21.11.2024
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Dokument-Nr. 8649

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Beschluss07.07.2009Bundesverfassungsgericht1 BvR 1164/07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 124, 199Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 124, Seite: 199
  • DVBl 2009, 1510Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2009, Seite: 1510
  • FamRZ 2009, 1977Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2009, Seite: 1977
  • MDR 2009, 1392Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2009, Seite: 1392
  • NJW 2010, 1439Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 1439
  • VersR 2009, 1607Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 2009, Seite: 1607
  • VuR 2010, 73Zeitschrift: Verbraucher und Recht (VuR), Jahrgang: 2010, Seite: 73
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss07.07.2009

Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenen­rente verfas­sungs­widrigBundes­verfassungs­gericht sieht Grundrecht auf Gleich­be­handlung verletzt

Anders als bei der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung gibt es im Rahmen der Zusatz­ver­sorgung der betrieblichen Hinter­bliebenen­versorgung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nach der Satzung der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder keine Hinterbliebenen­rente für eingetragene Lebenspartner. Eine hiergegen gerichtete Verfassungs­beschwerde war erfolgreich, da es sich hier um eine Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft handelt und das Grundrecht auf Gleich­be­handlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Im zugrunde liegenden Fall wandte sich der Beschwer­de­führer, der in einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft lebt, erfolglos vor den Zivilgerichten gegen die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft im Bereich der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nach der Satzung der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder .

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gab seiner Verfas­sungs­be­schwerde nun statt und hob das letzt­in­sta­nzliche Urteil des Bundes­ge­richtshofs insoweit auf und wies die Sache an ihn zurück.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Begünstigung darf nicht bestimmtem Personenkreis vorenthalten werden

1. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleich­heits­widriger Begüns­ti­gungs­aus­schluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Die Satzung der VBL ist ungeachtet ihrer privat­recht­lichen Natur unmittelbar am Gleich­heitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen, da die VBL als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt.

Regelung zur Hinter­blie­be­nenrente führt zu Ungleich­be­handlung

2. Die Regelung zur Hinter­blie­be­nenrente in der Satzung der VBL (§ 38 VBLS) führt zu einer Ungleich­be­handlung zwischen Versicherten, die verheiratet sind, und solchen, die in einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft leben. Ein verheirateter Versicherter hat als Teil seiner eigenen zusatz­ren­ten­recht­lichen Position eine Anwartschaft darauf, dass im Falle seines Versterbens sein Ehegatte eine Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung erhält. Ein Versicherter, der eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft begründet hat, erlangt eine solche Anwartschaft für seinen Lebenspartner nicht.

Ungleich­be­handlung verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt

3. Diese Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft ist verfas­sungs­rechtlich nicht gerechtfertigt.

a) Im Hinblick auf die Ungleich­be­handlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern nach § 38 VBLS ist ein strenger Maßstab für die Prüfung geboten, ob ein hinreichend gewichtiger Diffe­ren­zie­rungsgrund vorliegt. Ein besonderer Recht­fer­ti­gungs­bedarf folgt daraus, dass die Ungleich­be­handlung von Ehepartnern und eingetragenen Lebenspartnern das perso­nen­be­zogene Merkmal der sexuellen Orientierung betrifft und dass die Regelung der Satzung der VBL zur Hinter­blie­be­nenrente sich weitgehend an den Regelungen des SGB VI zur Witwen- und Witwerrente orientiert, diese Anknüpfung aber zu Lasten der eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft durchbricht.

Keine sachlichen Gründe für Ungleich­be­handlung vorhanden

b) Zur Begründung der Ungleich­be­handlung reicht hier die bloße Verweisung auf die Ehe und ihren Schutz nicht aus. Tragfähige sachliche Gründe für eine Ungleich­be­handlung im Bereich der betrieblichen Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung liegen nicht vor und ergeben sich insbesondere auch nicht aus einer Ungleichheit der Lebenssituation von Eheleuten und Lebenspartnern. Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Um dem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Dem Gesetzgeber ist es grundsätzlich nicht verwehrt, sie gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Die ehebe­güns­ti­genden Normen bei Unterhalt, Versorgung und im Steuerrecht können ihre Berechtigung in der gemeinsamen Gestaltung des Lebensweges der Ehepartner und in der auf Dauer übernommenen, auch rechtlich verbindlichen Verantwortung für den Partner finden.

