21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil11.06.2015

Filesharing: Tonträ­ger­her­steller hat Anspruch auf SchadensersatzBundes­ge­richtshof zur Schadens­ersatz­pflicht wegen Teilnahme an einer Internet-Tauschbörse

Der Bundes­ge­richtshof hat drei Urteile des Oberlan­des­ge­richts Köln bestätigt, mit denen das Gericht Ansprüche auf Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten wegen des Vorwurfs des Filesharing zugesprochen hatte.

Die Klägerinnen des zugrunde liegenden Verfahrens sind vier führende deutsche Tonträ­ger­her­stel­le­rinnen. Nach den Recherchen des von ihnen beauftragten Softwa­re­un­ter­nehmens proMedia wurden am 19. Juni 2007, am 19. August 2007 und am 17. Dezember 2007 über IP-Adressen eine Vielzahl von Musiktiteln zum Herunterladen verfügbar gemacht. In den daraufhin eingeleiteten Ermitt­lungs­ver­fahren wurden die drei vor dem Oberlan­des­gericht in Anspruch genommenen Beklagten als Inhaber der den jeweiligen IP-Adressen zugewiesenen Inter­ne­t­an­schlüsse benannt. Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer Tonträ­ger­her­stel­ler­rechte und ließen die Beklagten durch Anwalts­schreiben abmahnen. Sie nehmen die Beklagten in verschiedenen Verfahren jeweils auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000 Euro sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch.

Beklagter im Verfahren I ZR 75/14 weist Filesharing-Vorwurf zurück

In dem Rechtsstreit I ZR 75/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Ermittlungen des Softwa­re­un­ter­nehmens bestritten. Er hat in Abrede gestellt, dass ihm zum fraglichen Zeitpunkt die IP-Adresse zugewiesen gewesen sei und dass er, seine in seinem Haushalt lebenden Familien­an­ge­hörigen oder ein Dritter die Musikdateien zum Herunterladen verfügbar gemacht hätten. Er hat behauptet, er habe sich mit seiner Familie zur angeblichen Tatzeit im Urlaub befunden. Vor Urlaubsantritt seien Router und Computer vom Stromnetz getrennt worden.

Vorinstanzen: Musikdateien wurden nachweislich vom Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Es hat nach der zeugen­schaft­lichen Vernehmung eines Mitarbeiters des Softwa­re­un­ter­nehmens und der Familien­an­ge­hörigen des Beklagten als erwiesen angesehen, dass die Musikdateien von dem Rechner des Beklagten zum Herunterladen angeboten worden sind. Dass die Familie zur fraglichen Zeit in Urlaub war, hat das Berufungs­gericht dem Zeugen nicht geglaubt. Es hat angenommen, der Beklagte habe als Anschluss­inhaber für die Urheber­rechts­ver­let­zungen einzustehen, weil nach seinem Vortrag ein anderer Täter nicht ernsthaft in Betracht komme.

Beklagter im Verfahren I ZR 19/14 bestreitet Richtigkeit des Filesharing-Vorwurfs

Auch in dem Rechtsstreit I ZR 19/14 hat der Beklagte die Richtigkeit der Recherchen des Softwa­re­un­ter­nehmens und der Auskunft des Inter­net­pro­viders bestritten und in Abrede gestellt, dass er oder ein in seinem Haushalt lebender Familien­an­ge­höriger die Musikdateien zum Herunterladen angeboten hätten. Wie im Berufungs­ver­fahren unstreitig geworden ist, war zum fraglichen Zeitpunkt der Rechner, der im Arbeitszimmer des Beklagten installiert war, eingeschaltet und mit dem Internet verbunden. Die bei dem Beklagten angestellte Ehefrau, die den Rechner neben dem Beklagten beruflich nutzte, verfügte nicht über Adminis­tra­to­ren­rechte zum Aufspielen von Programmen. Dem damals im Haushalt des Beklagten lebenden 17jährigen Sohn war das vor der Nutzung des Computers einzugebende Passwort nicht bekannt.

Vorinstanzen: Beklagte hat für Urheber­rechts­ver­let­zungen als Täter einzustehen

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Das Oberlan­des­gericht hat es aufgrund der in erster und zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahmen als erwiesen angesehen, dass die Musikdateien über den Inter­ne­t­an­schluss des Beklagten zum Herunterladen verfügbar gemacht worden sind, und hat angenommen, dass der Beklagte für die Urheber­rechts­ver­let­zungen als Täter einzustehen hat.

Beklagte im Verfahren I ZR 7/14 wendet sich gegen Verwertung des polizeilichen Geständnisses der Tochter

In dem Rechtsstreit I ZR 7/14 wurde der Inter­ne­t­an­schluss von der Beklagten, ihrem 16jährigen Sohn und ihrer 14jährigen Tochter genutzt. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung räumte die Tochter der Beklagten nach Belehrung über ihre Rechte als Beschuldigte ein, die Musikdateien heruntergeladen zu haben. Die Beklagte wendet sich gegen die Verwertung des polizeilichen Geständnisses ihrer Tochter und behauptet, diese über die Rechts­wid­rigkeit der Teilnahme an Musik­tausch­börsen belehrt zu haben.

