21.11.2024
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Kammergericht Berlin Urteil31.05.2017

Facebook muss Eltern keinen Zugriff auf Nutzerkonto der verstorbenen Tochter gewährenSchutz des Fern­melde­geheimnisses steht Anspruch der Erben auf Einsicht in Facebook-Account entgegen

Das Kammergericht hat in zweiter Instanz zu Gunsten von Facebook entschieden und die Klage einer Mutter, die den Zugang zu dem Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes zusammen mit dem Kindesvater aus Erbrecht durchsetzen wollte, abgewiesen. Der Schutz des Fern­melde­geheimnisses stehe dem Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten.

Das Kammergericht ließ offen, ob die Klägerin und der Kindesvater als Erben in den Vertrag eingerückt seien, den die verstorbene Tochter mit Facebook geschlossen hatte. Es sei zwar grundsätzlich möglich, dass die Erben in die Rechte und Pflichten dieses Vertrages eingetreten seien, und zwar nicht im Sinne der aktiven Fortführung dieses Vertrages, sondern um passive Leserechte zu erhalten. In den von Facebook gestellten Nutzungs­be­din­gungen sei nicht geregelt, ob Rechte aus dem Vertrag im Falle des Todes des Nutzers auf seine Erben übergehen könnten. Auch der Grundgedanke des Vertrages spreche nicht generell dagegen, dass er nicht vererblich sei. Facebook wolle den Nutzern nur eine Kommu­ni­ka­ti­o­ns­plattform zur Verfügung stellen und Inhalte vermitteln. Durch eine Änderung in der Person des Vertrags­partners würden die Leistungen in ihrem Charakter nicht verändert.

Vererbbarkeit höchst­per­sön­licher Rechts­po­si­tionen nicht in BGB geregelt

Andererseits regele das Bürgerliche Gesetzbuch nicht, ob höchst­per­sönliche Rechts­po­si­tionen (ohne vermö­gens­rechtliche Auswirkungen) vererbbar seien, sondern setze für eine Vererbung voraus, dass sie in irgendeiner Form im Eigentum des Verstorbenen verkörpert seien und nicht nur virtuell existierten. Um zu klären, ob es sich bei – nicht verkörperten – E-Mails um solche handele, die aufgrund ihres höchst­per­sön­lichen Inhalts nicht vererbbar seien, oder um solche, die aufgrund ihres wirtschaft­lichen Bezuges vererbbar seien, würde man in der Praxis auf erhebliche Probleme und Abgren­zungs­schwie­rig­keiten stoßen.

Fernmel­de­ge­heimnis erstreckt sich auch auf E-Mails

Das Gericht müsse jedoch die Frage der Vererbbarkeit des Facebook-Accounts nicht entscheiden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass dieser Account in das Erbe falle und die Erben­ge­mein­schaft Zugang zu den Account-Inhalten erhalten müsse, stehe das Fernmeldegeheimnis nach dem Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz entgegen. Dieses Gesetz sei zwar ursprünglich für Telefonanrufe geschaffen worden. Das Fernmel­de­ge­heimnis werde jedoch in Art. 10 Grundgesetz geschützt und sei damit eine objektive Wertent­scheidung der Verfassung. Daraus ergebe sich eine Schutzpflicht des Staates und auch die privaten Diensteanbieter müssten das Fernmel­de­ge­heimnis achten. Nach einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 16. Juni 2009 erstrecke sich das Fernmel­de­ge­heimnis auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Denn der Nutzer sei schutzbedürftig, da er nicht die technische Möglichkeit habe, zu verhindern, dass die E-Mails durch den Provider weitergegeben würden. Dies gelte entsprechend für sonstige bei Facebook gespeicherten Kommu­ni­ka­ti­o­ns­inhalte, die nur für Absender und Empfänger oder jedenfalls einen beschränkten Nutzerkreis bestimmt sind.

