03.12.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.07.2010

Neuregelung der steuerlichen Berück­sich­tigung eines häuslichen Arbeitszimmers verfas­sungs­widrigVerstoß gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Die mit dem Steuer­än­de­rungs­gesetz 2007 in Kraft getretene Änderung zu den Abzugs­mög­lich­keiten für Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer ist verfas­sungs­widrig. Die Neuregelung stellt einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar, soweit die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann von der steuerlichen Berück­sich­tigung ausgeschlossen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor.

Mit dem Jahressteu­er­gesetz 1996 wurde in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG die steuerliche Berück­sich­tigung von Aufwendungen für ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzte häusliche Arbeitszimmer als Betriebsausgaben oder Werbungskosten erstmals eingeschränkt. Eine Ausnahme vom grundsätzlich geregelten Verbot des Abzugs solcher Aufwendungen galt danach dann, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeiten betrug oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Eine unbeschränkte Abzugs­mög­lichkeit war darüber hinaus nur noch zugelassen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildete. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat in seinem Urteil vom 7. Dezember 1999 die Verfas­sungs­mä­ßigkeit dieser Einschränkung bejaht.

Arbeitszimmer muss Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilden

Mit dem Steuer­än­de­rungs­gesetz 2007 wurde die Abzugs­mög­lichkeit weiter eingeschränkt. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG erlaubt den Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nur noch, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens, der beruflich als Haupt­schul­lehrer tätig ist, nutzte täglich für zwei Stunden ein ausschließlich beruflich genutztes häusliches Arbeitszimmer. Die von ihm beantragte Zuweisung eines Arbeitsplatzes in der Schule zur Vor- und Nachbereitung des Unterrichts war vom Schulträger abgelehnt worden. Das Finanzamt ließ die vom Kläger in seiner Einkom­men­steu­e­r­er­klärung für das Jahr 2007 geltend gemachten Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer unberück­sichtigt. Die deswegen vor dem Finanzgericht erhobene Klage führte zur Vorlage des Finanzgerichts.

Neuregelung verstößt gegen den Gleichheitssatz

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat mit einer Mehrheit von 5:3 Stimmen entschieden, dass die Neuregelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, soweit die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann von der steuerlichen Berück­sich­tigung ausgeschlossen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, rückwirkend auf den 1. Januar 2007 durch Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG den verfas­sungs­widrigen Zustand zu beseitigen. Die Gerichte und Verwal­tungs­be­hörden dürfen die Vorschrift im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht mehr anwenden, laufende Verfahren sind auszusetzen.

Betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen als Betrie­bs­ausgaben oder Werbungskosten von der Bemes­sungs­grundlage abziehbar

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Der allgemeine Gleichheitssatz verlangt vom Einkom­men­steu­er­ge­setzgeber eine an der finanziellen Leistungs­fä­higkeit ausgerichtete hinreichend folgerichtige Ausgestaltung seiner Belas­tungs­ent­schei­dungen. Die für die Lasten­gleichheit im Einkom­men­steu­errecht maßgebliche finanzielle Leistungs­fä­higkeit bemisst sich unter anderem nach dem objektiven Nettoprinzip. Danach sind betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen als Betrie­bs­ausgaben oder Werbungskosten von der Bemes­sungs­grundlage abziehbar. Benach­tei­ligende Ausnahmen von dieser Belas­tungs­grun­d­ent­scheidung des Einkom­men­steu­er­ge­setz­gebers bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, um den Anforderungen des allgemeinen Gleich­heits­satzes zu genügen.

Daran fehlt es hier. Die im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren angeführten fiskalischen Gründe sind nicht geeignet, die Neuregelung vor dem allgemeinen Gleichheitssatz zu rechtfertigen. Das Ziel der Einnah­men­ver­mehrung stellt für sich genommen keinen hinreichenden sachlichen Grund für Ausnahmen von einer folgerichtigen Ausgestaltung einkom­men­steu­er­recht­licher Belas­tungs­ent­schei­dungen dar. Denn dem Ziel der Einnah­men­ver­mehrung dient jede, auch eine willkürliche steuerliche Mehrbelastung.

Abzugsverbot wird Anforderungen einer reali­täts­ge­rechten Typisierung nicht gerecht

Darüber hinaus verfehlt die Neuregelung das Gebot einer hinreichend reali­täts­ge­rechten Typisierung, soweit Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer auch dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Denn der Mangel eines alternativen Arbeitsplatzes, der sich durch die Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitgebers ohne weiteres nachweisen lässt, liefert eine leicht nachprüfbare Tatsachenbasis für die Feststellung der tatsächlich betrieblichen oder beruflichen Nutzung und damit die Möglichkeit einer typisierenden Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre. Dagegen ist die Ermittlung und Bestimmung der nach der Neuregelung vom Abzugsverbot ausgenommenen Kosten eines Arbeitszimmers, das den "qualitativen Mittelpunkt" der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit bildet, offenkundig aufwendig und streitanfällig. Gemessen an den Zielen des Gesetzes - Vereinfachung, Streit­ver­meidung und Gleichmäßigkeit der Besteuerung - wird das Abzugsverbot, soweit es die Fallgruppe "kein anderes Arbeitszimmer" betrifft, den Anforderungen einer reali­täts­ge­rechten Typisierung daher nicht gerecht.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht: Ausdehnung des Abzugsverbotes verstößt dennoch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

In Erweiterung der verfas­sungs­recht­lichen Prüfung hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht jedoch entschieden, dass die Ausdehnung des Abzugsverbotes nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, soweit davon nunmehr auch Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer erfasst sind, das zu mehr als 50 % der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzt wird. Der Umfang der Nutzung des Arbeitszimmers ist allenfalls ein schwaches Indiz für dessen Notwendigkeit, wenn dem Steuer­pflichtigen von seinem Arbeitgeber ein weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. Es fehlt zudem an leicht nachprüfbaren objektiven Anhaltspunkten für die Kontrolle der Angaben des Steuer­pflichtigen zum Umfang der zeitlichen Nutzung des Arbeitszimmers.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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