Vorinstanzen sehen Verlet­zungs­handlung der Tochter als erwiesen an

Das Landgericht hat nach der zeugen­schaft­lichen Vernehmung der Tochter der Beklagten der Klage weitgehend stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Das Oberlan­des­gericht hat eine Verlet­zungs­handlung der Tochter der Beklagten als erwiesen angesehen und ist von einer Verletzung der Aufsichts­pflicht der Beklagten ausgegangen (§ 832 Abs. 1 Satz 1 BGB).*

Mit den vom Oberlan­des­gericht zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten ihre Anträge auf vollständige Klageabweisung weiter.

BGH weist Revision der Beklagten zurück

Der Bundes­ge­richtshof hat die Revisionen der Beklagten zurückgewiesen. Das Berufungs­gericht hat zu Recht angenommen, dass die Eintragung der Klägerinnen in die Phononet-Datenbank ein erhebliches Indiz für die Inhaberschaft der Tonträ­ger­her­stel­ler­rechte ist und keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen sind, die diese Indizwirkung für die jeweils streit­be­fangenen Musiktitel entkräften.

Theoretisch mögliche Fehler bei Ermittlungen des Inter­net­pro­viders sprechen nicht gegen Beweiskraft der Ermitt­lungs­er­gebnisse

Das Berufungs­gericht ist außerdem zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund der von den Klägerinnen bewiesenen Richtigkeit der Ermittlungen von proMedia und des Inter­net­pro­viders feststehe, dass die Musiktitel über die den Beklagten als Anschluss­in­habern zugeordneten Inter­ne­t­an­schlüsse zum Herunterladen bereitgehalten worden sind. Die theoretische Möglichkeit, dass bei den Ermittlungen von proMedia und des Inter­net­pro­viders auch Fehler vorkommen können, spricht nicht gegen die Beweiskraft der Ermitt­lungs­er­gebnisse, wenn im Einzelfall keine konkreten Fehler dargelegt werden, die gegen deren Richtigkeit sprechen. Ein falscher Buchstabe bei der Namens­wie­dergabe in einer Auskunft­s­tabelle reicht - wie in dem zum Geschäfts­zeichen I ZR 19/14 geführten Rechtsstreit eingewandt - insoweit nicht.

BGH: Beklagter im Verfahren I ZR 75/14 ist für Verlet­zungs­handlung auch als Täter verantwortlich

In dem Rechtsstreit I ZR 75/14 ist das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien bereits am 18. Juni 2007 in den Urlaub gefahren und hätten vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der Beklagte ist für die Verlet­zungs­handlung auch als Täter verantwortlich. Das Berufungs­gericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte nicht dargelegt habe, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Inter­ne­t­an­schluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechts­ver­let­zungen in Betracht kommen. Damit greift die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Inter­ne­t­an­schlusses ein.

Beklagte im Verfahren I ZR 7/14 ist für den durch ihre damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden verantwortlich

In dem Verfahren I ZR 7/14 hat das Berufungs­gericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verlet­zungs­handlung begangen hat. Hierbei hat sich das Berufungs­gericht rechts­feh­lerfrei nicht nur auf das im polizeilichen Verneh­mungs­pro­tokoll dokumentierte Geständnis der Tochter gestützt, sondern zudem berücksichtigt, dass das Landgericht die Tochter auch selbst als Zeugin vernommen und diese dabei nach ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht ihr polizeiliches Geständnis bestätigt hat. Die Beklagte ist für den durch die Verlet­zungs­handlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB verantwortlich.

Erfolgte Belehrung der Tochter über Rechts­wid­rigkeit einer Teilnahme an Inter­net­tausch­börsen nicht ersichtlich

Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichts­pflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechts­wid­rigkeit einer Teilnahme an Inter­net­tausch­börsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012). Das Berufungs­gericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem "ordentlichen Verhalten" aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus.

Bemessung des Schaden­s­er­satzes in Höhe von 200 Euro pro Musiktitel rechts­feh­lerfrei

Bei der Bemessung des Schaden­s­er­satzes in Form der Lizenzanalogie ist das Berufungs­gericht rechts­feh­lerfrei von einem Betrag von 200 Euro für jeden der insgesamt 15 in die Schadens­be­rechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen. Das Berufungs­gericht hat schließlich mit Recht auch einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten angenommen und dessen Höhe auf der Basis des Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­ge­setzes berechnet.

* § 832 BGB Haftung des Aufsichts­pflichtigen

(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minder­jäh­rigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichts­pflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichts­führung entstanden sein würde.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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