18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen die Ausrüstung eines Polizisten.
ergänzende Informationen

Landgericht Karlsruhe Urteil08.12.2011

"All Cops Are Bastards"-Fall: "A.C.A.B."-Banner im Fußballstadion stellt keine strafbare Beleidigung darStraflose Kollektiv­bezeichnung

Wer ein Banner mit den Buchstaben "A.C.A.B." ("All Cops Are Bastards") im Fußballstadion öffentlich hochhält, kann nicht wegen Beleidigung bestraft werden. Dies entschied das Landgericht Karlsruhe und bestätigte ein entsprechendes Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe.

Im zugrunde liegenden Fall besuchte der spätere Angeklagte am 16.10.2010 ein Fußballspiel der Zweitliga im Karlsruher Wildparkstadion. Es spielte der Karlsruher SC gegen den VfL Bochum. Gegen 14.25 Uhr hielt der Angeklagte mit weiteren nicht bekannten Personen ein großflächiges Banner mit der Aufschrift "A C A B" - Abkürzung für die Worte "All cops are bastards" hoch. Der Angeklagte selbst hatte den Buchstaben "C" hochgehalten. Die einzelnen Buchstaben waren zuvor von zahlreichen Fans hochgehalten worden und stammten aus dem Banner "BFE ABSCHAFFEN !".

Angeklagter wollte Kritik an der zunehmender Polizeigewalt und dem Einsatz sogenannter "Beweis- und Festnah­me­ein­heiten" üben

Vor Gericht ließ sich der Angeklagte dahingehend ein, dass es für ihn darum gegangen sei, Kritik an der zunehmenden Polizeigewalt und dem Einsatz sogenannter "Beweis- und Festnah­me­ein­heiten" (kurz BFE) im Zusammenhang mit Großver­an­stal­tungen, auch im Fußballstadion zu üben. Anlass für diese Kritik sei zum einen der sog. "schwarze Donnerstag" bei deiner Demonstration in Stuttgart gegen das Projekt "Stuttgart 21" am 30.09.2010 gewesen, bei dem die Polizei sehr massiv und gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen sei und viele Demonstranten verletzt habe. Zudem sei kurz vorher gegen einen Fan des Karlsruher SC auf der Grundlage - nachweislich falscher - Aussagen zweier Frankfurter Polizeibeamten ein Strafbefehl wegen Landfrie­dens­bruchs erlassen worden. Die Äußerung "All cops are bastards" habe sich hingegen nicht gegen die am 16.10.2010 im Fußballstadion anwesenden Polizisten gerichtet. Denn zu diesen hätten die Fans des Karlsruher SC ein gutes Verhältnis.

Polizist erstattet Anzeige und stellt Strafantrag - Staats­an­walt­schaft erlässt Strafbefehl wegen Beleidigung

Das Banner "A C A B" war im gesamten Stadion sichtbar. Ein Polizist sah sich in seiner Ehre gekränkt und erstatte Anzeige. Die Staats­an­walt­schaft Karlsruhe erließ daraufhin einen Strafbefehl gegen den Angeklagten und verhängte wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 25 Tagesätzen zu je 40,00 Euro.

Amtsgericht und Landgericht sprechen den Angeklagten frei

Hiergegen legte der Angeklagte Einspruch, woraufhin ihn das Amtsgericht Karlsruhe vom Vorwurf der Beleidigung freisprach. Das Landgericht Karlsruhe bestätigte diesen Freispruch. Der Angeklagte sei aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.

Die Bezeichnung einer Person als "Bastard" sei sowohl in der englischen als auch in der deutschen Sprache eindeutig ehrverletzend, führte das Landgericht aus (vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2009, 50).

Beileidung einer Personengruppe

Dem Wortlaut habe sich die Äußerung des Angeklagten auf alle Polizeibeamten dieser Welt ("All cops…") bezogen. Voraussetzung der Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollek­tiv­be­zeichnung sei, dass sich die bezeichnete Personengruppe auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit heraushebt, dass der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt ist (BGHSt 2, 38, 39; 11, 207, 208; BGH MDR 1989, 558). Weiteres Kriterium sei, dass der fragliche Personenkreis deutlich überschaubar ist, da sich sonst die Beleidigung gegen einen einzelnen aus einem großen Personenkreis in der Vielzahl derer, die ihm angehören, verliert (BayObLG MDR 1990, 564-565). Im Hinblick auf die beträchtliche Zahl der Polizeibeamten in der Welt oder auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihren erheblichen Unterschieden in Aufga­ben­stellung und Organisation könne im Tun des Angeklagten die Beleidigung jedes Polizeibeamten nicht ohne weiteres erblickt werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein - vom Willen des Angeklagten umfasster - Bezug auf indivi­du­a­li­sierbare Personen vorlag.

Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Kollek­tiv­be­lei­digung

Es sei mit Artikel 5 GG unvereinbar, wenn sich ein Gericht nicht hinreichend vergewissert, dass die mit Strafe belegten Äußerungen den ihnen beigemessenen kränkenden Sinn auch wirklich hatten. Vielmehr müssten der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen Begleitumstände des konkreten Einzelfalls, soweit diese für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar waren, berücksichtigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995, 1 BvR 1476/91 "Soldaten sind Mörder"). Vorliegend ließ sich unter Berück­sich­tigung der konkreten Umstände der Äußerung des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte seine Aussage "All cops are bastards" konkret auf die im Stadion anwesenden Polizeibeamten, unter ihnen den Anzeige erstattenden Zeugen bezog und er diese in ihrer Ehre herabsetzen wollte.

Gericht deutet Banner als allgemeine - straflose - Kritik an der Polizeiarbeit

Die Gestaltung der Aussage "ACAB!" als Transparent, gebildet aus dem zuvor gezeigten Transparent "BFE abschaffen!" und das zuvor ebenfalls gezeigte Transparent "Stuttgart 21 - Polizeigewalt kann jeden treffen" lassen die Deutung der Aussage "All cops are bastards" als allgemeine Kritik an der Polizeiarbeit im Zusammenhang mit Großereignissen, wie Demonstrationen und Fußballspielen, und der - nach Auffassung des Angeklagten - zu beklagenden zunehmenden Polizeigewalt bei solchen Ereignissen, jedenfalls als möglich erscheinen. Dies gilt umso mehr als es im Zeitpunkt der Äußerung im Stadion des Karlsruher Sportclub am Nachmittag des 16.10.2010 zu keinerlei Konfrontation zwischen den Fans des KSC und den im Stadion eingesetzten Polizeibeamten gekommen war.

Quelle: ra-online, Landgericht Karlsruhe, RA Benedikt Klas (vt/pt)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil12878

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI