21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil20.06.2013

Reinheitsgebot für "natürliches Mineralwasser" ohne normative Festlegung unzulässigFestgestellte Verun­rei­ni­gungen berechtigten nicht zur Ablehnung einer Anerkennung als "natürliches Mineralwasser"

Das Gebot "ursprünglicher Reinheit" der Mineral- und Tafel­wasser­verordnung fordert keine absolute Abwesenheit von Schadstoffen, sondern nur eine normative Reinheit. Die Grenze zwischen normativer Reinheit und Verunreinigung muss wegen ihrer Auswirkungen auf die Berufsfreiheit von Mineral­wasser­unternehmen in der Verordnung selbst bestimmt werden. Da dies derzeit nicht der Fall ist, können die Ablehnung einer Anerkennung als "natürliches Mineralwasser" und damit auch deren Widerruf nicht auf eine für die menschliche Gesundheit unschädliche Verunreinigung durch Abbauprodukte (Metaboliten) von Pflanzen­schutz­mitteln gestützt werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Verwaltungs­gerichts­hofs Baden-Württemberg hervor.

Im zugrunde liegenden Streitfall vertreiben die klagenden Mineral­was­ser­un­ter­nehmen gewerblich Mineralwasser. Im Brunnenwasser ihrer Quellen wurden Metaboliten von Pflan­zen­schutz­mitteln festgestellt, die nicht gesund­heits­schädlich sind. Das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart widerrief die für die Quellen erteilten amtlichen Anerkennungen und Nutzungs­ge­neh­mi­gungen, weil die Anforderungen der Mineral- und Tafel­was­ser­ver­ordnung (MTVO) an die "ursprüngliche Reinheit" eines natürlichen Mineralwassers nicht mehr erfüllt seien.

Behörde hat Ermessen rechtswidrig ausgeübt

Das Verwal­tungs­gericht hob die Widerrufe auf. Es sei zweifelhaft, ob das deutsche Recht mit einer einschlägigen EU-Richtlinie vereinbar sei. Jedenfalls habe die Behörde ihr Ermessen rechtswidrig ausgeübt, weil sie nicht erwogen habe, ein in dieser Richtlinie geregeltes Verfahren zur Festlegung von Grenzwerten durch die EU-Kommission anzustrengen.

Gesundheits- und Verbrau­cher­schutz rechtfertigt Gebot absoluter tatsächlicher Reinheit als Grund für Eingriff in Berufsfreiheit nicht

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat die Urteile des Verwal­tungs­ge­richts zwar im Ergebnis bestätigt, jedoch mit anderen Gründen. Schon die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf seien nicht erfüllt. Die festgestellten Verun­rei­ni­gungen berechtigten aus verfas­sungs­recht­lichen Gründen nicht dazu, die Anerkennung als "natürliches Mineralwasser" abzulehnen, so dass auch ein Widerruf ausscheide. Die Ablehnung der staatlichen Anerkennung als "natürliches Mineralwasser" wegen Nichtbeachtung bestimmter Quali­täts­an­for­de­rungen greife in die Berufsfreiheit von Mineral­was­ser­un­ter­nehmen ein. Das sei nur durch oder aufgrund eines Gesetzes zulässig. Daran fehle es. Die MTVO fordere, wovon auch der Beklagte ausgehe, keine absolute Abwesenheit von Schadstoffen, sondern nur eine normative Reinheit. Das sei auch verfas­sungs­rechtlich geboten. Denn Gesundheits- und Verbrau­cher­schutz oder der Schutz eines fairen unionsweiten Handels könnten ein Gebot absoluter tatsächlicher Reinheit als Grund für den Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertigen. Die Grenze zwischen anerken­nungs­fähigem und nicht anerken­nungs­fähigem Mineralwasser unter dem Gesichtspunkt von Verun­rei­ni­gungen müsse wegen ihrer Auswirkungen auf die Berufsfreiheit in der Verordnung selbst festlegt werden. Das sei nicht der Fall. Der vom Beklagten herangezogene "Orien­tie­rungswert" für Pflan­zen­schutz­mittel und Arzneimittel von ,05 µg/l sei nur in einer behör­den­in­ternen Verwal­tungs­vor­schrift festgelegt. Das ersetze die gebotene normative Regelung nicht. Auch auf eine einschlägige EU-Richtlinie könne insoweit nicht zu Lasten der Mineral­was­ser­un­ter­nehmen zurückgegriffen werden.

Absolute Reinheit eines "natürlichen Mineralwassers" nicht erforderlich

Schließlich fehle es auch an der weiteren Voraussetzung für einen Widerruf, dass ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Dies erfordere einen drohenden Schaden für den Staat, die Allgemeinheit oder wichtige Gemein­schaftsgüter. Das sei hier nicht der Fall, weil Gesundheits- und Verbrau­cher­schutz oder der Schutz eines fairen Handels die absolute Reinheit eines "natürlichen Mineralwassers" nicht erforderten.

Verfahren zur Festlegung von Grenzwerten durch die EU-Kommission kommt voraussichtlich nur bei grenz­über­schrei­tenden Sachverhalten in Frage

Darauf, ob der Widerruf aus den vom Verwal­tungs­gericht genannten Gründen ermes­sens­feh­lerhaft sei, komme es folglich nicht an. Es spreche allerdings vieles dafür, dass das vom Verwal­tungs­gericht bezeichnete Verfahren zur Festlegung von Grenzwerten durch die EU-Kommission nur bei grenz­über­schrei­tenden Sachverhalten in Frage komme.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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