Neptune Distribution verkauft und vertreibt die kohlesäurehaltigen natürlichen Mineralwässer "Saint-Yorre" und "Vichy Célestins". 2009 forderte die französische Verwaltung Neptune Distribution auf, alle Angaben zu entfernen, die den Eindruck entstehen ließen, dass diese Wässer arm oder sehr arm an Salz oder Natrium seien. Dies betraf insbesondere die folgenden Angaben: "St-Yorre enthält nur ,53 g Salz (oder Natriumchlorid) pro Liter, d. h. weniger als in einem Liter Milch enthalten ist!!!"; "Vichy Celestins enthält nur ,39 g Salz pro Liter, d. h. zwei- bis dreimal weniger als in einem Liter Milch enthalten ist!" Neptune Distribution focht diese Entscheidung an.
Der in letzter Instanz mit der Sache befasste französische Conseil d’État (Staatsrat) möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Natriumgehalt der in Rede stehenden Wässer allein auf der Grundlage des Natriumchlorids (Tafelsalz) oder aber auf der Grundlage der in dem Getränk enthaltenen Gesamtmenge an Natrium in allen seinen Formen (also einschließlich Natriumbicarbonat) zu berechnen ist. Der Verbraucher könnte nämlich irregeführt werden, wenn ein Wasser sich als natrium- oder kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet darstelle, obwohl es reich an Natriumbicarbonat sei.
Sollte das Natriumbicarbonat bei der Berechnung des Natriumgehalts zu berücksichtigen sein, könnte – so der Conseil d’État – den Vertreibern natürlicher Mineralwässer die Möglichkeit genommen werden, Informationen herauszustellen, obwohl diese zuträfen, was die unternehmerische Freiheit sowie die Freiheit der Meinungsäußerung und der Information in der Werbung einschränken könnte. Da nämlich derzeit keine wissenschaftlichen Daten die Feststellung erlaubten, dass Natriumbicarbonat in gleichem Maß und Verhältnis wie Tafelsalz arteriellen Bluthochdruck verursache oder verstärke, könnte Natriumbicarbonat als für die menschliche Gesundheit weniger gefährlich angesehen werden als Natriumchlorid.
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben* die Angabe "sehr natriumarm/kochsalzarm" für natürliche Mineralwässer und andere Wässer nicht verwendet werden darf. Mit Blick auf die Richtlinie über natürliche Mineralwässer** können Angaben oder Hinweise, die beim Verbraucher den Eindruck entstehen lassen, dass diese Wässer natrium- oder kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, verwendet werden, wenn der Natriumgehalt jeweils unter 20 mg/l liegt.
Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber eine angemessene und transparente Information der Verbraucher über den Natriumgehalt der für den Gebrauch bestimmten Wässer gewährleisten wollte. Da Natrium Bestandteil verschiedener chemischer Verbindungen (u. a. Natriumchlorid und Natriumbicarbonat) ist, muss seine in den natürlichen Mineralwässern vorhandene Menge unabhängig von seiner chemischen Form unter Berücksichtigung seines Gesamtvorkommens in den betreffenden natürlichen Mineralwässern beurteilt werden. Der Verbraucher kann daher irregeführt werden, wenn die Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer sowie die Werbung für diese die Angabe enthalten, die Wässer seien natrium- oder kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet, obwohl sie tatsächlich 20 mg/l oder mehr Natrium enthalten.
Was die Gültigkeit des Verbots betrifft, auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer sowie in der Werbung für diese Angaben oder Hinweise zum niedrigen Gehalt dieser Wässer an Natriumchlorid oder Tafelsalz anzubringen, die den Verbraucher in Bezug auf den Natriumgesamtgehalt der fraglichen Wässer irreführen können, befindet der Gerichtshof, dass dieses Verbot gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, da es dem Bedürfnis entspricht, eine möglichst genaue und transparente Information des Verbrauchers zu gewährleisten. Darüber hinaus hält der Gerichtshof das Verbot für angemessen und erforderlich, um den Schutz der menschlichen Gesundheit in der Union sicherzustellen. Eine Gefahr für die menschliche Gesundheit durch einen übermäßigen Konsum von Natrium, das in verschiedenen chemischen Verbindungen, insbesondere in Natriumbicarbonat, vorhanden ist, kann nämlich nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, so dass das Vorsorgeprinzip den Erlass grundrechtsbeschränkender Maßnahmen rechtfertigt.
Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404, S. 9, und Berichtigung ABl. 2007, L 12, S. 3) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 107/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 (ABl. L 39, S. 8) geänderten Fassung.
** Richtlinie 2009/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. L 164, S. 45).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 23.12.2015
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online