15.11.2024
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Finanzgericht Münster Urteil18.01.2012

Legasthenie: Notwendige auswärtige Unterbringung muss mittels amtsärztlichen Attests nachgewiesen werdenStrengere Regeln für Nachweis von Krankenkosten

Aufgrund der durch das Steuer­ver­ein­fa­chungs­gesetz 2011 geschaffenen Neuregelungen der §§ 33 Abs. 4 EStG, 64 EStDV gelten erneut erhöhte Anforderungen an den Nachweis von Krank­heits­kosten. Dies geht aus einer Entscheidung des Finanzgerichts Münster hervor.

Im zugrunde liegenden Streitfall ging es um Kosten für die Behandlung einer Lese- und Recht­schreib­schwäche (Legasthenie). Die Kläger profitierten aufgrund der geschaffenen Neuregelungen der §§ 33 Abs. 4 EStG, 64 EStDV nicht von der geänderten Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofes aus dem Jahr 2010. Mit seinem Urteil vom 11. November 2011 hatte der Bundesfinanzhof seine langjährige Rechtsprechung zum Nachweis von Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation daher nur schwer zu beurteilen ist, aufgegeben. Er hatte klargestellt, dass ein formalisierter Nachweis der medizinischen Notwendigkeit durch ein vorheriges amtsärztliches Attest nicht erforderlich sei. Dieser Recht­spre­chung­s­än­derung ist der Gesetzgeber im Steuer­ver­ein­fa­chungs­gesetz 2011 entgegen getreten. Nunmehr verlangt der Gesetzgeber formalisierte Nachweise, und zwar in allen noch offenen Fällen.

Eltern machen Kosten für Internat und für Heimfahrten des Sohnes als außer­ge­wöhnliche Belastungen geltend

Im Streitfall hatten die Kläger ihren Sohn in einem Internat unterbracht, das in besonderer Weise auf die Betreuung von an Legasthenie leidenden Kindern eingerichtet ist. Die Unterbringung war auf Empfehlung eines Facharztes sowie des Schul­psy­cho­lo­gischen Dienstes erfolgt. Ein amtsärztliches Attest hatten die Kläger jedoch nicht eingeholt. Die Stadt gewährte den Klägern eine finanzielle Unterstützung für die Unterbringung ihres Sohnes, die die Gesamtkosten allerdings nicht vollständig abdeckte. Die Kläger machten die von ihnen im Streitjahr 2007 zu tragenden Kosten für das Internat sowie für Heimfahrten des Sohnes in ihrer Steuererklärung als außer­ge­wöhnliche Belastungen (§ 33 EStG) geltend.

Finanzamt verneint außer­ge­wöhnliche Belastungen mangels Vorlage eines amtsärztlichen Attests

Das Finanzamt lehnte die Berück­sich­tigung ab, da nicht durch ein vor der Unterbringung ausgestelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen sei, dass die Aufwendungen krank­heits­bedingt angefallen seien. Hiergegen wandten sich die Kläger, die sich auch auf die während des laufenden finanz­ge­richt­lichen Verfahrens geänderte Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofes beriefen.

Zwingende auswärtige Unterbringung bei Legasthenie ist ausdrücklich mittels amtsärztlichen Attests nachzuweisen

Das Finanzgericht Münster wies die Klage ab. Zwar habe der Bundesfinanzhof jüngst seine Rechtsprechung geändert und fordere nunmehr zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit der Unterbringung kein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest mehr. Im Streitfall gelte allerdings der durch das Steuer­ver­ein­fa­chungs­gesetz 2011 eingefügte § 33 Abs. 4 EStG und die hierzu ergangene Verwal­tungs­re­gelung (§ 64 EStDV). Darin sei nunmehr unter anderem ausdrücklich festgelegt, dass im Fall einer medizinisch angezeigten auswärtigen Unterbringung eines an Legasthenie leidenden Kindes der Nachweis der Zwangs­läu­figkeit der Aufwendungen durch ein amtsärztliches Attest oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Kranken­ver­si­cherung zu erfolgen habe. Derlei Nachweise lägen jedoch nicht vor, so dass die Klage keinen Erfolg haben könne.

Gesetzliche Neuregelung muss beachtet werden

Die gesetzliche Neuregelung sei auch im Streitfall zu beachten, denn sie gelte in allen Fällen, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt sei (Art. 2 Nr. 9 des Steuer­ver­ein­fa­chungs­ge­setzes 2011). Ein Verstoß gegen das Rechts­s­taats­prinzip sei nicht zu erkennen. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus der vorgesehenen Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelung, denn diese sei ausnahmsweise zulässig. Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung nämlich lediglich die Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die bis zur Änderung der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung der einhelligen Rechts­an­wen­dung­s­praxis entsprochen habe. Dies sei zulässig und verletze auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger. Der Bundesfinanzhof habe erst Ende 2010 seine langjährige Rechtsprechung aufgegeben und auf den formalisierten Nachweis durch ein vorab erstelltes amtsärztliches Attest verzichtet. In Anbetracht dieser Situation hätten die Kläger im Streitjahr 2007 keinen Anlass gehabt anzunehmen, dass sie die streitigen Aufwendungen anders als durch Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nachweisen könnten.

Quelle: Finanzgericht Münster/ra-online

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