21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen Urteil12.03.2013

Haushaltsgesetz 2011 wegen Überschreitung der Kreditgesetze verfas­sungs­widrigHaushalts­ge­setzgeber muss nachvollziehbar darlegen, dass Voraussetzungen für die Überschreitung der Regel­ver­schul­dungs­grenze vorliegen

Das Haushaltsgesetz 2011 verstößt wegen Überschreitung der Kreditgrenze gegen Art. 83 Satz 2 der Landes­ver­fassung NRW (LV) und ist im Umfang dieser Überschreitung nichtig. Dies entschied der Verfas­sungs­ge­richtshof Nordrhein-Westfalen.

Zur Begründung führte das Gericht aus: Von der in Art. 83 Satz 2 LV normierten Regelverschuldungsgrenze dürfe grundsätzlich nur zur Abwehr einer Störung des gesamt­wirt­schaft­lichen Gleichgewichts abgewichen werden. Nach gefestigten verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben müsse die Störungslage ernsthaft und nachhaltig sein oder als solche unmittelbar drohen. Bei der Beurteilung stehe dem Haushaltsgesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Er müsse jedoch nachvollziehbar darlegen, dass die Voraussetzungen für die Überschreitung der Regel­ver­schul­dungs­grenze vorlägen. Für die verfas­sungs­rechtliche Beurteilung sei nur entscheidend, ob die Darlegungen des Gesetzgebers vertretbar seien. Sie müssten sich am Ausnah­me­cha­rakter von Art. 83 Satz 2 LV orientieren, auf aktuellen Konjunkturdaten beruhen und methodisch wider­spruchsfrei sein. Erforderlich sei ein nachvoll­ziehbarer Beleg dafür, dass im jeweiligen Haushaltsjahr deutliche Anzeichen für einen ausnahmsweise bestehenden oder drohenden konjunkturellen Abschwung bestünden, der durch Kreditaufnahme auszugleichende Mindereinnahmen und Mehrausgaben erwarten lasse. Die Darlegungslast intensiviere sich in einer Aufschwungphase mit unerwartet hohen staatlichen Einnahmen.

Konjunkturelle Ausnah­me­si­tuation anhand von Konjunkturdaten nicht ausreichend dargelegt

Diesen Anforderungen habe der Gesetzgeber nicht genügt. Er habe anhand der im maßgeblichen Zeitpunkt der Geset­zes­be­ra­tungen (April 2011) vorliegenden Konjunkturdaten nicht hinreichend dargelegt, dass (noch) eine konjunkturelle Ausnah­me­si­tuation vorgelegen habe. Für 2011 hätten die Landesregierung und ihr folgend der Haushalts­ge­setzgeber ein kräftiges Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen in Höhe von gut 40 Mrd. Euro erwartet. Deren Umfang sei zuvor nur in den Jahren 2007 und 2008 überschritten worden. Ausgehend davon habe es nicht dem Ausnah­me­cha­rakter des Art. 83 Satz 2 LV genügt, eine Störungslage hauptsächlich mit dem Umfang der im Jahr 2011 noch negativen Produktionslücke und erheblichen Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung zu begründen. Beide Gesichtspunkte habe der Gesetzgeber nicht zum Anlass genommen, nennenswerte Einnah­me­einbußen im Vergleich zur konjunkturellen Normallage im Haushalt einzuplanen.

Neuberechnung unter Berück­sich­tigung nach oben korrigierter Wachstumsraten

Die Argumentation habe zudem in wesentlichen Punkten auf überholten Konjunkturdaten beruht. Die herangezogenen Schätzungen der Produk­ti­o­nslücke der OECD, des IWF und des Sachver­stän­di­genrats für das Jahr 2011 zwischen 1,9 % und 1,2 % seien den Herbstprognosen 2010 entnommen. Sie hätten im Frühjahr 2011 einer Neuberechnung unter Berück­sich­tigung mehrfach deutlich nach oben korrigierter Wachstumsraten bedurft. Verfas­sungs­rechtlich nicht mehr vertretbar sei der methodische Widerspruch, diese überholten Daten zu verwenden, während die angehobenen Wachs­tums­pro­gnosen bei der veranschlagten Einnah­me­ent­wicklung durch nachträgliche Änderungs­vorlagen berücksichtigt worden seien. Von den Anfang April 2011 bereits vorliegenden und im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren thematisierten aktualisierten Schätzungen habe keine eine größere negative Produk­ti­o­nslücke ausgewiesen als -1, %. Die ganz überwiegende Anzahl dieser Prognosen habe eine vollständig geschlossene Produk­ti­o­nslücke angenommen. Auf diese neuen Erkenntnisse hätte der Gesetzgeber innerhalb des ohnehin vorgesehenen Zeitplans für das Gesetz­ge­bungs­ver­fahren noch zumutbar reagieren können.

Vorhe­rig­keitsgebot begründet Handlungs­pflicht der an Gesetzgebung beteiligten Verfas­sungs­organe

Die ebenfalls gerügte verspätete Entscheidung über den Haushalt 2011 habe hingegen trotz Verstoßes gegen Art. 81 Abs. 3 Satz 1 LV weder zur Nichtigkeit noch zur Verfassungswidrigkeit des Haushalts­ge­setzes 2011 geführt. Das Vorherigkeitsgebot begründe eine Handlungs­pflicht der an der Gesetzgebung beteiligten Verfas­sungs­organe. Der Verstoß hiergegen führe jedoch nicht zur Verfas­sungs­wid­rigkeit des Gesetzes, das den verfas­sungs­widrigen Zustand beseitige.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen/ra-online

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