21.11.2024
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Dokument-Nr. 13926

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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.07.2012

Grund­e­r­wer­bs­steu­errecht: Ungleich­be­handlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern verfas­sungs­widrigSchutzgebot der Ehe und Familie rechtfertigt nicht die Differenzierung zwischen eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten

§ 3 Nr. 4 GrEStG a. F. sowie auch die übrigen Befrei­ungs­vor­schriften des § 3 GrEStG a. F. sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit sie eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten von der Grund­e­r­wer­b­steuer befreien. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2012 eine Neuregelung für die Altfälle zu treffen, die die Gleich­heits­verstöße rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Einführung des Instituts der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft zum 1. August 2001 bis zum Inkrafttreten des Jahressteu­er­ge­setzes 2010 beseitigt. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Mit dem am 14. Dezember 2010 in Kraft getretenen Jahressteu­er­gesetz 2010 hat der Gesetzgeber die eingetragenen Lebenspartner den Ehegatten hinsichtlich sämtlicher für sie geltenden grund­e­r­wer­b­steu­er­lichen Befreiungen gleichgestellt. Diese Neufassung des Grund­e­r­wer­b­steu­er­ge­setzes (GrEStG) gilt jedoch nicht rückwirkend, sondern ist auf Erwerbsvorgänge nach dem 13. Dezember 2010 beschränkt. Für alle noch nicht bestands­kräftigen Altfälle ab Inkrafttreten des Leben­s­part­ner­schafts­ge­setzes am 1. August 2001 gelten daher weiterhin die Bestimmungen des Grund­e­r­wer­b­steu­er­ge­setzes in der Fassung von 1997 (GrEStG a. F.), das für eingetragene Lebenspartner - anders als für Ehegatten - keine Ausnahme von der Besteuerung des Grunderwerbs vorsieht. Nach der für das Ausgangs­ver­fahren maßgebenden Regelung des § 3 Nr. 4 GrEStG a. F. ist der Grund­s­tück­s­erwerb durch den Ehegatten des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit. Von der Besteuerung ausgenommen ist auch der Grund­s­tück­s­erwerb im Rahmen der Vermö­gen­s­aus­ein­an­der­setzung nach der Scheidung durch den früheren Ehegatten des Veräußerers (§ 3 Nr. 5 GrEStG a. F.). Ferner sieht § 3 GrEStG a. F. - vorwiegend aus güter­recht­lichen Gründen - weitere Befrei­ungs­vor­schriften für Ehegatten vor.

Klage richtet sich gegen festgesetzte Grund­e­r­wer­bs­steuer

Die Kläger des Ausgangs­ver­fahrens sind eingetragene Lebenspartner und schlossen im Rahmen ihrer Trennung im Jahre 2009 eine Ausein­an­der­set­zungs­ver­ein­barung, mit der sie sich wechselseitig ihre Mitei­gen­tums­anteile an zwei jeweils zur Hälfte in ihrem Eigentum stehenden Immobilien zum Zwecke des jeweiligen Alleineigentums übertrugen. Ihre gegen die jeweils festgesetzte Grund­e­r­wer­b­steuer gerichteten Klagen führten zur Vorlage durch das Finanzgericht, das die Vorschrift des § 3 Nr. 4 GrEStG a. F. wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz für verfassungswidrig hält. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass § 3 Nr. 4 GrEStG a. F. sowie auch die übrigen Befrei­ungs­vor­schriften des § 3 GrEStG a. F. mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind, soweit sie eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten von der Grund­e­r­wer­b­steuer befreien.

Schlech­ter­stellung der Lebenspartner im Grund­e­r­wer­bs­steu­er­gesetz nicht gerechtfertigt

1. Die Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern hinsichtlich der Befreiung von der Grund­e­r­wer­b­steuer muss sich - neben den spezifisch steuer­recht­lichen Ausprägungen des Gleich­heits­satzes - an strengen Verhält­nis­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen messen lassen, weil die Differenzierung an die sexuelle Orientierung von Personen anknüpft. Hinreichend gewichtige Unterschiede, welche die Schlech­ter­stellung der Lebenspartner im Grund­e­r­wer­b­steu­er­gesetz in der Fassung von 1997 rechtfertigen könnten, bestehen nicht.

