Dokument-Nr. 21332
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- NJW 2015, 1979Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 1979
- Arbeitsgericht Fulda, Urteil02.10.2012, 1 Ca 471/11
- Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil03.06.2013, 21 Sa 1456/12
Bundesarbeitsgericht Urteil20.11.2014
Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen bei unterlassenem betrieblichem EingliederungsmanagementBetriebliches Eingliederungsmanagement kann mildere Mittel als Kündigung aufzeigen
Einem Arbeitnehmer kann unter bestimmten Voraussetzungen wegen häufiger Kurzerkrankungen gekündigt werden. Die Kündigung ist jedoch dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements unterlässt. Denn ist diese nicht nutzlos, so kann sie mögliche mildere Mittel als eine Kündigung aufzeigen. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hervor.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein bei einem Hygieneartikelhersteller beschäftigter Maschineführer war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 1991 wiederholt wegen unterschiedlicher Erkrankungen arbeitsunfähig. Nachdem sich die Kurzerkrankungen seit dem Jahr 2006 bis zum Jahr 2011 kontinuierlich steigerten, kündigte die Arbeitgeberin im November 2011 das Arbeitsverhältnis ordentlich. Ihrer Meinung nach haben die erheblichen Fehlzeiten für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit gesprochen und daher eine negative Gesundheitsprognose begründet. Dies habe die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt. Der gekündigte Maschinenführer bemängelte unter anderem, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt worden sei, um alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder Verringerung von künftigen Fehlzeiten aufzuzeigen. Er war deshalb mit der Kündigung nicht einverstanden und erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Fulda und das Landesarbeitsgericht Hessen gaben der Klage statt. Dagegen richtete sich die Revision der Arbeitgeberin.
Häufige Kurzerkrankungen können ordentliche Kündigung rechtfertigen
Das Bundesarbeitsgericht führte zum Fall zunächst aus, dass häufige Kurzerkrankungen eine ordentliche Kündigung rechtfertigen können. Voraussetzung dafür sei zunächst, dass eine negative Gesundheitsprognose vorliegt. Es müssen zum Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Zudem müssen die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigungen können etwa in Betriebsablaufstörungen oder in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen. Schließlich sei im Rahmen einer Interessensabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigung vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden muss.
Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund Unverhältnismäßigkeit
Zwar seien die ersten beiden Voraussetzungen gegeben gewesen, so das Bundesarbeitsgericht, die ordentliche Kündigung sei aber dennoch unwirksam gewesen. Sie habe nicht das letzte Mittel dargestellt, sondern sei vielmehr unverhältnismäßig gewesen. Es habe möglicherweise mildere Mittel als eine Kündigung gegeben.
Unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement hätte möglicherwiese mildere Mittel aufzeigen können
Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts hätte die Durchführung eines bEM (§ 84 Abs. 2 SGB IX) möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung aufzeigen können. Das Unterlassen dieser Maßnahmen habe daher die Kündigung unverhältnismäßig und somit unwirksam gemacht. Als mildere Mittel wären beispielsweise die Umgestaltung des Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht gekommen. Zudem biete eine bEM dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit weiterer Fehlzeiten auszuschließen.
Kein Nachweis der Nutzlosigkeit eines bEM durch Arbeitgeberin
Zwar könne sich ein Arbeitgeber dadurch entlasten, so das Bundesarbeitsgericht, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass ein bEM nutzlos ist und künftige Fehlzeiten durch gesetzlich vorgesehen Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger nicht in relevanten Umfang vermieden werden können. Dieser Nachweis sei der Arbeitgeberin aber nicht gelungen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.07.2015
Quelle: Bundesarbeitsgericht, ra-online (vt/rb)
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