21.11.2024
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Landgericht München I Urteil14.04.2016

VW-Abgasskandal: Käufer eines Seat mit manipuliertem VW-Dieselmotor kann Kaufvertrag rückabwickelnLG München I räumt Autokäufer erstmals volles Rückgaberecht gegen VW-Vertragshändler ein

Das Landgericht München I hat der Klage des Käufers eines Kfz der zum Volkswagen-Konzern gehörenden Marke Seat auf Rückabwicklung stattgegeben. Die fehlerhaften Angaben zum Schad­s­tof­f­ausstoß berechtigten den Käufer, den Kaufvertrag mit dem VW-Vertragshändler wegen arglistiger Täuschung und aufgrund der allgemeinen Sachmangel­gewähr­leis­tungs­rechte rückabzuwickeln.

Danach muss der Autohändler den Kaufpreis in Höhe von 17.930,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug um Zug gegen Rückgabe des verkauften Wagen erstatten. Vom Kaufpreis abziehen kann er dabei den für die bereits erfolgte Nutzung durch den Autokäufer gezogenen Gebrauchs­vorteil, den das Gericht angesichts der gefahrenen 27.359 km bei einer bei Dieselmotoren zu erwartenden Laufleistung von 300.000 km auf 1.594,89 Euro schätzt.

Volles Rücktrittsrecht bei vom Abgasskandal betroffenen Autos des VW-Konzerns

Mit dem Urteil wurde erstmals einem Autokäufer das volle Rücktrittsrecht wegen eines vom so genannten VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs eingeräumt. In einem anderen Verfahren hat noch das Landgericht Bochum (Urteil vom 16.03.2016, Az. I-2 O 425/15) Rückab­wick­lungs­ansprüche des Autokäufers verneint - unter anderem mit dem Argument der Geringfügigkeit des Sachmangels.

In vorliegendem Fall handelt es sich bei dem gekauften Fahrzeug um einen Seat 1.6 TDI 66 kw mit einem von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 189. Dem Käufer kam es bei der Wahl des Fahrzeugs ausdrücklich darauf an, dass der Schad­s­tof­f­ausstoß niedrig sei, der CO2-Ausstoß den Angaben entspreche, der Verbrauch des Fahrzeugs niedrig und die PS-Leistung hoch sei. Diese Präferenzen besprach er mit dem Mitarbeiter des Autohändlers, der daraufhin den streit­ge­gen­ständ­lichen Seat empfahl.

Autohändler hatte Fahrzeug wegen geringen Schad­s­tof­f­ausstoßes empfohlen

Der Verkäufer empfahl diesen Wagen im Hinblick auf seine besondere Sparsamkeit im Verbrauch bei niedrigem Schad­s­tof­f­ausstoß. Auch in dem Seat-Verkauf­sprospekt wurde das Auto entsprechend beworben.

Diese Angaben entsprechen jedoch nicht der Wahrheit, da der verbaute Motor vom VW-Abgasskandal betroffen ist. Die Stickoxidwerte (Nox) werden durch eine manipulierende Software im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fahrbetrieb verschlechtert, wobei die konkreten Auswirkungen streitig sind. Unabhängig davon ist das Fahrzeug allerdings technisch sicher und fahrbereit.

Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung durch Autohändler

Das Gericht billigte dem Kläger die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung zu, da die Angaben des Autohändlers zum Schad­s­tof­f­ausstoß objektiv unrichtig waren. Der Autohändler muss sich die Kenntnis der Volkswagen-AG von der Unrichtigkeit der Angaben zurechnen lassen, da er im Internet damit geworben hat, eine 100 %-Tochter von VW und damit "Teil des erfolgreichsten europäischen Automo­bil­her­stellers" zu sein.

Autohändler trat als Teil der Volkswagen-AG auf

Damit hat der Autohändler bewusst nach außen hin besonderes Vertrauen als Teil des VW-Konzerns in Anspruch genommen, so dass er sich nun auch an die von VW bewusst unrichtigen Angaben zu den Schad­s­tof­f­e­mis­sionen des Motors festhalten lassen muss, die auch Gegenstand der Anpreisungen des Verkaufs­mi­t­a­r­beiters des Autohändlers waren, die wiederum mitursächlich für die Kaufent­scheidung des Klägers waren.

