Verwaltungsgericht Münster Urteil12.02.2010
VG Münster: Siebtklässler musste nicht aus religiösen Gründen vom Kinobesuch freigestellt werdenNeutralitätsgebot der Schule im Rahmen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages nicht verletzt
Ein Siebtklässler kann nicht vom Besuch eines Kinofilms im Rahmen des Deutschunterrichts befreit werden, weil seine den Zeugen Jehovas angehörenden Eltern den Film für unvereinbar mit ihren religiösen Überzeugungen halten. Dies entschied das Verwaltungsgericht Münster.
Im zugrunde liegenden Fall sollte sich die 7. Klasse eines Bocholter Gymnasiums im Kino den Film „Krabat“ anschauen, nachdem sie zuvor im Deutschunterricht das als Vorlage für den Film verwendete Jugendbuch von Otfried Preußler besprochenen hatten. Als die Eltern davon erfuhren, teilten sie dem Deutschlehrer mit, dass sie aus religiösen Gründen die Teilnahme ihres Sohnes ablehnten. Sie wollten sich von bösen Geistermächten fernhalten, auch indem sie mystische Filme nicht ansähen. In einem Gespräch mit den Eltern lehnte der Schulleiter die Befreiung von der verbindlichen Schulveranstaltung ab. Am Kinobesuch nahm der Siebtklässler nicht teil. Ein wegen Verletzung der Schulpflicht gegen die Eltern eingeleitetes Bußgeldverfahren wurde schließlich eingestellt.
Unterrichtsgestaltung erfolgt rechtmäßig unter Beachtung des staatlichen Neutralitäts- und Toleranzgebotes
Die Klage der Eltern, festzustellen, dass die Ablehnung der Befreiung vom Unterricht rechtswidrig war, wies das Verwaltungsgericht ab. Die Berufung auf einen aus der Glaubensfreiheit resultierenden Gewissenskonflikt, der sich bei der Befassung mit bestimmten Inhalten im Schulunterricht ergebe, stelle grundsätzlich nicht den erforderlichen wichtigen Grund für eine Befreiung dar, solange die Stoffvermittlung und sonstige Unterrichtsgestaltung unter Beachtung des staatlichen Neutralitäts- und Toleranzgebotes erfolge. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf religiöse Kindererziehung verleihe den Eltern weder den Anspruch, dass der Schulunterricht nach ihren religiösen Vorstellungen ausgerichtet werde, noch das Recht, ihre Kinder von bestimmten Unterrichtsinhalten fernzuhalten. Ansonsten würde die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Schule beeinträchtigt und es entstünde ein Widerspruch zur Wertentscheidung der Verfassung für Toleranz als einem tragenden Prinzip der freiheitlichen Demokratie.
Unterrichtsgestaltung entspricht gebotenen Offenheit für unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Auffassungen
Mit der Filmveranstaltung „Krabat“, ihrer Zielsetzung und der konkreten Unterrichtsgestaltung habe die Schule sich im Rahmen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages gehalten, das ihr als staatlicher Einrichtung obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt und auch den Eltern Raum zur Vermittlung ihrer individuellen Glaubensüberzeugungen belassen. Schon der Film an sich, der ein Plädoyer für die Freiheit sei, habe die Schüler in keiner Weise dahingehend beeinflusst, Spiritismus und schwarze Magie zu befürworten. Der Schule sei es um das zeitgeschichtliche Thema der Verführbarkeit des Einzelnen durch totalitäre Versuchungen und um die Stärkung der Fähigkeit der Schüler zu selbständiger Entscheidung und rational reflektierter Lebensführung gegangen. Die Unterrichtsgestaltung habe – diesem Ziel folgend – der gebotenen Offenheit für unterschiedliche religiöse und weltanschauliche Auffassungen entsprochen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 12.02.2010
Quelle: ra-online, VG Münster