Eingetragene Lebenspartner familien- und erbrechtlich sowie persönlich und wirtschaftlich mit Ehegatten gleichgestellt

Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern lässt sich nicht unter familien und erbrechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigen. Eingetragene Lebenspartner sind Ehegatten familien- und erbrechtlich gleichgestellt sowie persönlich und wirtschaftlich in gleicher Weise in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft miteinander verbunden. Die der Steuerbefreiung zugrun­de­liegende gesetz­ge­be­rische Vermutung, dass Grund­s­tücks­über­tra­gungen zwischen Ehegatten wie bei den ebenfalls steuerbefreiten nahen Verwandten häufig zur Regelung famili­en­recht­licher Ansprüche der Ehegatten untereinander oder in Vorwegnahme eines Erbfalls erfolgen, gilt daher ebenso für eingetragene Lebenspartner. Des Weiteren begründet die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft ebenso wie die Ehe eine gegenseitige Unterhalts- und Einstands­pflicht, so dass die Ungleich­be­handlung auch nicht mit einem aus besonderen rechtlichen Bindungen gespeisten Familienprinzip zu rechtfertigen ist.

Pflicht des Staates Ehe und Familie zu schützen rechtfertigt nicht Schlech­ter­stellung von Lebenspartnern

Schließlich kann die Schlech­ter­stellung der Lebenspartner gegenüber den Ehegatten auch nicht mit der in der Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Pflicht des Staates, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, gerechtfertigt werden. Geht die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebens­sach­verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht (vgl. BVerfG, Beschluss v. 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07 - = BVerfGE 124, 199; BVerfG, Beschluss v. 21.07.2010 - 1 BvR 611/07/ 1 BvR 2464/07 - = BVerfGE 126, 400).

Gesetzgeber von rückwirkender Beseitigung der verfas­sungs­widrigen Rechtslage nicht entbunden

2. Es besteht keine Veranlassung, den Gesetzgeber von der Pflicht zur rückwirkenden Beseitigung der verfas­sungs­widrigen Rechtslage zu entbinden. Insbesondere ist die Weitergeltung der für verfas­sungs­widrig erklärten Befrei­ungs­vor­schriften nicht wegen einer zuvor nicht hinreichend geklärten Verfas­sungs­rechtslage anzuordnen. Eine solche, von der grundsätzlichen Rückwirkung sowohl einer Nichtigkeits- als auch Unver­ein­ba­r­keits­er­klärung abweichende Anordnung kommt nur im Ausnahmefall in Betracht und bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Allein die Erkenntnis des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, dass ein Gesetz gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstößt, vermag indessen nicht ohne weiteres eine in diesem Sinne zuvor ungeklärte Verfas­sungs­rechtslage zu indizieren und damit den Gesetzgeber von einer Pflicht zur rückwirkenden Behebung verfas­sungs­widriger Zustände zu befreien.

Die Ungleich­be­handlung der eingetragenen Lebenspartner war seit Einführung dieses Instituts und der bereits zum 1. August 2001 weitgehenden Gleichstellung eingetragener Lebenspartner mit Ehegatten - vor allem im Familien- und Erbrecht - erkennbar. Zudem hatte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht schon mit seiner Entscheidung vom 17. Juli 2002 zum Leben­s­part­ner­schafts­gesetz ein Abstandsgebot verneint (vgl. BVerfG, Urteil v. 17.07.2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01 - = BVerfGE 105, 313) und damit die Grundlage für die Entscheidungen zur Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung sowie zur Erbschaft- und Schenkungsteuer geschaffen, nach denen Art. 6 Abs. 1 GG allein eine Ungleich­be­handlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern je nach geregeltem Sachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen nicht rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07 - = BVerfGE 124, 199; BVerfG, Beschluss v. 21.07.2010 - 1 BvR 611/07/ 1 BvR 2464/07 - = BVerfGE 126, 400).

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

der Leitsatz

Es verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass eingetragene Lebenspartner vor Inkrafttreten des Jahressteu­er­ge­setzes 2010 nicht wie Ehegatten von der Grund­e­r­wer­b­steuer befreit sind.

Eine von der grundsätzlichen Rückwirkung sowohl einer Nichtigkeits- als auch einer Unver­ein­ba­r­keits­er­klärung abweichende Anordnung der Weitergeltung eines als verfas­sungs­widrig erkannten Gesetzes durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht wegen zuvor nicht hinreichend geklärter Verfas­sungs­rechtslage kommt nur im Ausnahmefall in Betracht und bedarf einer besonderen Rechtfertigung.

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