23.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil02.03.2017

Zugang zu Betäu­bungs­mitteln zur schmerzlosen Selbsttötung darf in extremen Ausnahmefällen nicht verwehrt werdenBundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hätte Prüfung eines Ausnahmefalls vornehmen müssen

Das allgemeine Persönlichkeits­recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln. Daraus kann sich im extremen Einzelfall ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäu­bungs­mittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht. Dies entschied das Bundes­verwaltungs­gericht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehefrau des Klägers litt seit einem Unfall im Jahr 2002 unter einer hochgradigen, fast kompletten Querschnitts­lähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidens­si­tuation hatte sie den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Ihren Sterbewunsch hatte sie mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten, einem Psychologen, dem Pflegepersonal und einem Geistlichen besprochen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäu­bungs­mittels. Das BfArM lehnte den Antrag im Dezember 2004 ab, weil eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung nicht vom Zweck des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes gedeckt sei. Im Februar 2005 reisten der Kläger und seine Frau in die Schweiz, wo sie sich mit Unterstützung eines Vereins für Sterbehilfe das Leben nahm.

Vorinstanzen halten Versagung der beantragten Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes für gerechtfertigt

Die nach erfolglosem Wider­spruchs­ver­fahren erhobene Klage auf Feststellung, dass der Versa­gungs­be­scheid rechtswidrig und das BfArM zur Erlaub­ni­s­er­teilung verpflichtet gewesen sei, wies das Verwal­tungs­gericht Köln im Februar 2006 als unzulässig ab. Es war der Auffassung, dass der Kläger nicht klagebefugt sei, weil er durch die Ablehnung der von seiner Ehefrau beantragten Erlaubnis nicht in eigenen Rechten verletzt sein könne. Das Rechtsmittel vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Münster sowie die Verfas­sungs­be­schwerde beim Bundes­ver­fas­sungs­gericht blieben ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied mit Urteil vom 19. Juli 2012, dass der Kläger aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK) einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften. In dem daraufhin wieder­auf­ge­nommenen Klageverfahren wurde das Feststel­lungs­be­gehren des Klägers von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen. Das BfArM habe zu Recht angenommen, dass die beantragte Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes zu versagen sei. Darin liege auch weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der EMRK.

Patienten in Extrem­si­tua­tionen darf Zugang zu Betäu­bungs­mitteln zur würdigen und schmerzlosen Selbsttötung nicht verwehrt werden

Auf die Revision des Klägers hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die Urteile der Vorinstanzen geändert und festgestellt, dass der Versa­gungs­be­scheid des BfArM rechtswidrig gewesen ist. Im Übrigen hat es die Revision zurückgewiesen. Nach den Vorschriften des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes ist es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäu­bungs­mittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Hiervon ist im Lichte des genannten Selbst­be­stim­mungs­rechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidens­si­tuation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative - etwa durch einen pallia­tiv­me­di­zinisch begleiteten Behand­lungs­abbruch - zur Verfügung steht. Ihnen darf der Zugang zu einem verkehrs- und verschrei­bungs­fähigen Betäu­bungs­mittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaubt, nicht verwehrt sein. Deshalb hätte das BfArM prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben war. Diese Prüfung lässt sich nach dem Tod der Ehefrau des Klägers nicht mehr nachholen. Eine Zurück­ver­weisung der Streitsache an die Vorinstanz zur weiteren Sachver­halts­auf­klärung scheidet daher ebenso aus wie die Feststellung, dass das BfArM zur Erlaub­ni­s­er­teilung verpflichtet gewesen wäre.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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