21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Beschluss25.09.2019

BVerwG erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Vereinbarkeit der deutschen Regelung zur Vorrats­daten­speicherung mit dem UnionsrechtAusnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorrats­daten­speicherung würde Handlungs­spielraum im Bereich der Strafverfolgung und öffentlichen Sicherheit erheblich einschränken

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung der Daten­schutz­richtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) vorzulegen. Von der Klärung dieser Frage hängt die Anwendbarkeit der im Tele­kommunikations­gesetz enthaltenen Regelungen zur Vorrats­daten­speicherung ab.

Die Klägerinnen der beiden Ausgangs­ver­fahren erbringen öffentlich zugängliche Inter­net­zu­gangs­dienste bzw. Telefondienste für Endnutzer. Sie wenden sich gegen die ihnen durch § 113 a Abs. 1 i.V.m. § 113 b TKG in der Fassung des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 auferlegte Pflicht, Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­ver­kehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Die für eine Dauer von zehn Wochen zu speichernden Daten umfassen u.a. die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung oder der Internetnutzung bzw. die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs einer Kurznachricht, zugewiesene Inter­net­pro­tokoll-Adressen und Benut­zer­ken­nungen sowie Kennungen der Anschlüsse und Endgeräte. Für eine Dauer von vier Wochen zu speichern sind zudem Standortdaten, d.h. im Wesentlichen die Bezeichnung der bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzelle. Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten, Daten von E-Mail-Diensten sowie Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen, dürfen hingegen nicht gespeichert werden. Mit Ausnahme der Inter­net­pro­tokoll-Adresse dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten von den zuständigen Behörden nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden.

VG verneint Pflicht zur Speicherung von Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten

Das Verwal­tungs­gericht Köln stellte auf die Klagen fest, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die im Gesetz genannten Telekom­mu­ni­kations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang bzw. den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermitteln, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materi­ell­recht­lichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2016 geklärt. Gegen die erstin­sta­nz­lichen Entscheidungen hat die Beklagte, vertreten durch die Bundes­netz­agentur, jeweils Sprungrevision eingelegt.

Eingriff in geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation durch gesetzliche Speicherpflicht gerechtfertigt?

Die Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hängt davon ab, ob der durch die gesetzliche Speicherpflicht bewirkte Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation auf der Grundlage der Erlaubnisnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt ist. Zwar hat der EuGH abschließend geklärt, dass die Richtlinie auf nationale Regelungen der Vorratsspei­cherung anwendbar ist und dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unter­schiedslose Vorratsspei­cherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel vorsieht.

Deutsche Regelungen enthalten strenge Beschränkungen im Hinblick auf Schutz der gespeicherten Daten

Klärungsbedarf verbleibt jedoch in Bezug auf die Frage, ob eine nationale Regelung, die - wie § 113 a i.V.m. § 113 b TKG - eine Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorsieht, unter keinen Umständen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gestützt werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der von der Speicherpflicht erfassten Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mittel und die Speicherdauer gegenüber den schwedischen und britischen Regelungen, über die der EuGH zu entscheiden hatte, reduziert ist. Ferner enthalten die deutschen Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu. Außerdem besteht angesichts des mit den neuen Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­mitteln verbundenen spezifischen Gefah­ren­po­tenzials ein Spannungs­ver­hältnis zwischen den in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz perso­nen­be­zogener Daten einerseits und der aus Art. 6 GRC folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, andererseits. Ein ausnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorrats­da­ten­spei­cherung würde den Handlungs­spielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich einschränken und sich damit tendenziell auch von der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention entfernen.

Gerichte zweifeln an generellem Verbot einer anlasslosen Vorrats­da­ten­spei­cherung gemäß EuGH-Entscheidung

Schließlich geht aus verschiedenen beim EuGH bereits anhängigen Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21. Dezember 2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorrats­da­ten­spei­cherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer "Kompensation" durch restriktive Zugriffs­re­ge­lungen und hohe Sicher­heits­an­for­de­rungen überwunden werden kann.

Speicherpflicht würde Eingriff in garantierte unter­neh­me­rische Freiheit darstellen

Führt das Vorab­ent­schei­dungs­ver­fahren zu dem Ergebnis, dass § 113 a i.V.m. § 113 b TKG unions­rechts­widrig ist, sind die Klägerinnen auch in ihren Rechten verletzt. Denn die Speicherpflicht stellt einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unter­neh­me­rische Freiheit der Klägerinnen dar. Verstoßen diese Regelungen gegen Unionsrecht, dürfen sie wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. Dann ist diese Grund­recht­s­ein­schränkung nicht i.S.d. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC "gesetzlich vorgesehen".

Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm/kg)

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