18.10.2024
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Dokument-Nr. 12882

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Beschluss10.10.1995Bundesverfassungsgericht1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerfGE 93, 266Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 93, Seite: 266
  • DVBl 1996, 27Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 1996, Seite: 27
  • MDR 1996, 82Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1996, Seite: 82
  • NJW 1995, 3303Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1995, Seite: 3303
  • NVwZ 1996, 159Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 1996, Seite: 159
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss10.10.1995

Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu Äußerungen wie "Soldaten sind Mörder" oder "Soldaten sind potentielle Mörder"Konflikt zwischen Meinungs­freiheit und Ehrenschutz

In vier Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahren, in denen es um Äußerungen wie "Soldaten sind Mörder" oder "Soldaten sind potentielle Mörder" ging, hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Verurteilungen der Beschwer­de­führer aufgehoben. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat zum Verhältnis von Meinungs­freiheit und Ehrenschutz bei Kollek­ti­v­ur­teilen über Soldaten entschieden, dass die Äußerung "Soldaten sind Mörder" nicht automatisch strafwürdig ist, sondern unter das Recht der Meinungs­freiheit fällt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht betonte jedoch, dass aber auch die Möglichkeit einer erneuten Verurteilung der Antragsteller in Betracht komme, wenn sich die Äußerung auf einzelne Soldaten, sprich auf Personen beziehe.

Mit diesem Urteil sind die Beschwer­de­führer damit aber weder freigesprochen noch hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Gleichstellung von Soldaten mit Mördern für zulässig erklärt. Die Verurteilungen sind vielmehr aufgehoben worden, weil die Strafgerichte sie zum Teil auf Überlegungen gestützt hatten, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht vereinbar sind. Die Sachen sind an die zuständigen Strafgerichte zurückverwiesen worden. Diese müssen unter Beachtung der Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erneut entscheiden. Ein bestimmtes Ergebnis ist ihnen dabei nicht vorgeschrieben. Die Entscheidung ist im Fall des Beschwer­de­führers zu 2) im Ergebnis einstimmig, in den übrigen Fällen mit 5 zu 3 Stimmen ergangen.

Keine hinreichende Vergewisserung durch Strafgerichte über Sinn der Äußerungen

Der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts liegen vor allem drei Erwägungen zugrunde:

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat mit den Strafgerichten in der wertenden Gleichstellung eines Soldaten mit einem Mörder eine tiefe Kränkung gesehen. Die Gerichte haben sich aber nicht hinreichend vergewissert, dass die umstrittenen Äußerungen diesen Sinn auch wirklich hatten. In allen vier Fällen ergaben sich aus dem Kontext oder den Beglei­t­um­ständen der Äußerungen Anhaltspunkte, die eine andere Deutung zumindest als möglich erscheinen ließen, nach der es sich um die Herabwürdigung von Soldaten als Personen, sondern um die Verurteilung von Soldatentum und Kriegshandwerk ging, weil diese im Ernstfall mit dem Töten anderer Menschen verbunden sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts dürfen die Gerichte eine zur Bestrafung führende Deutung nur zugrunde legen, wenn sie zuvor die anderen Deutungs­mög­lich­keiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen haben. Daran fehlte es, und dies müssen die Strafgerichte nachholen.

Beschränkung der Meinungs­freiheit nur bei herabsetzenden Äußerungen gegen eine Person

Art. 5 Abs. 2 GG erlaubt Beschränkungen der Meinungs­freiheit zum Schutz der persönlichen Ehre. Die herabsetzenden Äußerungen müssen also einzelne Personen betreffen. Daran konnten hier Zweifel bestehen, weil es in sämtlichen Äußerungen ihrem Text nach um Soldaten schlechthin, nicht um einzelne Soldaten oder um Soldaten eines bestimmten Staates ging.

Persönliche Kränkung bei sehr großen, unüber­schaubaren Kollektiven nicht mehr gegeben

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist dem Bundes­ge­richtshof, auf den sich die angegriffenen Entscheidungen berufen haben, allerdings darin gefolgt, dass auch in Äußerungen über ein Kollektiv unter Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre seiner Mitglieder liegen kann. Es hat zugleich hervorgehoben, dass der Bundes­ge­richtshof im Interesse einer rechts­s­taat­lichen Eingrenzung der Strafnormen eine persönliche Kränkung dann nicht mehr für gegeben hält, wenn es sich um sehr große, im einzelnen unüberschaubare Kollektive (alle Katholiken, alle Frauen, alle Gewerkschaftler) handelt, weil sich die Kränkung hier sozusagen in der unübersehbaren Menge verliert und auf den einzelnen Gruppen­an­ge­hörigen nicht mehr durchschlägt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat ferner die Auffassung der Strafgerichte gebilligt, dass die (aktiven) Soldaten der Bundeswehr eine hinreichend überschaubare Gruppe bilden. Der Äußerung muss dann allerdings zu entnehmen sein, dass sie sich gerade auf die Soldaten der Bundeswehr und nicht etwa auf alle Soldaten der Welt bezieht. Andernfalls würde die Eingrenzung des Straf­tat­be­standes, die der Bundes­ge­richtshof aus rechts­s­taat­lichen Gründen für nötig hielt, wieder rückgängig gemacht.

Bei Konflikt zwischen Meinungs­freiheit und Ehrenschutz müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden

Kommt es zu einem Konflikt zwischen Meinungs­freiheit und Ehrenschutz, so muss nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts eine Abwägung zwischen der Schwere der Beein­träch­tigung vorgenommen werden, die jedem der beiden Rechtsgüter droht. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine solche Abwägung erübrigt sich allerdings, wenn es sich bei der Äußerung um Schmähkritik handelt. In diesen Fällen geht der Ehrenschutz nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts regelmäßig der Meinungs­freiheit vor. Schmähkritik, die eine Abwägung überflüssig macht, liegt nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts aber nicht schon vor, wenn eine Äußerung überzogen oder ausfällig ist. Zur Schmähkritik wird sie vielmehr erst dann, wenn in ihr nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht. Bei den umstrittenen Äußerungen standen dagegen die Ausein­an­der­setzung mit Soldatentum und Kriegshandwerk und das Bekenntnis zum Pazifismus im Vordergrund. Die Strafgerichte durften also auf eine konkrete Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der Meinungs­freiheit und der Ehre nicht verzichten und müssen diese nachholen.

Richterin Haas: Dienenden Soldaten müsse Schutz vor Schmähkritik gewährt werden

Die Richterin Haas hat der Entscheidung in den Fällen 1), 3) und 4) eine abweichende Meinung beigefügt, in der dargelegt wird, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Deutung der Äußerungen durch die Strafgerichte nicht nachzuprüfen habe und dass die Äußerungen im übrigen den von den Strafgerichten angenommenen Sinn hätten und auch zutreffend als Schmähkritik eingestuft worden seien. Eine Rechtsordnung, die junge Männer zum Waffendienst verpflichtet und von ihnen Gehorsam verlangt, müsse denjenigen, die diesen Pflichten genügen, Schutz gewähren, wenn sie wegen dieses Solda­ten­dienstes geschmäht oder öffentlich als Mörder bezeichnet werden.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht (pm/pt)

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