18.10.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil28.02.2019

Diabetiker hat Anspruch auf langfristige häusliche Krankenpflege zur Blutzu­cke­r­messungVerordnung der Blutzu­cke­r­messung als häusliche Krankenpflege auch bei konventioneller Insulintherapie und über längere Zeiträume in Ausnahmefällen möglich

Versicherte haben neben der ärztlichen Behandlung auch Anspruch auf häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Kranken­haus­behandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Diese Krankenpflege, die auch die Blutzu­cke­r­messung umfasst, ist grundsätzlich auf die Erst- oder Neueinstellung des Diabetes oder eine sogenannte Intensivierte Insulintherapie beschränkt. Ausnahmsweise kann sie jedoch auch bei einer konventionellen Insulintherapie verordnet werden, wenn der Versicherte aus gesund­heit­lichen Gründen nicht in der Lage ist, die Blutzu­cke­r­mes­sungen und die erforderliche Insulingabe selbst korrekt vorzunehmen. Dies entschied das Hessische Landes­so­zi­al­gericht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein 1936 geborener Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis litt unter anderem an Diabetes mellitus vom Typ 2. Die Insulin-Einstellung erfolgte bereits im Dezember 2009. Da der Versicherte Auffassungs- und Umstel­lungs­schwie­rig­keiten hatte, verordnete sein Arzt die häusliche Krankenpflege in Form von Blutzu­cke­r­mes­sungen und Insulin-Injektionen zweimal täglich sowie Herrichten der Medika­men­tengabe einmal wöchentlich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr. Die Krankenkasse genehmigte die Insulin-Injektionen und das Richten der Medikamente. Die Kostenübernahme für die Blutzu­cke­r­mes­sungen in Höhe von rund 3.400 Euro lehnte sie hingegen ab. Bei dem Versicherten läge weder eine Erst- oder Neueinstellung des Diabetes noch eine sogenannte Intensivierte Insulintherapie vor. Vielmehr handele es sich um routinemäßige Dauermessungen.

Langfristige Verordnung einer konventionellen Insulintherapie bei schwankenden Blutzu­cke­r­werten möglich

Das Sozialgericht und das Hessische Landes­so­zi­al­gericht gaben dem Versicherten Recht. Nach der Richtlinie für Häusliche Krankenpflege seien in begründeten Ausnahmefällen auch nicht im Leistungs­ver­zeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege verordnungs- und geneh­mi­gungsfähig. Voraussetzung sei, dass sie als Bestandteil des ärztlichen Behand­lungs­planes im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich seien und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Entgegen der Auffassung der Krankenkasse könnten daher Blutzu­cke­r­mes­sungen auch dann verord­nungsfähig sein, wenn es sich weder um eine Erst- oder Neueinstellung des Diabetes noch um eine sogenannte Intensivierte Insulintherapie handele. Ein solcher Ausnahmefall liege bei dem Versicherten vor. Die Blutzuckerwerte hätten erheblich geschwankt, so dass es sich nicht um eine routinemäßige Dauermessung des Blutzu­cke­r­wertes gehandelt habe. Dem Versicherten sei deshalb nicht nach einem starren Schema, sondern nach dem jeweils aktuell ermittelten Blutzuckerwert das in der Dosis angepasste Kombi­na­ti­o­ns­insulin gespritzt worden. Den in seiner geistigen Leistungs­fä­higkeit eingeschränkten Versicherten und seine an Demenz leidende Ehefrau habe die täglich schwankende Insulingabe überfordert. Ohne die Kontrolle des Pflegedienstes hätte ein zu hohes Risiko für Blutzucker-Fehlmessungen und Insulin-Fehldosierungen bestanden.

Hinweise zur Rechtslage

Erläuterungen

§ 37 Sozial­ge­setzbuch Fünftes Buch (SGB V)

(1) Versicherte erhalten in ihrem Haushalt [...] neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Kranken­h­aus­be­handlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. [...] Die häusliche Krankenpflege umfasst die im Einzelfall erforderliche Grund- und Behand­lungs­pflege sowie hauswirt­schaftliche Versorgung. Der Anspruch besteht bis zu vier Wochen je Krankheitsfall. In begründeten Ausnahmefällen kann die Krankenkasse die häusliche Krankenpflege für einen längeren Zeitraum bewilligen, wenn der Medizinische Dienst (§ 275) festgestellt hat, dass dies aus den in Satz 1 genannten Gründen erforderlich ist.

§ 1 Häusliche Krankenpflege.Richtlinie (Krankenpflege.RL)

(3) Die in der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung verord­nungs­fähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind grundsätzlich dem dieser Richtlinie als Anlage beigefügten Leistungs­ver­zeichnis zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen sind grundsätzlich nicht als häusliche Krankenpflege verordnungs- und geneh­mi­gungsfähig. Nicht im Leistungs­ver­zeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V sind in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und geneh­mi­gungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behand­lungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. [...]

§ 5 Krankenpflege.RL

(3) Ein Anspruch [...] auf Kranken­haus­ver­mei­dungs­pflege sowie Unter­stüt­zungs­pflege besteht bis zu vier Wochen. In begründeten Fällen kann [...] über diesen Zeitraum verordnet werden. [...]

Verzeichnis verord­nungs­fähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege (Leistungs­ver­zeichnis)

Nr. 11: Blutzu­cke­r­messung

Ermittlung und Bewertung des Blutzu­cke­r­ge­haltes kapillaren Blutes mittels Testgerät [...] - bei Erst- und Neueinstellung eines Diabetes [...] - bei Fortsetzung der sog. Intensivierten Insulintherapie. Routinemäßige Dauermessungen sind nur zur Fortsetzung der sog. Intensivierten Insulintherapie verord­nungsfähig. [...] Nur verord­nungsfähig bei Patientinnen und Patienten mit [...] einer starken Einschränkung der geistigen Leistungs­fä­higkeit oder Reali­täts­verlust, sodass die Compliance bei der Diagnostik nicht sichergestellt ist [...].

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online (pm)

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