Dokument-Nr. 24744
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Arbeitsgericht Kiel Beschluss26.07.2017
Arbeitgeber müssen Pflegekräfte vor Überlastung schützenVorgabe einer Mindestbesetzung mit Personal für bestimmt Bereiche durch Einigungsstelle nicht per se rechtswidrig
Die Vorgabe einer Mindestbesetzung mit Pflegepersonal ist eine Maßnahme, mit der einer Gesundheitsgefährdung der eigenen Beschäftigten durch Überlastung begegnet werden kann. Der Spruch einer Einigungsstelle, der eine Schichtbesetzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungssituationen vorschreibt, ist nicht per se rechtswidrig. Dies entschied das Arbeitsgericht Kiel.
Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der Vergangenheit kam es zwischen der Arbeitgeberin, die eine Klinik betreibt, und dem Betriebsrat wiederholt zu Auseinandersetzungen über die Frage der Mindestbesetzung für den Pflegedienst auf bestimmten Stationen. Schließlich wurde im Frühjahr 2013 eine Einigungsstelle zur Beilegung ihrer Meinungsverschiedenheiten gebildet. Die Einigungsstelle holte insgesamt drei Gutachten zur konkreten Belastungs- und Gefährdungssituation des auf diesen Stationen tätigen Pflegepersonals ein. Es wurde festgestellt, dass die physische und psychische Belastung eine kritische Grenze erreiche. Diese werde bei Krisensituationen - etwa bei erhöht pflegebedürftigen Patienten, Komplikationen und OP-Spitzen mit Wahrscheinlichkeit überschritten. Das letzte Gutachten enthält auch arbeitswissenschaftlich fundierte Aussagen und Berechnungsmethoden darüber, mit welchen Arbeitsbedingungen dem begegnet werden kann. Da nach weiteren Verhandlungen keine einvernehmliche Regelung möglich war, endete die Einigungsstelle am 8. Dezember 2016 durch einen Spruch. Dieser sieht eine Schichtbesetzung mit einer bestimmten Zahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungssituationen vor.
Die Arbeitgeberin machte vor dem Arbeitsgericht erfolglos die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend.
Gefährdung der Mitarbeiter kann durch Vorgabe einer Mindestbesetzung wirksam begegnet werden
Das Arbeitsgericht Kiel entschied, dass der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz hat. Dies bezieht sich auch auf Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden bei konkreten Gefährdungen, die im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellt worden sind. Das folgt aus §§ 3 und 5 Arbeitsschutzgesetz. Die Vorgabe einer Mindestbesetzung ist durchaus eine Maßnahme, mit der der Gefährdung der Mitarbeiter begegnet werden kann. Darüber darf eine Einigungsstelle durch Spruch entscheiden, sofern sich die Betriebsparteien nicht einigen. Auch wenn der Arbeitgeber durch einen solchen Spruch verpflichtet wird, in Abhängigkeit der belegten Betten ein Mindestmaß an Personal vorzuhalten, liegt kein rechtlicher Fehler vor. Dadurch ist er zwar in der Personalbesetzung aufgrund des Eingriffs in die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 12 Grundgesetz nicht mehr völlig frei. Diese Freiheit kollidiert aber mit den Grundrechten der Arbeitnehmer auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG und aus Art. 31. der EU-Grundrechte-Charta. Danach hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eigene körperliche Unversehrtheit (Art. 31 EU-Grundrechte-Charta, Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz). Der damit verbundene Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit (Art. 12 GG) muss dann gegebenenfalls zurücktreten. Ermessensfehler sind jedenfalls dann nicht ersichtlich, wenn keine starre Mindestbesetzung vorgeschrieben wird, sondern eine Mindestbesetzung im Verhältnis zu den belegten Betten.
Aufgabe der Einigungsstelle
Eine Einigungsstelle wird bei Bedarf zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebildet. Sie besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern jeder Seite und einer/einem unparteiischen Vorsitzenden, auf den man sich geeinigt hat. Kann man in ihr keine Einigung erzielen, ergeht ein "Spruch" mit Stimmenmehrheit. Dieser Spruch wirkt dann auch gegen die unterlegene Seite und muss umgesetzt werden. Er kann aber bei Gericht mit engen Voraussetzungen angefochten werden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.08.2017
Quelle: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein/ra-online
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