.

c) Die auf einer vorgelagerten Lieferstufe praktizierte Bindung des Erdgaspreises an den Preis für leichtes Heizöl (sog. Anleg­ba­r­keits­prinzip) ist nicht Gegenstand der Billig­keits­kon­trolle einer einseitigen Erhöhung des Gaspreises, den ein Gasversorger seinen Tarifkunden in Rechnung stellt.

d) Eine Tariferhöhung, mit der lediglich gestiegene Bezugskosten des Gasversorgers an die Tarifkunden weitergegeben werden, entspricht grundsätzlich der Billigkeit; sie kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg der Bezugskosten durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird.

e) Eine einseitige Erhöhung des Gastarifs kann unbillig sein, wenn und soweit bereits der vor der Erhöhung geltende Tarif unbillig überhöht war. Das setzt voraus, dass auch dieser Tarif der Billig­keits­kon­trolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegt. Daran fehlt es, wenn der Tarif zwischen dem Versorger und dem Tarifkunden vereinbart ist (im Anschluss an BGH, Urteil vom 28. März 2007 - VIII ZR 144/06, z.V. in BGHZ bestimmt).

f) Ein von dem Gasversorger einseitig erhöhter Tarif wird zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde die auf dem erhöhten Tarif basierende Jahres­a­b­rechnung des Versorgers unbeanstandet hinnimmt, indem er weiterhin Gas von diesem bezieht, ohne die Tariferhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB als unbillig zu beanstanden.

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