18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil12.07.2018

BGH: Facebook muss Erben Zugriff auf das Nutzerkonto von Verstorbenen gewährenVertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar

Der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk (hier: Facebook) geht grundsätzlich im Wege der Gesamtrechts­nachfolge auf die Erben des ursprünglichen Konto­be­rech­tigten über und diese haben einen Anspruch gegen den Netzwerk­be­treiber auf Zugang zu dem Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikations­inhalte. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

Die Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren verstorbenen L. W. und neben dem Vater Mitglied der Erben­ge­mein­schaft nach ihrer Tochter. Die Beklagte (hier: Facebook) betreibt ein soziales Netzwerk, über dessen Infrastruktur die Nutzer miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte austauschen können.

2011 registrierte sich die Tochter der Klägerin im Alter von 14 Jahren im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk der Beklagten und unterhielt dort ein Benutzerkonto. 2012 verstarb das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen infolge eines U-Bahnunglücks. Die Klägerin versuchte hiernach, sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Dies war ihr jedoch nicht möglich, weil die Beklagte es inzwischen in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte, womit ein Zugang auch mit den Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos bleiben jedoch weiter bestehen.

Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage von der Beklagten, den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­in­halten. Sie macht geltend, die Erben­ge­mein­schaft benötige den Zugang zu dem Benutzerkonto, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe, und um Schaden­s­er­satz­ansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.

Die Vorinstanzen entschieden unterschiedlich

Das Landgericht Berlin hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht das erstin­sta­nzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungs­gericht zugelassene Revision der Klägerin.

BGH gibt Eltern recht

Der Bundes­ge­richtshof hat das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und das erstin­sta­nzliche Urteil wieder­her­ge­stellt.

Eltern sind als Erben in Facebook-Nutzerkonto-Vertrag der Tochter eingetreten

Die Erben haben gegen die Beklagte einen Anspruch, ihnen den Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommu­ni­ka­ti­o­ns­in­halten zu gewähren. Dies ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Klägerin und der Beklagten, der im Wege der Gesamt­rechts­nachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen ist. Dessen Vererblichkeit ist nicht durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Die Nutzungs­be­din­gungen enthalten hierzu keine Regelung. Die Klauseln zum Gedenkzustand sind bereits nicht wirksam in den Vertrag einbezogen. Sie hielten überdies einer Inhalts­kon­trolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und wären daher unwirksam.

BGH: Facebook-Nutzervertrag ist vererbbar

Auch aus dem Wesen des Vertrags ergibt sich eine Unver­erb­lichkeit des Vertrags­ver­hält­nisses nicht; insbesondere ist dieser nicht höchst­per­sön­licher Natur. Der höchst­per­sönliche Charakter folgt nicht aus im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persön­lich­keits­rechte der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partner der Erblasserin. Zwar mag der Abschluss eines Nutzungs­vertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten ist jedoch von vornherein kontobezogen. Sie hat nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht kann dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass die Beklagte sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es besteht aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangs­ge­währung seitens des Konto­be­rech­tigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertrags­ver­hält­nisses.

Auch höchst­per­sönliche Dinge werden vererbt - Digitale Inhalte sind nicht anders zu behandeln als Briefe oder Tagebücher

Eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten und höchst­per­sön­lichen Inhalten scheidet aus. Nach der gesetz­ge­be­rischen Wertung gehen auch Rechts­po­si­tionen mit höchst­per­sön­lichen Inhalten auf die Erben über. So werden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt, wie aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB zu schließen ist. Es besteht aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.

Einen Ausschluss der Vererblichkeit auf Grund des postmortalen Persön­lich­keits­rechts der Erblasserin hat der III. Zivilsenat ebenfalls verneint.

Fernmel­de­ge­heimnis steht Übergang des Nutzerkontos auf Erben nicht entgegen

Auch das Fernmel­de­ge­heimnis steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Der Erbe ist, da er vollständig in die Position des Erblassers einrückt, jedenfalls nicht "anderer" im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG.

Auch das Daten­schutzrecht steht dem Andpruch der Erben nicht entgegen

Schließlich kollidiert der Anspruch der Klägerin auch nicht mit dem Daten­schutzrecht. Der Senat hat hierzu die seit 25. Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) anzuwenden. Diese steht dem Zugang der Erben nicht entgegen. Daten­schutz­rechtliche Belange der Erblasserin sind nicht betroffen, da die Verordnung nur lebende Personen schützt. Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der perso­nen­be­zogenen Daten der Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partner der Erblasserin ist sowohl nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO als auch nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zulässig. Sie ist sowohl zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kommu­ni­ka­ti­o­ns­partnern der Erblasserin erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO) als auch auf Grund berechtigter überwiegender Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO).

Quelle: ra-online, BGH (pm/pt)

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