24.11.2024
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Arbeitsgericht Kiel Beschluss26.07.2017

Arbeitgeber müssen Pflegekräfte vor Überlastung schützenVorgabe einer Mindest­be­setzung mit Personal für bestimmt Bereiche durch Einigungsstelle nicht per se rechtswidrig

Die Vorgabe einer Mindest­be­setzung mit Pflegepersonal ist eine Maßnahme, mit der einer Gesundheits­gefährdung der eigenen Beschäftigten durch Überlastung begegnet werden kann. Der Spruch einer Einigungsstelle, der eine Schicht­be­setzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungs­situationen vorschreibt, ist nicht per se rechtswidrig. Dies entschied das Arbeitsgericht Kiel.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der Vergangenheit kam es zwischen der Arbeitgeberin, die eine Klinik betreibt, und dem Betriebsrat wiederholt zu Ausein­an­der­set­zungen über die Frage der Mindest­be­setzung für den Pflegedienst auf bestimmten Stationen. Schließlich wurde im Frühjahr 2013 eine Einigungsstelle zur Beilegung ihrer Meinungs­ver­schie­den­heiten gebildet. Die Einigungsstelle holte insgesamt drei Gutachten zur konkreten Belastungs- und Gefähr­dungs­si­tuation des auf diesen Stationen tätigen Pflegepersonals ein. Es wurde festgestellt, dass die physische und psychische Belastung eine kritische Grenze erreiche. Diese werde bei Krisen­si­tua­tionen - etwa bei erhöht pflege­be­dürftigen Patienten, Komplikationen und OP-Spitzen mit Wahrschein­lichkeit überschritten. Das letzte Gutachten enthält auch arbeits­wis­sen­schaftlich fundierte Aussagen und Berech­nungs­me­thoden darüber, mit welchen Arbeits­be­din­gungen dem begegnet werden kann. Da nach weiteren Verhandlungen keine einvernehmliche Regelung möglich war, endete die Einigungsstelle am 8. Dezember 2016 durch einen Spruch. Dieser sieht eine Schicht­be­setzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungs­si­tua­tionen vor.

Die Arbeitgeberin machte vor dem Arbeitsgericht erfolglos die Unwirksamkeit des Einigungs­stel­len­spruchs geltend.

Gefährdung der Mitarbeiter kann durch Vorgabe einer Mindest­be­setzung wirksam begegnet werden

Das Arbeitsgericht Kiel entschied, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein erzwingbares Mitbe­stim­mungsrecht bei betrieblichen Regelungen über den Gesund­heits­schutz hat. Dies bezieht sich auch auf Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesund­heits­schäden bei konkreten Gefährdungen, die im Rahmen einer Gefähr­dungs­be­ur­teilung festgestellt worden sind. Das folgt aus §§ 3 und 5 Arbeits­schutz­gesetz. Die Vorgabe einer Mindest­be­setzung ist durchaus eine Maßnahme, mit der der Gefährdung der Mitarbeiter begegnet werden kann. Darüber darf eine Einigungsstelle durch Spruch entscheiden, sofern sich die Betrie­b­s­parteien nicht einigen. Auch wenn der Arbeitgeber durch einen solchen Spruch verpflichtet wird, in Abhängigkeit der belegten Betten ein Mindestmaß an Personal vorzuhalten, liegt kein rechtlicher Fehler vor. Dadurch ist er zwar in der Perso­nal­be­setzung aufgrund des Eingriffs in die unter­neh­me­rische Freiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz nicht mehr völlig frei. Diese Freiheit kollidiert aber mit den Grundrechten der Arbeitnehmer auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und aus Art. 31. der EU-Grundrechte-Charta. Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeits­be­din­gungen sowie auf eigene körperliche Unversehrtheit (Art. 31 EU-Grundrechte-Charta, Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz). Der damit verbundene Eingriff in die unter­neh­me­rische Entschei­dungs­freiheit (Art. 12 GG) muss dann gegebenenfalls zurücktreten. Ermessensfehler sind jedenfalls dann nicht ersichtlich, wenn keine starre Mindest­be­setzung vorgeschrieben wird, sondern eine Mindest­be­setzung im Verhältnis zu den belegten Betten.

Aufgabe der Einigungsstelle

Eine Einigungsstelle wird bei Bedarf zur Beilegung von Meinungs­ver­schie­den­heiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebildet. Sie besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern jeder Seite und einer/einem unparteiischen Vorsitzenden, auf den man sich geeinigt hat. Kann man in ihr keine Einigung erzielen, ergeht ein "Spruch" mit Stimmenmehrheit. Dieser Spruch wirkt dann auch gegen die unterlegene Seite und muss umgesetzt werden. Er kann aber bei Gericht mit engen Voraussetzungen angefochten werden.

Quelle: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein/ra-online

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