23.11.2024
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Dokument-Nr. 10107

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Beschluss21.07.2010Bundesverfassungsgericht1 BvR 611/07/ 1 BvR 2464/07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 126, 400Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 126, Seite: 400
  • NJW 2010, 2783Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 2783
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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.07.2010

BVerfG: Benachteiligung homosexueller Lebenspartner gegenüber Ehepaaren bei der Erbschaftsteuer ist verfas­sungs­widrigGesetzgeber muss bis zum 31.12.2010 eine Neuregelung treffen

Homosexuelle Lebenspartner dürfen bei der Erbschafts­steuer nicht gegenüber Ehepaaren benachteiligt werden. Die Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft im Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Nach den Bestimmungen der §§ 15, 16, 17 und 19 des Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­ge­setzes in der Fassung nach dem Jahressteu­er­gesetz 1997 vom 20.12.1996 (ErbStG a. F.) wurden eingetragene Lebenspartner nach Schaffung des Rechtsinstituts der Leben­s­part­ner­schaft im Jahre 2001 erbschaft­steu­er­rechtlich erheblich höher belastet als Ehegatten.

Nach §§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 ErbStG a. F. unterfielen die Ehegatten der günstigsten Steuerklasse I und abhängig von der Höhe des Ererbten Steuersätze zwischen 7 % und 30 % zu entrichten hatten, waren Lebenspartner als "übrige Erwerber" in die Steuerklasse III eingeordnet, die Steuersätze von 17 % bis zu 50 % vorsah. Zudem gewährte § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG a. F. Ehegatten einen persönlichen Freibetrag in Höhe von 600.000,- DM/ 307.000,- € und § 17 Abs. 1 ErbStG a. F. einen besonderen Versor­gungs­frei­betrag in Höhe von 500.000,- DM/ 256.000,- €. Eingetragenen Lebenspartnern stand demgegenüber aufgrund ihrer Einordnung in die Steuerklasse III lediglich ein Freibetrag in Höhe von 10.000,- DM/ 5.200,- € zu (§ 16 Abs. 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 ErbStG a. F.). Von der Vergünstigung des Versor­gungs­frei­betrags waren sie gänzlich ausgeschlossen.

Eingetragene Lebenspartner wie entfernte Verwandte und Fremde besteuert

Mit dem Erbschaft­steu­er­re­form­gesetz vom 24.12.2008 sind die vorgenannten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­ge­setzes zu Gunsten von eingetragenen Lebenspartnern insoweit geändert worden, als der persönliche Freibetrag sowie auch der Versor­gungs­frei­betrag für erbende Lebenspartner weiterhin wie entfernte Verwandte und Fremde mit den höchsten Steuersätzen besteuert. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteu­er­gesetz 2010 vom 22.06.2010 ist eine vollständige Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten im Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­errecht - also auch in den Steuersätzen - beabsichtigt.

Finanzamt gewährte geringsten Freibetrag

Im hiesigen Fall ist der Beschwer­de­führer zu 1) Alleinerbe seines im August 2001 verstorbenen Lebenspartners, die Beschwer­de­führerin zu 2) Erbin ihrer im Februar 2002 verstorbenen Lebenspartnerin. In beiden Fällen setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer nach einem Steuersatz der Steuerklasse III fest und gewährte den geringsten Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG a. F.. Die hiergegen erhobenen Klagen der Beschwer­de­führer blieben vor den Finanzgerichten ohne Erfolg.

Schlech­ter­stellung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat auf die Verfas­sungs­be­schwerden entschieden, dass die erbschaft­steu­er­rechtliche Schlech­ter­stellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten im persönlichen Freibetrag und im Steuersatz sowie durch ihre Nicht­be­rück­sich­tigung im Versor­gungs­frei­betrag mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Die Beschlüsse des Bundes­fi­nanzhofs sind aufgehoben und die Sache an diesen zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2010 eine Neuregelung für die vom Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz a. F. betroffenen Altfälle zu treffen, die die Gleich­heits­verstöße in dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleich­ge­schlecht­licher Gemeinschaften vom 16.02.2001 bis zum Inkrafttreten des Erbschaft­steu­er­re­form­ge­setzes vom 24.12.2008 beseitigt.

Entschei­dungs­gründe des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Für die Schlech­ter­stellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten bestehen keine Unterschiede von solchem Gewicht, dass sie die Benachteiligung der Lebenspartner im Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz in der Fassung nach dem Jahressteu­er­gesetz 1997 rechtfertigen können. Dies gilt für den persönlichen Freibetrag nach § 16 ErbStG a. F. ebenso wie für den Versor­gungs­frei­betrag nach § 17 ErbStG a. F. und den Steuersatz nach § 19 ErbStG a. F..

Privilegierung von Ehegatten nicht mit staatlichen Schutz von Ehe und Familie zu rechtfertigen

Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern im Recht des persönlichen Freibetrags lässt sich nicht allein mit Verweisung auf den besonderen staatlichen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) rechtfertigen. Geht die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebens­sach­verhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt bloße Verweisung auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Die Befugnisse des Staates, in Erfüllung seiner grundsätzlichen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG für Ehe und Familie tätig zu werden, bleiben also gänzlich unberührt von der Frage, inwieweit Dritte etwaige Gleich­be­hand­lungs­ansprüche geltend machen können. Allein der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) entscheidet nach Maßgabe der vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht hierzu entwickelten Anwen­dungs­grundsätze darüber, ob und inwieweit Dritten, wie hier den eingetragenen Lebenspartnern, ein Anspruch auf Gleich­be­handlung mit einer gesetzlichen oder tatsächlichen Förderung von Ehegatten und Familien­an­ge­hörigen zukommt.

Eingetragene Lebenspartner leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten Partnerschaft

Die unter­schiedliche Freibe­trags­re­gelung ist nicht aufgrund einer höheren Leistungs­fä­higkeit erbender Lebenspartner gerechtfertigt. Soweit zur Begründung des hohen Freibetrags für Ehegatten und Kinder angeführt wird, dass diese aufgrund ihres besonderen Nähever­hält­nisses und ihrer wirtschaft­lichen Beziehung zum Erblasser durch den Erbfall weniger leistungsfähig seien, als es der nominale Wert des Erbes erwarten ließe, gelten die dem zugrunde liegenden Erwägungen ebenso für eingetragene Lebenspartner. Diese leben wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft. Auch sie partizipieren bereits zu Lebzeiten am Vermögen ihres eingetragenen Lebenspartners und erwarten, den gemeinsamen Lebensstandard im Falle des Todes eines Lebenspartners halten zu können. Sofern dem Erhalt der Erbschaft durch den Freibetrag für Ehegatten unter­halt­s­er­setzende Funktion sowie eine Versor­gungs­wirkung zukommt, gilt dies auch für Lebenspartner, die nach der schon für die Ausgangs­ver­fahren maßgebenden Rechtslage einander zu "angemessenem Unterhalt" verpflichtet sind.

Höhe des Freibetrags nicht abhängig vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder

Das Erbschaft­steu­errecht prägende Familienprinzip vermag die Schlech­ter­stellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den Ehegatten hinsichtlich des persönlichen Freibetrags ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Wie die Ehe ist die eingetragene Leben­s­part­ner­schaft auf Dauer angelegt, rechtlich verfestigt und begründet eine gegenseitige Unterhalts- und Einstands­pflicht. Die Ungleich­be­handlung ist auch nicht dadurch legitimiert, dass grundsätzlich nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen können und der Gesetzgeber unter Anknüpfung an das Familienprinzip eine möglichst ungeschmälerte Erhaltung kleiner und mittlerer Vermögen in der Genera­ti­o­nsfolge erhalten möchte. In ihrer Eignung als Ausgangspunkt der Genera­ti­o­nsfolge unterscheidet sich die Ehe zwar grundsätzlich von der Leben­s­part­ner­schaft, da aus der Beziehung gleich­ge­schlecht­licher Paare grundsätzlich keine gemeinsamen Kinder hervorgehen können. Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht als Grundlage einer unter­schied­lichen Behandlung von Ehegatten und Lebenspartnern herangezogen werden, da er in der gesetzlichen Regelung nicht hinreichend umgesetzt ist. Denn das geltende Recht macht - im Unterschied zu früheren Regelungen - die Privilegierung der Ehe bzw. die Höhe des Freibetrags der Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig.

Es fehlt an Diffe­ren­zie­rungsgrund für Nicht­be­rück­sich­tigung beim Versor­gungs­frei­betrag

Für die gänzliche Nicht­be­rück­sich­tigung der Lebenspartner beim Versor­gungs­frei­betrag nach § 17 ErbStG a. F. fehlt ebenfalls ein ausreichender Diffe­ren­zie­rungsgrund. Der Versor­gungs­frei­betrag dient in erster Linie dazu, die unter­schiedliche erbschaft­steu­er­rechtliche Behandlung gesetzlicher und vertraglicher Versor­gungs­bezüge auszugleichen, und soll insofern eine nicht ausreichende Versorgung des überlebenden Ehegatten mit steuerfreien Versor­gungs­bezügen kompensieren. Dieses gesetz­ge­be­rische Ziel besitzt in gleicher Weise für Lebenspartner Gültigkeit. Im Übrigen gelten auch hier die vorgenannten Erwägungen.

Es liegt kein hinreichender Unter­schei­dungsgrund zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern vor

Schließlich findet sich kein hinreichender Unter­schei­dungsgrund dafür, dass eingetragene Lebenspartner der Steuerklasse III mit den höchsten Steuersätzen, Ehegatten hingegen der Steuerklasse I mit den niedrigsten Steuersätzen zugewiesen werden (§ 15 Abs. 1, § 19 Abs. 1 ErbStG a. F.). Wie beim persönlichen Freibetrag so gilt auch hier, dass die Unterschiede zwischen der Ehe und Leben­s­part­ner­schaft im derzeitigen Regelungs­konzept keine Schlech­ter­stellung der Lebenspartner in der Steuer­klas­sen­ein­teilung tragen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

der Leitsatz

Die Ungleich­be­handlung von Ehe und eingetragener Leben­s­part­ner­schaft im Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

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