Bei Arglistiger Täuschung kommt es nicht auf Erheblichkeit des Sachmangels an

Für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kommt es - so das Landgericht - nur auf die Täuschung und deren Ursächlichkeit bei der Willensbildung des Anfechtenden an. Die Frage der Erheblichkeit des Mangels ist dabei hingegen irrelevant. Von dem Autohändler wäre es zudem treuwidrig, erst die angeblich geringen Schad­s­tof­f­e­mis­sionen des Fahrzeugs als besonderes Verkauf­s­a­r­gument zu nutzen, sich im Nachhinein aber mit dem Argument, dass die Manipulation der Schadstoffwerte unerheblich wäre, gegen eine Anfechtung durch den Autokäufer zu verteidigen. Auf Seiten des Autohändlers bedarf es auch keiner Schädi­gungs­absicht, sondern es reicht der bedingte Vorsatz, also das billigende Inkaufnehmen der Schädigung, aus.

Käufer hat auch Rücktrittsrecht wegen Sachmangels

Das Gericht geht noch einen Schritt weiter und führt aus, dass dem Kläger der Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags neben der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch aus dem Rücktrittsrecht der allgemeinen Sachman­gel­ge­währ­leistung nach § 434 BGB zusteht. Denn die Angaben zum Schad­s­tof­f­ausstoß waren objektiv unrichtig, und der beklagte VW-Händler hat dem Mangel trotz entsprechender Fristsetzung durch den Kläger nicht durch Nachbesserung abgeholfen.

Dabei sei, so das Gericht, bereits zweifelhaft, ob eine erfolgreiche Nachbesserung überhaupt möglich sei. Bislang gebe es lediglich entsprechende Absichts- und Zielerklärungen von Volkswagen.

Nachbes­se­rungsfrist: Autohändler hat Schaden trotz Aufforderung nicht behoben

Ferner hat der beklagte Autohändler eine angemessene Nachbes­se­rungsfrist gemäß § 323 Absatz 1 BGB ungenutzt verstreichen lassen. Die von dem Kläger gesetzte Frist von zwei Wochen sei zwar zu kurz gewesen. Jedoch kann eine angemessene Nachbes­se­rungsfrist nicht 6 Wochen oder mehr als 2 Monate überschreiten. Die in dem Fall verstrichenen 6 Monate jedenfalls seien in keinem Fall mehr angemessen.

Software-Manipulation ist erhebliche Pflicht­ver­letzung

Das Landgericht konstatiert ferner - und insofern in Abweichung zu dem Urteil des Landgerichts Bochum vom 16.03.2016 - dass die Pflicht­ver­letzung nicht unerheblich im Sinne von § 323 Absatz 5 Satz 2 BGB sei. Dabei sei eine umfassende Inter­es­se­n­ab­wägung vorzunehmen, wobei der für die Mangel­be­sei­tigung erforderliche Aufwand und die Schwere des Verschuldens des Schuldners zu berücksichtigen sind. Dabei sei es so, dass eine unerhebliche Pflicht­ver­letzung bei Arglist in der Regel zu verneinen sei.

Mangel­be­sei­tigung ist nicht ohne weiteres möglich

Im vorliegenden Fall bildete das Gericht die Überzeugung, dass der Aufwand der Mangel­be­sei­tigung nicht unerheblich sei. Zwar habe der Autohändler vorgetragen, dass die Durchführung der Mangel­be­sei­tigung nur etwa eine Stunde dauern und weniger als 100 Euro kosten werde. Jedoch ergab sich aus dem weiteren Vortrag des Beklagten, dass für die Vorbereitung dieser Mangel­be­sei­tigung ein Vorlauf von fast einem Jahr erforderlich sei, und erst dann der Mangel innerhalb einer knappen Stunde behoben werden könne. Deshalb, so das Gericht, handele es sich offensichtlich nicht um eine einfache technische Maßnahme, die kurzfristig und ohne weitere Vorbereitungen hätte vorgenommen werden können. Hinzu komme, dass für die Mangel­be­sei­tigung eine Genehmigung des Kraft­fahrt­bun­desamtes eingeholt werden müsse.

Schließlich hatte der beklagte Autohändler gar nicht sicher sagen könne, ob die geplanten technischen Maßnahmen überhaupt tatsächlich erfolgreich und ohne Nebenwirkungen sein werden. Er verwies lediglich auf das entsprechende Ziel von Volkswagen - also auf nichts anderes als eine bloße Absichts­er­klärung.

Ob sich aufgrund des Mangels ein merkantiler Minderwert des Fahrzeugs realisieren werde, sei ebenfalls noch nicht absehbar.

Quelle: Landgericht München I, ra-online (vt/we)

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