21.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Bremen Urteil19.11.2013

OVG Bremen verneint Befreiung von der Teilnahme an Klassenfahrten aus religiösen GründenBefreiung von schulischen Pflicht­ver­anstaltungen wegen befürchteter Beein­träch­ti­gungen religiöser Erziehungs­vor­stellungen muss Ausnahme bleiben

Das Ober­verwaltungs­gericht Bremen hatte darüber zu entscheiden, inwieweit Schüler und Eltern aus Gründen der Glaubens- und Gewis­sens­freiheit bzw. des elterlichen Erzie­hungs­rechts die Befreiung von der Teilnahme an einer Klassenfahrt beanspruchen können. Das Gericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass eine solche Befreiung grundsätzlich eine Ausnahme bleiben sollte und bei einem dargelegten Konflikt zwischen der Glaubens- und Gewis­sens­freiheit einerseits und dem staatlichen Erzie­hungs­auftrag andererseits, zunächst nach einem Kompromiss gesucht werden muss.

Im zugrunde liegenden Streitfall sollten drei Geschwister, die damals Schüler der 5., 6. und 7. Jahrgangsstufe einer Bremerhavener Schule waren, an einer mehrtägigen Klassenfahrt teilnehmen. Ihr Vater, der mit seiner Familie Mitglied der Freien Chris­ten­ge­meinde in Bremerhaven ist, hatte vergeblich beantragt, seine Kinder hiervon zu befreien, weil während der Klassenfahrt deren christliche Betreuung durch ihn in Form von gemeinsamen Gebeten und Bibellesungen nicht gewährleistet sei und die Unterbringung der Kinder außerhalb des Elternhauses in die grundrechtlich geschützte christlich geprägte Erziehung der Kinder eingreife. Das an ihn gerichtete Angebot der Schule, die Kinder abends vom 35 km von Bremerhaven entfernt gelegenen Ziel der Klassenfahrt abzuholen und sie morgens wieder zurück zu bringen, hat der Vater abgelehnt.

Von sämtlichen Glaubens­stand­punkten aus akzeptabel erscheinender Unterricht aufgrund der religiösen Vielfalt der Gesellschaft unmöglich

Das Oberver­wal­tungs­gericht hat unter Anschluss an die Urteile des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vom 11. September 2013 festgestellt, dass eine Befreiung von schulischen Pflicht­ver­an­stal­tungen wegen befürchteter Beein­träch­ti­gungen religiöser Erzie­hungs­vor­stel­lungen die Ausnahme zu bleiben habe. Zwar seien der staatliche Bildungs- und Erzie­hungs­auftrag auf der einen und das religiöse Erziehungsrecht bzw. die Glaubens­freiheit auf der anderen Seite gleichrangig. Das bedeute, dass der Staat bei Ausgestaltung des Unterrichts Neutralität und Toleranz in religiöser und weltan­schau­licher Hinsicht zu wahren habe. Gleichzeitig habe die Schule die Aufgabe, allen Schülerinnen und Schülern ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungs­mög­lich­keiten zu gewährleisten und einen Grundstein für ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesell­schaft­lichen Leben zu legen. Dieser staatliche Bildungs- und Erzie­hungs­auftrag würde praktisch leerlaufen, müsste sich die Schule mit Unter­richts­ge­stal­tungen begnügen, die von sämtlichen Glaubens­stand­punkten aus akzeptabel erscheinen und deshalb vom Konsens aller Beteiligten abhängig wären. In einer religiös vielgestaltigen Gesellschaft, in der die Schule eine wichtige Integra­ti­o­ns­funktion wahrnehme, sei dies nicht möglich.

Bei Konflikten zwischen Glaubens­freiheit und staatlichem Erzie­hungs­auftrag muss zunächst nach Kompromissen gesucht werden

Eine nur im Ausnahmefall zulässige Befreiung von einer verpflichtenden Schul­ver­an­staltung setze zunächst voraus, dass sich schon dem Befrei­ungs­antrag der behauptete Glaubens- und Gewis­sens­konflikt objektiv nachvollziehbar entnehmen lasse. Sei ein Konflikt zwischen der Glaubens- und Gewis­sens­freiheit einerseits und dem staatlichen Erzie­hungs­auftrag andererseits dargelegt, müsse zunächst nach einem Kompromiss gesucht werden, der den Konflikt entschärfe, ohne den staatlichen Bildungsauftrag zu gefährden. Wer sich als Beteiligter einer solchen Konflik­tent­schärfung verweigere und annehmbare Ausweich­mög­lich­keiten ausschlage, müsse hinnehmen, dass er sich nicht länger gegenüber dem anderen Beteiligten auf einen Vorrang seiner Rechtsposition berufen dürfe. Scheide ein Kompromiss aus, komme eine Befreiung nur dann in Betracht, wenn die dargelegte Beein­träch­tigung von besonders gravierender Intensität sei. Auch in diesem Fall bedürfe es noch einer umfassenden Abwägung im Einzelfall.

Vater hätte Kompro­mis­s­angebot der Schule annehmen können

Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat das Oberver­wal­tungs­gericht für den vorliegenden Fall entschieden, dass die drei ehemaligen Schüler nicht von der Teilnahme an der Klassenfahrt zu befreien waren. Das Kompro­mis­s­angebot der Schule, das es dem Vater ermöglicht hätte, die Kinder am Abend religiös zu unterweisen, sei geeignet gewesen, den im Grundsatz bestehenden Konflikt zu entschärfen. Da die Kläger dieses annehmbare Kompro­mis­s­angebot ausgeschlagen hätten, bedürfe es einer weitergehenden Abwägung der wider­strei­tenden Rechts­po­si­tionen nicht mehr.

Besonders gravierende Beein­träch­tigung der religiösen Verhal­tens­gebote wurde von Eltern nicht dargelegt

Das Oberver­wal­tungs­gericht hat aber gleichzeitig betont, dass die Schule den Klägern mit ihrem Angebot, auf die Übernachtung der Kinder außer Haus zu verzichten, weit entge­gen­ge­kommen ist. Auch wenn die Schule auf eine Übernachtung im Klassenverband bestanden hätte, was aus pädagogischen Gründen im Sinne des Gemein­schaft­s­er­leb­nisses notwendig sein könne, wäre im vorliegenden Fall eine besonders gravierende Beein­träch­tigung der von den Klägern für sich beanspruchten religiösen Verhal­tens­gebote nicht dargelegt gewesen.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Bremen/ra-online

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