21.11.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss09.02.2011

BGH legt EuGH Fragen zur Auslegung von Klausel- und Gas-Richtlinien vorFür BGH keine unangemessene Benachteiligung erkennbar

Im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zur Zulässigkeit von Gaspreis­er­hö­hungen hat der Bundes­ge­richtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinien 93/13/EWG (Klausel-Richtlinie) und 2003/55/EG (Gas-Richtlinie) vorgelegt und erbittet dessen Vorab­ent­scheidung hinsichtlich der Voraussetzungen zur Verständ­lichkeit von Preiserhöhungs-Klauseln.

Der Kläger, die Verbrau­cher­zentrale Nordrhein-Westfalen e.V., verlangt von der Beklagten, einem Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen, aus abgetretenem Recht von 25 Haushaltskunden die Rückzahlung von Gasprei­s­ent­gelten, die diese in der Zeit von Januar 2003 bis Oktober 2005 auf Gaspreis­er­hö­hungen gezahlt haben. Der Kläger hält die Gaspreis­er­hö­hungen für unwirksam und fordert die gezahlten Erhöhungs­beträge zurück. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlan­des­gericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision.

BGH setzt Revision aus und erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Der Bundes­ge­richtshof hat das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und gemäß Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbrau­cher­ver­trägen (Klausel-Richtlinie)*** dahin auszulegen, dass Vertrags­klauseln über Preisänderungen in Gaslie­fe­rungs­ver­trägen mit Verbrauchern, die außerhalb der allgemeinen Versor­gungs­pflicht im Rahmen der allgemeinen Vertrags­freiheit beliefert werden (Sonderkunden), nicht den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen, wenn in diesen Vertrags­klauseln die für Tarifkunden im Rahmen der allgemeinen Anschluss- und Versor­gungs­pflicht geltenden gesetzlichen Regelungen unverändert in die Vertrags­ver­hältnisse mit den Sonderkunden übernommen worden sind?

2. Sind - soweit anwendbar - Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie****,****** in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie***** sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgas­bin­nenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (Gas-Richtlinie)******** dahin auszulegen, dass Vertrags­klauseln über Preisänderungen in Erdgas­lie­fe­rungs­ver­trägen mit Sonderkunden den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

Einseitige Preis­än­de­rungsrecht für Sonderkunden nur bei Vorhandensein entsprechender Vertragsklausel wirksam

Bei den Kunden der Beklagten handelt es sich zumindest teilweise um Sonderkunden. Für diese gilt das gesetzlich im Tarif­kun­den­ver­hältnis vorgesehene einseitige Preis­än­de­rungsrecht des Gasversorgers nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV nur dann, wenn es als Vertragsklausel wirksam vereinbart wird. Nach dem vorliegend zugrunde zu legenden Sachverhalt erfolgte eine derartige Vereinbarung im Wege der Bezugnahme in den Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen der Beklagten.

Schutz von Sonderkunden soll nicht weitergehen als der von Tarifkunden

Das Gericht geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass eine Preis­än­de­rungs­klausel, die das im Tarif­kun­den­ver­hältnis bestehende gesetzliche Preis­än­de­rungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV - einschließlich der insoweit bestehenden Kündi­gungs­mög­lich­keiten - unverändert in einen Sonder­kun­den­vertrag übernimmt, keine unangemessene Benachteiligung des Sonderkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB* darstellt. Dies gilt auch im Hinblick auf die Transparenz der Preis­än­de­rungs­klausel. Zwar enthält ein § 4 AVBGasV nachgebildetes vertragliches Preis­än­de­rungsrecht keine Angaben zu Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung. Gleichwohl ist eine solche Klausel wirksam, da der Schutz von Sonderkunden nicht weitergehen soll als derjenige, der Tarifkunden durch § 4 AVBGasV gewährt wird.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Die Vorlage dient einer Klärung der Frage, ob die Auffassung des Gerichts im Einklang mit den Anforderungen steht, die Art. 3 und 5 der Klausel-Richtlinie und Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richt­li­nie******* an eine klare und verständliche Abfassung von Vertrags­klauseln und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz stellen. Bezüglich der Klausel-Richtlinie ist vorab zu klären, ob diese überhaupt vertragliche Vereinbarungen erfasst, die inhaltlich mit Rechts­vor­schriften der Mitgliedstaaten übereinstimmen. Die Bestimmung des Anwen­dungs­be­reichs der Klausel-Richtlinie und die Auslegung der in ihr sowie in der Gas-Richtlinie enthaltenen Anforderungen an die Transparenz von Preis­än­de­rungs­klauseln in Erdgas­lie­fe­rungs­ver­trägen mit Verbrauchern sind dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten.

*§ 307 Abs. 1 BGB lautet:

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

**§ 4 AVBGasV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden) lautet auszugsweise:

(1) Das Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. (…)

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam. (…)

***Art. 1 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

Vertrags­klauseln, die auf bindenden Rechts­vor­schriften (…) beruhen, (…) unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.

****Art. 3 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerecht­fer­tigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht. (…)

(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.

*****Der Anhang zu Art. 3 Abs. 3 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass (…)

j)der Gewer­be­treibende die Vertrags­klauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann; (…)

2. (…) b)(…) Buchstabe j) steht (…) Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewer­be­treibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrages zu ändern, sofern es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen.

******Art. 5 der Klausel-Richtlinie lautet auszugsweise:

Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. (…)

*******Art. 3 Abs. 3 der Gas-Richtlinie lautet auszugsweise:

Die Mitgliedstaaten (…) gewährleisten einen hohen Verbrau­cher­schutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertrags­be­din­gungen, allgemeine Informationen und Streit­bei­le­gungs­ver­fahren.

********Anhang A der Gas-Richtlinie lautet auszugsweise:

(…) soll mit den in Artikel 2 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden (…)

rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertrags­be­din­gungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebüh­re­n­er­höhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrech­nungs­periode, die auf die Gebüh­re­n­er­höhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienst­leister mitgeteilt hat;

transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standa­rd­be­din­gungen für den Zugang zu Gasdienst­leis­tungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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