23.11.2024
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Dokument-Nr. 13886

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Beschluss19.06.2012Bundesverfassungsgericht2 BvR 1397/09
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 131, 239Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 131, Seite: 239
  • FamRZ 2012, 1472Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2012, Seite: 1472
  • JuS 2013, 758Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 758
  • NVwZ 2012, 1304Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2012, Seite: 1304
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss19.06.2012

Ungleich­be­handlung von eingetragener Leben­s­part­ner­schaft und Ehe beim beamten­recht­lichen Famili­en­zu­schlag verfas­sungs­widrigBundes­verfassungs­gericht rügt Verstoß gegen allgemeinen Gleichheitssatz

Die Ungleich­be­handlung von eingetragener Leben­s­part­ner­schaft und Ehe beim beamten­recht­lichen Famili­en­zu­schlag (§ 40 Abs. 1 Nr. 1 Bundes­besoldungs­gesetz - BBesG) ist seit dem 1. August 2001 unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Dem Verfahren liegt die Verfas­sungs­be­schwerde eines seit 2002 in einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft lebenden Bundesbeamten zugrunde, dessen Antrag auf Zahlung des Famili­en­zu­schlages im Jahr 2003 abgelehnt wurde. Seine hiergegen gerichtete Klage blieb vor den Verwal­tungs­ge­richten ohne Erfolg.

Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG

Da während des anhängigen Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens die Ungleichbehandlung von Ehe und Leben­s­part­ner­schaft im Bundes­be­sol­dungsrecht rückwirkend zum 1. Januar 2009 beseitigt worden ist, hatte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur noch über die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Rechtslage zu befinden. Ferner hat der Senat entschieden, dass die angegriffenen, auf der verfas­sungs­widrigen Norm beruhenden Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen.

Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist daher auch ein gleich­heits­widriger Begüns­ti­gungs­aus­schluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird.

Im Fall der Ungleich­be­handlung Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit streng zu beachten

Im Fall der Ungleich­be­handlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhält­nis­mä­ßig­keits­grund­satzes; dies gilt auch dann, wenn eine Ungleich­be­handlung von Sachverhalten (nur) mittelbar eine Ungleich­be­handlung von Personengruppen bewirkt. Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer ungleichen Behandlung von Personengruppen sind umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden perso­nen­be­zogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleich­be­handlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies ist etwa bei Diffe­ren­zie­rungen nach der sexuellen Orientierung der Fall.

Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau hat eigenständigen verfas­sungs­recht­lichen Schutz

Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit garantiert die Verfassung nicht nur das Institut der Ehe, sondern gebietet als verbindliche Wertent­scheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung. Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch Art. 6 Abs. 1 GG einen eigenständigen verfas­sungs­recht­lichen Schutz. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.

Ehe darf als dauerhafte Paarbeziehung gegenüber anderen Lebensformen begünstigt werden

Wegen des verfas­sungs­recht­lichen Schutz- und Förderauftrages ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, die Ehe als rechtlich verbindliche und in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstands­pflichten (etwa bei Krankheit oder Mittellosigkeit) ausgestattete dauerhafte Paarbeziehung gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Die Wertent­scheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Diffe­ren­zie­rungsgrund, der in erster Linie zur Rechtfertigung einer Besserstellung der Ehe gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebens­ge­mein­schaften geeignet ist.

Privilegierung der Ehe bei gleichzeitiger Benachteiligung vergleichbarer Lebensformen nicht gerechtfertigt

Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich verfasster Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebens­sach­verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zwecken vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung indes nicht. In solchen Fällen bedarf es jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungs­ge­genstand und -ziel die Benachteiligung dieser anderen Lebensformen rechtfertigt.

Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft ungerecht­fertigt

Allein der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG vermag die Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft nicht zu rechtfertigen. Es fehlt auch an weiteren sachlichen Gründen für die Rechtfertigung der Besserstellung verheirateter Beamter.

Gegenseitige Einstands­pflichten in Ehe und Leben­s­part­ner­schaft bereits weitgehend angeglichen

In den Grundstrukturen der famili­en­recht­lichen Institute der Ehe und der Leben­s­part­ner­schaft bestehen bereits seit Einführung der Leben­s­part­ner­schaft im Jahr 2001 nur wenige Unterschiede. Insbesondere sind der Grad der rechtlichen Bindung und die gegenseitigen Einstands­pflichten bereits seit dem Leben­s­part­ner­schafts­gesetz des Jahres 2001 in Ehe und Leben­s­part­ner­schaft weitgehend angeglichen. Mit dem zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Überarbeitung des Leben­s­part­ner­schafts­rechts vom 15. Dezember 2004 wurde das Recht der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft noch näher an das Eherecht angeglichen und auf die Normen zur Ehe in weitem Umfang Bezug genommen.

Grund für Privilegierung verheirateter Beamter im Verhältnis zu in eingetragener Leben­s­part­ner­schaft lebenden Beamten nicht ersichtlich

Tragfähige sachliche Gründe für die Rechtfertigung der Ungleich­be­handlung von verheirateten und in eingetragener Leben­s­part­ner­schaft lebenden Beamten ergeben sich nicht aus dem Normzweck des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG. Dem ehegat­ten­be­zogenen Teil des Famili­en­zu­schlags kommt eine „soziale, nämlich famili­en­be­zogene Ausgleichs­funktion“ zu, mit der im Interesse der Funkti­o­ns­fä­higkeit des Berufsbeamten- und Richtertums zur Unabhängigkeit auch des verheirateten Bediensteten beigetragen werden soll. Soweit § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG verheirateten Beamten einen Anspruch auf Familienzuschlag der Stufe 1 gewährt, soll er faktische Mehrbedarfe verheirateter Beamter vor allem im Vergleich zu ledigen Beamten ausgleichen. Dieser Gesetzeszweck kann eine Privilegierung verheirateter Beamter im Verhältnis zu in eingetragener Leben­s­part­ner­schaft lebenden Beamten nicht rechtfertigen, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass die mit § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG auszu­glei­chenden Mehrbedarfe nicht ebenso bei in eingetragener Leben­s­part­ner­schaft lebenden Beamten bestehen.

Gesetzgeber muss festgestellten Verfas­sungs­verstoß rückwirkend beseitigen

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfas­sungs­verstoß für die in einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft lebenden Beamten, die ihren Anspruch auf Auszahlung des Famili­en­zu­schlags zeitnah geltend gemacht haben, rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft mit Wirkung zum 1. August 2001 zu beseitigen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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