23.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss17.10.2017

Privatsender SAT.1 ist vorläufig zur Ausstrahlung von Sendezeiten für unabhängige Dritte verpflichtetÖffentliches Interesse an Gewährleistung der Meinungs­vielfalt hat Vorrang vor ungeschmälerter Ausstrahlung des eigenen privaten Fernseh­pro­gramms durch SAT.1

Das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz hat den Privatsender SAT.1 im Rahmen eines Eilverfahrens vorläufig dazu verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des derzeit noch in der ersten Instanz beim Verwal­tungs­gericht Neustadt anhängigen Klageverfahrens wöchentlich drei Stunden Sendezeiten für unabhängige Dritte ("Dritt­sen­de­zeiten") in seinem Fernsehprogramm aufzunehmen.

Die rundfunk­rechtliche Verpflichtung zur Einräumung von Drittsendezeiten in der Form von sogenannten Fenster­pro­grammen ergibt sich aus den Regelungen in dem zwischen den Bundesländern abgeschlossenen Rundfunkstaats­vertrag, denen insoweit Gesetzeskraft zukommt. Nach diesem Staatsvertrag wird seit Mitte der 90er Jahre die Genehmigung zur Ausstrahlung eines privaten Fernseh­voll­pro­gramms unter anderem davon abhängig gemacht, dass innerhalb dieses Programms bestimmte Zeitanteile unabhängigen Produzenten von Fernseh­pro­grammen (sogenannte Fenster­pro­gramm­ver­an­stalter) eingeräumt werden. Diese Verpflichtung tritt immer dann ein, wenn der Privatsender bei Einleitung des Verfahrens im Durchschnitt der letzten zwölf Monate einen Zuschaueranteil von 10 % oder, falls der Privatsender einer Sendergruppe angehört, die Sendergruppe insgesamt einen Zuschaueranteil von 20 % erreicht oder überschritten hat. Diese Vorgaben sollen der Sicherung von Meinungs­vielfalt im privaten Fernsehsektor dienen.

Dritt­sen­de­zeiten werden von Landesanstalt für Medien und Kommunikation ermittelt und öffentlich ausgeschrieben

Ob bei einem Privatsender oder der Sendergruppe ein solcher Zuschaueranteil vorliegt, wird von der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) auf Veranlassung der zuständigen Landes­me­di­e­n­anstalt - in Rheinland-Pfalz die Landesanstalt für Medien und Kommunikation (LMK) - ermittelt. Die Dritt­sen­de­zeiten werden anschließend von der LMK öffentlich ausgeschrieben. Die Auswahl der künftigen Fenster­pro­gramm­ver­an­stalter erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren gemeinsam mit dem Haupt­pro­gramm­ver­an­stalter sowie im Benehmen mit der KEK. Der Fenster­pro­gramm­ver­an­stalter erhält sodann eine eigene rundfunk­rechtliche Zulassung für die Dauer von fünf Jahren.

In früheren Zulas­sungs­zeit­räumen wurde jeweils die auch im aktuellen Verfahren beteiligte Produk­ti­o­nsfirma dctp und eine - nicht mehr existente - weitere Anbieterin von der LMK berechtigt, im Programm von SAT.1 Fenster­pro­gramme zu veranstalten. Die letzte Zulassung endete zum 31. Mai 2013. Für den danach beginnenden neuen Zulas­sungs­zeitraum wählte die LMK zunächst diese Anbieter nochmals aus.

OVG lässt Dritt­sen­de­zeiten zunächst vorläufig entfallen

In dem seinerzeit von SAT.1 eingeleiteten ersten Eilverfahren wurden vom Oberver­wal­tungs­gericht Rheinland-Pfalz Rechtsfehler in der Ausschreibung und den Verga­be­ent­schei­dungen festgestellt und zunächst die sofortige Vollziehbarkeit der Zulas­sungs­be­scheide beseitigt (vgl. Oberver­wal­tungs­gericht Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 08.09.2014 - 2 B 10323/14.OVG (v. 23.07.2014) und 2 B 10327/14.OVG -).

VG Neustadt hebt Zulas­sungs­be­scheide der LMK auf

Unmittelbar nach Ergehen der Eilent­schei­dungen stellte SAT.1 im September 2014 die Ausstrahlung der überregionalen Fenster­pro­gramme ein. Im anschließenden Haupt­sa­che­ver­fahren hob das Verwal­tungs­gericht Neustadt die Zulas­sungs­be­scheide der LMK auf (vgl. Verwal­tungs­gericht Neustadt, Urteil v. 21.04.2015 - 5 K 752/13.NW, 5 K 695/13.NW und 5 K 749/13.NW -). Hiergegen legte (nur) dctp Berufung ein.

