21.11.2024
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Dokument-Nr. 28154

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Oberlandesgericht Stuttgart Urteil29.11.2019

Abgasskandal: Volkswagen AG muss Kfz-Verkäufen der Jahre 2013 und 2015 Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zahlenIllegale Abschalt­ein­richtung wurde bewusst in Fahrzeugen verbaut

Das Oberlan­des­gericht Stuttgart hat die Volkswagen AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Zusammenhang mit dem Erwerb von Fahrzeugen mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 zur Rücknahme der Fahrzeuge und zur Rückzahlung der Kaufpreise abzüglich einer Nutzungs­ent­schädigung verurteilt.

In den zugrunde liegenden Fällten hatten die jeweiligen Kläger die Fahrzeuge, einen VW Passat, einen VW Amarok und einen VW EOS, in den Jahren 2013 und 2015 erworben. In allen Fahrzeugen war eine sogenannte Umschalt-Software verbaut, die erkennen konnte, ob sich das Fahrzeug im Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befand und in diesem Fall die Abgas­rü­ck­füh­rungsrate mit der Folge geringeren Stick­o­xid­ausstoßes erhöhte. Alle Kläger machten wegen der unzulässigen Abschalt­ein­richtung ihrer Fahrzeuge Schaden­s­er­satz­ansprüche geltend.

In zwei der genannten Fälle gaben die Landgerichte Ellwangen und Heilbronn den Klagen überwiegend statt, im dritten Fall wies das Landgericht Rottweil erstinstanzlich die Klage ab. Die unterlegenen Parteien legten jeweils die Berufung ein.

OLG bejaht Schaden durch nachteiligen Vertragsschluss sowohl bei Neu- als auch bei Gebrauchtwagen

In allen drei Fällen gelangten die Zivilsenate des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart zu der Überzeugung, dass die Beklagte den Käufern einen Schaden in Form eines nachteiligen Vertrags­schlusses zugefügt hätten, indem sie die Fahrzeuge in Verkehr gebracht hätten, obwohl die Typgenehmigung und Betrie­bs­zu­lassung unter heimlicher Verwendung einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung erlangt worden sei und damit die Entziehung der Betrie­bs­zu­lassung gedroht habe. Dies gelte nicht nur beim Neuwagenkauf, sondern auch bei Käufern, die wie im vom 10. Zivilsenat entschiedenen Fall das Fahrzeug gebraucht von einem Dritten erworben haben.

Volkswagen AG setzt sich allein aus wirtschaft­lichen Erwägungen über Belange des Umweltschutzes hinweg

Das Verhalten der Volkswagen AG verstoße gegen die guten Sitten. Maßgebliche Gründe für die Annahme der Sitten­wid­rigkeit seien, dass die Beklagte in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen bewusst die illegale Abschalt­ein­richtung in ihre Fahrzeuge verbaut habe. Dabei habe sie mit hoher krimineller Energie die staatlichen Behörden systematisch getäuscht und zu Werkzeugen gemacht, indem sie diese zur Ausstellung scheinbar rechtsgültiger Zulas­sungs­be­schei­ni­gungen veranlasst habe, um auf diese Weise massenhaft Fahrzeugkäufer täuschen zu können. Dabei habe sich die Volkswagen AG allein aus wirtschaft­lichen Erwägungen über die Belange des Umweltschutzes hinweggesetzt.

Entscheidung über massenhaften Einsatz der Motor­steu­e­rungs­software lässt Kenntnis und Billigung des Vorstands oder deren Vertreter vermuten

Die Beklagte müsse sich auch das vorsätzliche Handeln ihrer verfas­sungsmäßig berufenen Vertreter gemäß § 31 BGB zurechnen lassen. Der Vertre­ter­begriff sei weit auszulegen, um zu verhindern, dass sich insbesondere Großunternehmen allein aufgrund ihrer Größe und durch ihre arbeitsteilige Organi­sa­ti­o­nss­truktur einer Haftung für schuldhaftes Verhalten ihrer Mitarbeiter ohne Weiteres entziehen könnten. Daher spreche eine Vermutung dafür, dass die Entscheidung über den massenhaften Einsatz der Motor­steu­e­rungs­software nicht ohne Kenntnis und Billigung wenn nicht des Vorstands, so jedenfalls eines verfas­sungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten erfolgt sei. Nach der herrschenden Meinung der Obergerichte treffe die Volkswagen AG eine sogenannte sekundäre Darlegungslast, dass entgegen dieser Vermutung kein Firmenvertreter Kenntnis von der Manipu­la­ti­o­ns­software gehabt habe. Einen derartigen Vortrag, insbesondere zum Ablauf der internen Entschei­dungs­prozesse, habe die Beklagte nicht gehalten.

Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs abzüglich Nutzungs­ent­schä­digung

Daher könnten die jeweiligen Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf Schätzbasis anhand der üblichen Formel für gezogene Nutzungen (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer/Gesamt­lauf­leistung des Fahrzeugs) verlangen. Einen weiteren, auf § 849 BGB gestützten Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises ab dem Zeitpunkt des Vertrags­schlusses haben die Senate des Oberlan­des­ge­richts jeweils abgelehnt. Da die Kläger die Fahrzeuge bis zur Rückabwicklung des Kaufvertrags hätten nutzen können, hätten sie den Kaufpreis nicht jeweils ersatzlos (und damit zu verzinsend) weggegeben.

Relevante Vorschriften:

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 31 Haftung des Vereins für Organe

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfas­sungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

§ 849 Verzinsung der Ersatzsumme

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.

Quelle: Oberlandesgericht Stuttgart/ra-online (pm/kg)

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