Dokument-Nr. 10107
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- BVerfGE 126, 400Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 126, Seite: 400
- NJW 2010, 2783Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 2783
Bundesverfassungsgericht Beschluss21.07.2010
BVerfG: Benachteiligung homosexueller Lebenspartner gegenüber Ehepaaren bei der Erbschaftsteuer ist verfassungswidrigGesetzgeber muss bis zum 31.12.2010 eine Neuregelung treffen
Homosexuelle Lebenspartner dürfen bei der Erbschaftssteuer nicht gegenüber Ehepaaren benachteiligt werden. Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Nach den Bestimmungen der §§ 15, 16, 17 und 19 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung nach dem Jahressteuergesetz 1997 vom 20.12.1996 (ErbStG a. F.) wurden eingetragene Lebenspartner nach Schaffung des Rechtsinstituts der Lebenspartnerschaft im Jahre 2001 erbschaftsteuerrechtlich erheblich höher belastet als Ehegatten.
Nach §§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 ErbStG a. F. unterfielen die Ehegatten der günstigsten Steuerklasse I und abhängig von der Höhe des Ererbten Steuersätze zwischen 7 % und 30 % zu entrichten hatten, waren Lebenspartner als "übrige Erwerber" in die Steuerklasse III eingeordnet, die Steuersätze von 17 % bis zu 50 % vorsah. Zudem gewährte § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG a. F. Ehegatten einen persönlichen Freibetrag in Höhe von 600.000,- DM/ 307.000,- € und § 17 Abs. 1 ErbStG a. F. einen besonderen Versorgungsfreibetrag in Höhe von 500.000,- DM/ 256.000,- €. Eingetragenen Lebenspartnern stand demgegenüber aufgrund ihrer Einordnung in die Steuerklasse III lediglich ein Freibetrag in Höhe von 10.000,- DM/ 5.200,- € zu (§ 16 Abs. 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 ErbStG a. F.). Von der Vergünstigung des Versorgungsfreibetrags waren sie gänzlich ausgeschlossen.
Eingetragene Lebenspartner wie entfernte Verwandte und Fremde besteuert
Mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24.12.2008 sind die vorgenannten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern insoweit geändert worden, als der persönliche Freibetrag sowie auch der Versorgungsfreibetrag für erbende Lebenspartner weiterhin wie entfernte Verwandte und Fremde mit den höchsten Steuersätzen besteuert. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2010 vom 22.06.2010 ist eine vollständige Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht - also auch in den Steuersätzen - beabsichtigt.
Finanzamt gewährte geringsten Freibetrag
Im hiesigen Fall ist der Beschwerdeführer zu 1) Alleinerbe seines im August 2001 verstorbenen Lebenspartners, die Beschwerdeführerin zu 2) Erbin ihrer im Februar 2002 verstorbenen Lebenspartnerin. In beiden Fällen setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer nach einem Steuersatz der Steuerklasse III fest und gewährte den geringsten Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG a. F.. Die hiergegen erhobenen Klagen der Beschwerdeführer blieben vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.
Schlechterstellung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar
Das Bundesverfassungsgericht hat auf die Verfassungsbeschwerden entschieden, dass die erbschaftsteuerrechtliche Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten im persönlichen Freibetrag und im Steuersatz sowie durch ihre Nichtberücksichtigung im Versorgungsfreibetrag mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs sind aufgehoben und die Sache an diesen zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2010 eine Neuregelung für die vom Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz a. F. betroffenen Altfälle zu treffen, die die Gleichheitsverstöße in dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16.02.2001 bis zum Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24.12.2008 beseitigt.
Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts
Für die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten bestehen keine Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie die Benachteiligung der Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der Fassung nach dem Jahressteuergesetz 1997 rechtfertigen können. Dies gilt für den persönlichen Freibetrag nach § 16 ErbStG a. F. ebenso wie für den Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG a. F. und den Steuersatz nach § 19 ErbStG a. F..
Privilegierung von Ehegatten nicht mit staatlichen Schutz von Ehe und Familie zu rechtfertigen
Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern im Recht des persönlichen Freibetrags lässt sich nicht allein mit Verweisung auf den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) rechtfertigen. Geht die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Die Befugnisse des Staates, in Erfüllung seiner grundsätzlichen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG für Ehe und Familie tätig zu werden, bleiben also gänzlich unberührt von der Frage, inwieweit Dritte etwaige Gleichbehandlungsansprüche geltend machen können. Allein der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entscheidet nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht hierzu entwickelten Anwendungsgrundsätze darüber, ob und inwieweit Dritten, wie hier den eingetragenen Lebenspartnern, ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit einer gesetzlichen oder tatsächlichen Förderung von Ehegatten und Familienangehörigen zukommt.