Gründe, die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, liegen nicht vor

Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebens­sach­verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Denn aus der Befugnis, in Erfüllung und Ausgestaltung des verfas­sungs­recht­lichen Förderauftrags die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, lässt sich kein in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenes Gebot herleiten, andere Lebensformen gegenüber der Ehe zu benachteiligen. Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass andere Lebens­ge­mein­schaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind. Hier bedarf es jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungs­ge­genstand und -ziel die Benachteiligung anderer Lebensformen rechtfertigt.

Schlechtere Behandlung von Lebenspartner nicht gerechtfertigt

c) Es sind keine einfach­recht­lichen oder tatsächlichen Unterschiede erkennbar, die es rechtfertigen, eingetragene Lebenspartner in Bezug auf die Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung der VBL schlechter zu behandeln als Ehegatten.

Unter­halts­lücken sind nach gleichen Maßstäben zu bemessen

Die Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung der VBL ist eine Leistung der betrieblichen Alters­ver­sorgung und gehört als solche zum Arbeitsentgelt. In Bezug auf die Zielrichtung, Arbeitsentgelt zu gewähren, sind keine Unterschiede zwischen verheirateten Arbeitnehmern und solchen, die in einer Leben­s­part­ner­schaft leben, erkennbar. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Versor­gung­s­cha­rakters der Leistungen der betrieblichen Alters­ver­sorgung. Die Unter­halts­pflichten innerhalb von Ehen und eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften sind weitgehend identisch geregelt, so dass der Unter­halts­bedarf eines Unter­halts­be­rech­tigten und die bei Versterben eines Unter­halts­pflichtigen entstehende Unterhaltslücke nach gleichen Maßstäben zu bemessen sind.

„Versorgerehe“ kann nicht mehr als Maßstab dienen

Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft kann auch nicht darin gesehen werden, dass typischerweise bei Eheleuten wegen Lücken in der Erwer­bs­bio­graphie aufgrund von Kindererziehung ein anderer Versor­gungs­bedarf bestünde als bei Lebenspartnern. Nicht in jeder Ehe gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Ebenso wenig kann unterstellt werden, dass in Ehen eine Rollen­ver­teilung besteht, bei der einer der beiden Ehegatten deutlich weniger berufs­o­ri­entiert wäre. Das in der gesell­schaft­lichen Realität nicht mehr typusprägende Bild der „Versorgerehe“, in der der eine Ehepartner den anderen unterhält, kann demzufolge nicht mehr als Maßstab der Zuweisung von Hinter­blie­be­nen­leis­tungen dienen.

Kinder sind ebenfalls Teil eingetragener Leben­s­part­ner­schaften

Umgekehrt ist in eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften eine Rollen­ver­teilung dergestalt, dass der eine Teil eher auf den Beruf und der andere eher auf den häuslichen Bereich einschließlich der Kinderbetreuung ausgerichtet ist, ebenfalls nicht auszuschließen. In zahlreichen eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften leben Kinder, insbesondere in solchen von Frauen. Der Kinderanteil liegt bei eingetragenen Leben­s­part­ner­schaften zwar weit unter dem von Ehepaaren, ist jedoch keineswegs vernach­läs­sigbar.

Zudem können etwaige Kinder­er­zie­hungs­zeiten oder ein sonstiger individueller Versor­gungs­bedarf unabhängig vom Familienstand konkreter berücksichtigt werden, wie es sowohl im Recht der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung als auch in der Satzung der VBL bereits geschieht.

Verstoß gegen Grundrecht führt zu Unwirksamkeit der Versi­che­rungs­klausel

4. Verstoßen Allgemeine Versi­che­rungs­be­din­gungen - wie hier die Satzung der VBL - gegen Art. 3 Abs. 1 GG, so führt dies nach der verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Unwirksamkeit der betroffenen Klauseln. Hierdurch entstehende Regelungslücken können im Wege ergänzender Auslegung der Satzung geschlossen werden. Der Gleich­heits­verstoß kann nicht durch bloße Nichtanwendung des § 38 VBLS beseitigt werden, weil ansonsten Hinter­blie­be­nen­renten auch für Ehegatten ausgeschlossen wären. Der mit der Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung nach § 38 VBLS verfolgte Regelungsplan lässt sich nur dadurch vervoll­ständigen, dass die Regelung für Ehegatten mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 auch auf eingetragene Lebenspartner Anwendung findet.

Quelle: ra-online, BVerfG

der Leitsatz

Die Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft im Bereich der betrieblichen Hinter­blie­be­nen­ver­sorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die bei der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder zusatz­ver­sichert sind, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebens­sach­verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe gemäß Art. 6 Abs. 1 GG eine solche Differenzierung nicht.

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