Erben muss kein nachträglicher Zugang zum Inhalt der Kommunikation verschafft werden

Die nach dem Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz vorgesehenen Ausnahmen würden entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht greifen. Zwar sehe das Gesetz vor, dass einem Dritten Kenntnisse vom Inhalt der Kommunikation verschafft werden dürfe, wenn dies erforderlich sei. Als erforderlich könne jedoch nur angesehen werden, was dazu diene, den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Da Facebook jedoch seine Dienste nur beschränkt auf die Person des Nutzers angeboten habe, sei es auch aus der Sicht der ebenfalls schutz­be­dürftigen weiteren Beteiligten am Kommu­ni­ka­ti­o­ns­vorgang (Chat) in technischer Hinsicht nicht erforderlich, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.

Gründe zur Einschränkung des Fernmel­de­ge­heim­nisses nicht ersichtlich

Ebenso wenig existiere eine andere gesetzliche Vorschrift, die erlaube, von dem Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses eine Ausnahme zu machen (sogenanntes "kleines Zitiergebot"). Insbesondere das Erbrecht nach dem BGB lasse nicht erkennen, dass der Gesetzgeber den Willen gehabt habe, das Fernmel­de­ge­heimnis einzuschränken. Auch aus sonstigen Gründen sei es nicht geboten, ohne gesetzliche Regelung Ausnahmen zuzulassen und von dem so genannten "kleinen Zitiergebot" abzuweichen.

Zustimmung von anderen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partnern zur Einsicht in Account und Kommunikation mit Dritten liegt nicht vor

Schließlich komme nicht in Betracht, von einem Verzicht auf den Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses auszugehen, indem die klagende Mutter sich darauf berufen hatte, die Zugangsdaten von der Tochter überlassen bekommen zu haben. Dieser Umstand war zwischen den Parteien streitig. Eine Beweisaufnahme sei jedoch nicht erforderlich gewesen, da nicht nur die Verstorbene als Nutzerin des Accounts und Vertrags­partnerin von Facebook, sondern zumindest auch alle diejenigen, die in einem Zwei-Personen-Verhältnis mit der Verstorbenen kommuniziert haben, auf den Schutz des Fernmel­de­ge­heim­nisses verzichtet haben müssten. Aus der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Urteil v. 27.02.2008 - 1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07 -) folge für den vorliegenden Fall im Endergebnis nichts Abweichendes. Die somit erforderliche Zustimmung dieser anderen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partner liege jedoch nicht vor.

Auch Toten­für­sor­gerecht kann Anspruch der Eltern auf Zugang zum Social-Media-Account des verstorbenen Kindes nicht herzuleiten

Das Kammergericht hat ferner geprüft, ob zu Gunsten der Klägerin außerhalb des Erbrechts ein Anspruch auf Zugang zu dem Account bestehe. Dies sei zu verneinen. Insbesondere das Recht der elterlichen Sorge verhelfe nicht zu einem solchen Anspruch. Dieses Recht erlösche mit dem Tode des Kindes. Das den Eltern noch zufallende Toten­für­sor­gerecht könne nicht dazu dienen, einen Anspruch auf Zugang zu dem Social-Media-Account des verstorbenen Kindes herzuleiten. Auch das eigene Persön­lich­keitsrecht der Mutter sei nicht geeignet, einen Anspruch auf diesen Zugang zu begründen. Als ein Teilbereich des Persön­lich­keits­rechts sei z.B. anerkannt, seine eigene Abstammung zu kennen. Trotz des verständlichen Wunsches der Eltern, die Gründe für den tragischen Tod ihres Kindes näher zu erforschen, lasse sich hieraus kein Recht auf Zugang zu dem Account ableiten. Auch wenn eine verbleibende Unkenntnis darüber die Persön­lich­keits­ent­faltung der Eltern massiv beeinträchtigen könne, gebe es auch vielfältige andere Ereignisse, die die gleiche Wirkung zeigen könnten. Dadurch würde das allgemeine Persön­lich­keitsrecht zu einem konturenlosen und nicht mehr handhabbaren Grundrecht führen.

Quelle: Kammergericht/ra-online

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