SAT.1 erhebt erneut Klage auf Beseitigung der enthaltenen Verpflichtung zur sofortigen Einräumung von Dritt­sen­de­zeiten

Da das Oberver­wal­tungs­gericht allerdings wegen des Überschreitens der Zuschau­e­r­anteile von 10 % bzw. 20 % bereits 2014 die grundsätzliche Verpflichtung von SAT.1 zur Einräumung von Dritt­sen­de­zeiten festgestellt hatte, schrieb die LMK die Fenster­pro­gramme - wegen des bei der Ausschreibung noch laufenden Berufungs­ver­fahrens der früheren "Zulassungsrunde" unter Vorbehalt - neu aus. In diesem Verfahren wurden von der LMK und SAT.1 einvernehmlich drei Fenster­pro­gramm­ver­an­stalter ausgewählt (darunter wiederum die Firma dctp) sowie SAT.1 verpflichtet, diesen im Hauptprogramm Sendezeiten (dienstags von 23.10 Uhr bis 01.15 Uhr und samstags von 19.00 Uhr bis 19.55 Uhr) einzuräumen. Hiergegen hat SAT.1 erneut sowohl Klage erhoben als auch einen weiteren Eilantrag gestellt, mit dem sie die in dem Bescheid zugleich enthaltene Verpflichtung zur sofortigen Einräumung von Dritt­sen­de­zeiten beseitigen will.

LEK war aufgrund vorliegender maßgeblicher Zuschau­e­r­anteile zur Ausschreibung von Dritt­sen­de­zeiten berechtigt

Während das Verwal­tungs­gericht dem Eilantrag von SAT.1 stattgab, bekräftigte das Oberver­wal­tungs­gericht auf die von der LMK und dctp eingelegten Beschwerden die Verpflichtung von SAT.1, die Sendezeiten für unabhängige Dritte in ihrem Fernsehprogramm aufzunehmen. Anders als in früheren Eilverfahren konnte das Oberver­wal­tungs­gericht keine Rechtsfehler in der Ausschreibung, der Auswahl und der Vergabe der Zulassungen der drei ausgewählten Fenster­pro­gramm­ver­an­stalter erkennen. Der Zuschaueranteil der Sendergruppe sei von der KEK zutreffend mit 20,04 % festgestellt worden. Damit hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens die Zuschau­e­r­anteile einen Wert erreicht, der die LMK berechtigt habe, die zur Sicherung der Meinungs­vielfalt im privaten Rundfunk vorgesehenen Dritt­sen­de­zeiten auszuschreiben. Die Zuschau­e­r­anteile seien während des laufenden Verfahrens auch nicht so stark zurückgegangen, dass die Verpflichtung zur Einräumung von Dritt­sen­de­zeiten unver­hält­nismäßig erscheine. Weitere Fehler im Verga­be­ver­fahren seien nicht festzustellen. Insbesondere hätten die beteiligten Organe der LMK innerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt. Das Verfahren habe auch schon beginnen dürfen, obwohl die Berufung in dem vorherigen Verga­be­ver­fahren noch beim Senat anhängig gewesen sei. Insofern sei die Angelegenheit eilbedürftig gewesen, weil trotz des auch vom Oberver­wal­tungs­gericht festgestellten Überschreitens der Zuschau­e­r­anteile seit der Einstellung der Fenster­pro­gramme im September 2014 mehr als drei Jahre keine überregionalen Fenster­pro­gramme im Hauptprogramm von SAT.1 mehr ausgestrahlt worden seien. Diesen Zustand habe die LMK so schnell wie möglich beenden dürfen.

Öffentlichem Interesse an zeitnaher und effektiver Gewährleistung einer Meinungs­vielfalt im Medienbereich ist Vorrang einzuräumen

Unabhängig von der nach Auffassung des Oberver­wal­tungs­ge­richts wohl nicht erfolgreichen Klage von SAT.1 in der Hauptsache hat das Gericht in dem rundfunk­recht­lichen Eilverfahren aber auch eine Folgenabwägung getroffen. Danach sei dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen und effektiven Gewährleistung der Meinungs­vielfalt im Medienbereich gegenüber dem Interesse von SAT.1 an einer ungeschmälerten Ausstrahlung ihres privaten Fernseh­pro­gramms der Vorrang einzuräumen. Unter Zugrundelegung der gesamten Sendezeit der aus neun verschiedenen Programmen bestehenden Sendergruppe und bei einer unterstellten Sendedauer von 24 Stunden je Sender werde das Recht auf freie Programm­ge­staltung des Privatsenders lediglich in einer Größenordnung von noch nicht einmal ,2 Prozent eingeschränkt. Die Grund­rechts­be­trof­fenheit der Sendergruppe, für die SAT.1 agiere, könne deshalb in der Gesamt­be­trachtung nur als geringfügig angesehen werden. Demgegenüber würde die bei einem Erfolg des Eilantrags von SAT.1 eintretende Fortschreibung des verfas­sungs­rechtlich nicht tragbaren Zustands, bei dem trotz festgestellter Verpflichtung von SAT.1 zur Einräumung von Dritt­sen­de­zeiten keine Fenster­pro­gramme mehr ausgestrahlt würden, deutlich schwerer wiegen. Der neuerliche Eilantrag von SAT.1 würde im Ergebnis die Hauptsache allein durch Zeitablauf im Ergebnis vorwegnehmen.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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