21.11.2024
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Dokument-Nr. 11309

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Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen Urteil15.03.2011

VerfGH Nordrhein-Westfalen: Nachtrags­haus­halts­gesetz 2010 verfas­sungs­widrigGericht qualifiziert vorgesehene Vorsor­ge­maß­nahmen überwiegend als verfas­sungs­rechtlich bedenklich

Das Nachtrags­haus­halts­gesetz 2010 der Landesregierung Nordrhein-Westfalen verstößt wegen Überschreitung der Kreditgrenze gegen Art. 83 Satz 2 der Landes­ver­fassung NRW. Dies entschied der Verfas­sungs­ge­richtshof Nordrhein-Westfalen und gab damit einem entsprechenden Antrag der Landtags­ab­ge­ordneten von CDU und FDP statt.

Das Gericht führte in seiner Urteils­be­gründung aus, dass von der in Art. 83 Satz 2 LV normierten Regel­ver­schul­dungs­grenze grundsätzlich nur zur Abwehr einer Störung des gesamt­wirt­schaft­lichen Gleichgewichts abgewichen werden dürfe. Nach gefestigter Rechtsprechung müsse die Störungslage ernsthaft und nachhaltig sein oder als solche unmittelbar drohen. Die erhöhte Kreditaufnahme müsse außerdem zur Störungsabwehr geeignet und final hierauf bezogen sein. Bei der Beurteilung stehe dem Haushalts­ge­setzgeber ein Einschätzungs- und Beurtei­lungs­spielraum zu. Er müsse jedoch nachvollziehbar darlegen, dass die Voraussetzungen für die Überschreitung der Regel­ver­schul­dungs­grenze vorlägen. Diese Darlegung müsse im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren erfolgen. Ein Nachtrags­haus­halts­ge­setzgeber unterliege insoweit keinen geringeren Darle­gungs­an­for­de­rungen als der Gesetzgeber des Stammhaushalts. Dies gelte auch dann, wenn der Haushalts­ge­setzgeber in einem Nachtragshaushalt eine im Stammhaushalt bereits erfolgte Überschreitung der Regel­ver­schul­dungs­grenze nochmals erhöhen wolle. Für eine solche Erhöhung bedürfe es in Ausein­an­der­setzung mit der bisherigen Finanzplanung und der aktuellen konjunkturellen Entwicklung einer plausiblen Erklärung, weshalb die bisher veranschlagte Ausgabensumme zur Störungsabwehr nicht mehr ausreichen solle und inwieweit die Erhöhung der Kredi­t­er­mäch­tigung im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Nachtrags­haushalts die gewünschten konjunkturellen Ziele noch erreichen könne.

Eignung einer erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der angenommenen Störung des gesamt­wirt­schaft­lichen Gleichgewichts nicht erkennbar

Diesen Anforderungen habe der Gesetzgeber nicht genügt. Es sei bereits zweifelhaft, ob der Gesetzgeber das (Fort-)Bestehen einer gesamt­wirt­schaft­lichen Störungslage nachvollziehbar dargelegt habe. Jedenfalls fehle es an einer hinreichenden Darlegung, dass und wie die erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der angenommenen Störung des gesamt­wirt­schaft­lichen Gleichgewichts geeignet sei. Im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren seien keine Gesichtspunkte der konjunkturellen Entwicklung aufgezeigt worden, die eine weitere Erhöhung der Kreditaufnahme gegenüber dem Stammhaushalt trotz deutlich verbesserter Wirtschaftslage zur Störungsabwehr plausibel und nachvollziehbar machten. Überdies fehlten Darlegungen, inwieweit die Erhöhung der Kreditaufnahme arbeitsmarkt- und wirtschafts­po­li­tische Maßnahmen habe ermöglichen sollen, die im maßgeblichen Haushaltsjahr 2010 zur Abwehr der gesamt­wirt­schaft­lichen Störungslage hätten beitragen können.

Bei allen Maßnahmen muss günstigste Relation zwischen gestecktem Ziel und eingesetzten Mitteln angestrebt werden

Ob das Nachtrags­haus­halts­gesetz 2010 wegen der kredit­fi­nan­zierten Rückla­gen­bildung zusätzlich gegen das Wirtschaft­lich­keitsgebot verstoße, habe der Verfas­sungs­ge­richtshof angesichts der schon wegen eines Verstoßes gegen Art. 83 Satz 2 LV bejahten Verfassungswidrigkeit letztlich offen gelassen. Er habe allerdings klargestellt, dass das Wirtschaft­lich­keitsgebot ein Verfas­sungs­grundsatz sei, der den Haushalts­ge­setzgeber binde. Dieser Verfas­sungs­grundsatz verlange, in jedem Haushaltsjahr bei allen Maßnahmen die günstigste Relation zwischen dem gesteckten Ziel und den eingesetzten Mitteln anzustreben; er erfordere, ein bestimmtes Ziel mit dem geringst­mög­lichen Einsatz von Mitteln zu erreichen. Das Wirtschaft­lich­keitsgebot verpflichte auch den Haushalts­ge­setzgeber, der auf Grund anderweitiger gesetzlicher Verpflichtungen Sonderrücklagen und Sondervermögen bilde, wenn diese aus einem kredit­fi­nan­zierten Haushalt erfüllt werden müssten. Erst recht gelte es für den Haushalts­ge­setzgeber, der Rückla­gen­bil­dungen vorsehe, die nicht bereits auf gesetzlichen Zahlungs­ver­pflich­tungen beruhten. Danach seien die im Nachtrags­haus­halts­gesetz 2010 vorgesehenen Vorsor­ge­maß­nahmen überwiegend als verfas­sungs­rechtlich bedenklich zu qualifizieren.

Quelle: Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen/ra-online

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