Eingetragene Lebenspartner leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft
Die unterschiedliche Freibetragsregelung ist nicht aufgrund einer höheren Leistungsfähigkeit erbender Lebenspartner gerechtfertigt. Soweit zur Begründung des hohen Freibetrags für Ehegatten und Kinder angeführt wird, dass diese aufgrund ihres besonderen Näheverhältnisses und ihrer wirtschaftlichen Beziehung zum Erblasser durch den Erbfall weniger leistungsfähig seien, als es der nominale Wert des Erbes erwarten ließe, gelten die dem zugrunde liegenden Erwägungen ebenso für eingetragene Lebenspartner. Diese leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft. Auch sie partizipieren bereits zu Lebzeiten am Vermögen ihres eingetragenen Lebenspartners und erwarten, den gemeinsamen Lebensstandard im Falle des Todes eines Lebenspartners halten zu können. Sofern dem Erhalt der Erbschaft durch den Freibetrag für Ehegatten unterhaltsersetzende Funktion sowie eine Versorgungswirkung zukommt, gilt dies auch für Lebenspartner, die nach der schon für die Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtslage einander zu "angemessenem Unterhalt" verpflichtet sind.
Höhe des Freibetrags nicht abhängig vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder
Das Erbschaftsteuerrecht prägende Familienprinzip vermag die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten hinsichtlich des persönlichen Freibetrags ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Wie die Ehe ist die eingetragene Lebenspartnerschaft auf Dauer angelegt, rechtlich verfestigt und begründet eine gegenseitige Unterhalts- und Einstandspflicht. Die Ungleichbehandlung ist auch nicht dadurch legitimiert, dass grundsätzlich nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen können und der Gesetzgeber unter Anknüpfung an das Familienprinzip eine möglichst ungeschmälerte Erhaltung kleiner und mittlerer Vermögen in der Generationsfolge erhalten möchte. In ihrer Eignung als Ausgangspunkt der Generationsfolge unterscheidet sich die Ehe zwar grundsätzlich von der Lebenspartnerschaft, da aus der Beziehung gleichgeschlechtlicher Paare grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder hervorgehen können. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht als Grundlage einer unterschiedlichen Behandlung von Ehegatten und Lebenspartnern herangezogen werden, da er in der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend umgesetzt ist. Denn das geltende Recht macht - im Unterschied zu früheren Regelungen - die Privilegierung der Ehe bzw. die Höhe des Freibetrags der Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig.
Es fehlt an Differenzierungsgrund für Nichtberücksichtigung beim Versorgungsfreibetrag
Für die gänzliche Nichtberücksichtigung der Lebenspartner beim Versorgungsfreibetrag nach § 17 ErbStG a. F. fehlt ebenfalls ein ausreichender Differenzierungsgrund. Der Versorgungsfreibetrag dient in erster Linie dazu, die unterschiedliche erbschaftsteuerrechtliche Behandlung gesetzlicher und vertraglicher Versorgungsbezüge auszugleichen, und soll insofern eine nicht ausreichende Versorgung des überlebenden Ehegatten mit steuerfreien Versorgungsbezügen kompensieren. Dieses gesetzgeberische Ziel besitzt in gleicher Weise für Lebenspartner Gültigkeit. Im Übrigen gelten auch hier die vorgenannten Erwägungen.
Es liegt kein hinreichender Unterscheidungsgrund zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern vor
Schließlich findet sich kein hinreichender Unterscheidungsgrund dafür, dass eingetragene Lebenspartner der Steuerklasse III mit den höchsten Steuersätzen, Ehegatten hingegen der Steuerklasse I mit den niedrigsten Steuersätzen zugewiesen werden (§ 15 Abs. 1, § 19 Abs. 1 ErbStG a. F.). Wie beim persönlichen Freibetrag so gilt auch hier, dass die Unterschiede zwischen der Ehe und Lebenspartnerschaft im derzeitigen Regelungskonzept keine Schlechterstellung der Lebenspartner in der Steuerklasseneinteilung tragen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.08.2010
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online
der Leitsatz
Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
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