18.10.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss15.07.2004

Schulpflicht hat Vorrang vor Glaubens- und Gewis­sens­konflikt der Eltern

Auch wenn Eltern mit dem Unter­richtsstoff staatlicher Schulen aus Glaubens- oder Gewis­sens­gründen nicht einverstanden sind, bleibt es bei der allgemeinen Schulpflicht für ihre Kinder. Der 2. Strafsenat des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main hat jetzt ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Gießen bestätigt, das die Eltern wegen Verstoßes gegen das Hessische Schulgesetz für schuldig befand.

Die Eltern gehören einer Glaubens­ge­mein­schaft an, die sich in Fragen der Erziehung verpflichtet sieht, den Maßstäben und Vorgaben der Bibel wortgetreu zu folgen. Im August 2001 meldeten sie ihre damals 5 schul­pflichtigen Kinder von der Schule ab, weil sie der Auffassung waren, dass sich verschiedene Lerninhalte mit ihren religiösen und weltan­schau­lichen Überzeugungen nicht vereinbaren ließen. Seither hat die Mutter die Kinder zuhause unterrichtet. Obwohl den Eltern bewusst war, dass sie ihre Kinder damit der staatlichen Schulpflicht entzogen, hielten sie es aus Gründen des Glaubens und des Gewissens für unzumutbar, den Anforderungen des Schulgesetzes zu genügen. Unter anderem nahmen sie Anstoß an der Vermittlung der Evolu­ti­o­ns­theorie, am Religi­o­ns­un­terricht sowie dem Inhalt des Sexua­l­kun­de­un­ter­richts.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht die Angeklagten freigesprochen, weil ihnen kein schuldhaftes Handeln vorzuwerfen sei. Beide Angeklagte hätten nach ihren Überzeugungen zum Besten der Kinder gehandelt.

Auf die Berufung der Staats­an­walt­schaft hat das Landgericht Gießen das erstin­sta­nzliche Urteil aufgehoben und die Angeklagten unter Vorbehalt einer Geldstrafe verwarnt. Die Glaubens- und Gewis­sens­kon­flikte der Eltern führten – so das Landgericht – nicht zur Aufhebung der allgemeinen Schulpflicht für ihre Kinder. Das staatliche Schul­ge­stal­tungsrecht stehe nicht unter dem Vorbehalt, elterlichen Erzie­hungs­vor­stel­lungen zu entsprechen. Schulische Bildungs– und Erziehungsziele, die einzelnen Unter­richts­inhalte und –methoden müssten Eltern gelten lassen, auch wenn sie ihren religiösen Überzeugungen zuwider laufen. Bei wider­strei­tenden Rechten und Interessen sei eine Ausgewogenheit herzustellen, wozu u.a. Teilhaberechte der Eltern im Hessischen Schulgesetz normiert seien. Das gleichrangige Erziehungsrecht der Eltern könne zwar verletzt werden, wenn die staatliche Schule die notwendige Neutralität nicht wahre. Aus der Glaubens­freiheit folge jedoch kein Anspruch, sich nicht mit wissen­schaft­lichen Erkenntnissen befassen zu müssen, die der eigenen religiösen Überzeugung widersprechen. Auch Inhalte und Form des Sexua­l­kun­de­un­ter­richts bewegten sich noch im Rahmen dessen, was die Schule sensiblen, anders denkenden Menschen im Ergebnis zumuten dürfe. Dabei sei zu berücksichtigen, welchen Einflüssen Kinder in ihrem gewöhnlichen Alltag durch die moderne Medienwelt oder durch Mitschüler ausgesetzt seien. Es erscheine zu Erzie­hungs­zwecken nicht unangebracht, wenn im Unterricht entsprechende Situationen ebenso drastisch und teilweise provokant aufgegriffen würden, wie sie im Alltag erlebt werden. Schüler und Eltern würden mit der Bandbreite unter­schied­licher Auffassungen und Lebensweisen konfrontiert und die Schul­wirk­lichkeit entspreche dem, was Kinder allenthalben wahrnehmen, ob die Eltern dies wünschten oder nicht.

Bei der Strafzumessung hat die Kammer berücksichtigt, dass die Angeklagten aus ihrer Sicht das Beste für ihre Kinder zu tun glaubten, wenn sie diese nicht mehr zur Schule gehen ließen. Sie machte daher von der mildesten Sanktion, nämlich einer Verwarnung mit Strafvorbehalt Gebrauch.

Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat das Oberlan­des­gericht nunmehr als unbegründet verworfen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Auszug aus dem Hessischen Schulgesetz:

Erläuterungen
§ 182 Straftaten

(1) Wer einen anderen der Schulpflicht dauernd oder hartnäckig wiederholt entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft.

(2) Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Antrags­be­rechtigt ist die unterste Schul­auf­sichts­behörde. Der Antrag kann zurückgenommen werden.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt am Main vom 29.07.2004

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