24.11.2024
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Dokument-Nr. 14115

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.09.2012

Wein darf nicht als "bekömmlich" vermarktet werdenEuGH rügt verbotene gesund­heits­be­zogene Angaben

Wein darf nicht als "bekömmlich" vermarktet werden. Eine solche Bezeichnung, die auf einen reduzierten Säuregehalt hinweist, stellt eine bei alkoholischen Getränken verbotene gesund­heits­be­zogene Angabe dar. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Das Unionsrecht* verbietet für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent, also u. a. für Wein, jede "gesund­heits­be­zogene Angabe"** in der Etikettierung und der Werbung. Aufgrund der mit dem Konsum alkoholischer Getränke zusam­men­hän­genden Gefahren wollte der Unions­ge­setzgeber die Gesundheit der Verbraucher schützen, deren Konsum­ge­wohn­heiten durch solche Angaben unmittelbar beeinflusst werden können.

Sachverhalt

Deutsches Weintor ist eine Winzer­ge­nos­sen­schaft mit Sitz in Ilbesheim im Bundesland Rheinland-Pfalz (Deutschland). Sie vermarktet Weine der Rebsorten Dornfelder und Grauer/Weißer Burgunder unter der Bezeichnung "Edition Mild" mit dem Zusatz "sanfte Säure". Auf dem Etikett heißt es u. a.: "Zum milden Genuss wird er durch Anwendung unseres besonderen LO3 Schonverfahrens zur biologischen Säure­re­du­zierung." Die Halsschleife der Weinflaschen trägt den Aufdruck "Edition Mild bekömmlich". Im Preis­ver­zeichnis wird der Wein als "Edition Mild – sanfte Säure/bekömmlich" bezeichnet.

Deutsche Gerichte erklären Bezeichnung "bekömmlich" für verbotene "gesund­heits­be­zogene Angabe"

Die im Bundesland Rheinland-Pfalz für die Überwachung des Vertriebs alkoholischer Getränke zuständige Behörde beanstandete die Verwendung der Bezeichnung "bekömmlich" mit der Begründung, dass es sich um eine nach dem Unionsrecht verbotene "gesund­heits­be­zogene Angabe" handle. Deutsches Weintor erhob daher vor den deutschen Gerichten Klage auf Feststellung, dass sie befugt sei, diese Bezeichnung zur Etikettierung der betreffenden Weine und in der Werbung für diese zu verwenden. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass die Bezeichnung "bekömmlich" keinen Gesund­heitsbezug aufweise, sondern nur das allgemeine Wohlbefinden betreffe. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht, das letzt­in­sta­nzlich mit dem Rechtsstreit befasst ist, hat den Gerichtshof ersucht, die Tragweite des fraglichen Verbots zu präzisieren und sich gegebenenfalls zu dessen Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Erzeuger und Vermarkter von Wein wie der Berufsfreiheit und der unter­neh­me­rischen Freiheit, zu äußern.

Werben mit Bezeichnung "bekömmlich" unzulässig

Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Verbot, für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent mit gesund­heits­be­zogenen Angaben zu werben, die Bezeichnung "bekömmlich", verbunden mit dem Hinweis auf einen reduzierten Gehalt an Stoffen, die von einer Vielzahl von Verbrauchern als nachteilig angesehen werden, umfasst.

"Gesund­heits­be­zogene Angabe" kann Erhaltung eines guten Gesund­heits­zu­stands trotz des potenziell schädlichen Verzehrs suggerieren

Der Begriff "gesund­heits­be­zogene Angabe" setzt nämlich nicht zwingend voraus, dass damit eine Verbesserung des Gesund­heits­zu­stands dank des Verzehrs eines Lebensmittels suggeriert wird. Es genügt, dass die bloße Erhaltung eines guten Gesund­heits­zu­stands trotz des potenziell schädlichen Verzehrs suggeriert wird. Außerdem sind nicht nur die vorübergehenden oder flüchtigen Auswirkungen eines punktuellen Verzehrs zu berücksichtigen, sondern auch die kumulativen Auswirkungen des wiederholten und längerfristigen Verzehrs des Lebensmittels auf den körperlichen Zustand.

Angabe "bekömmlich" kann nachhaltige positive physiologische Wirkung suggerieren

Im vorliegenden Fall impliziert die streitige, eine leichte Aufnahme und Verdaulichkeit des Weins suggerierende Bezeichnung, dass das Verdau­ungs­system darunter nicht oder wenig leidet und dass der Zustand dieses Systems selbst bei wiederholtem Verzehr verhältnismäßig gesund und intakt bleibt, weil dieser Wein sich durch einen reduzierten Säuregehalt auszeichnet. Damit ist diese Angabe geeignet, eine nachhaltige positive physiologische Wirkung zu suggerieren, die in der Erhaltung des Verdau­ungs­systems in gutem Zustand besteht, während für andere Weine unterstellt wird, dass sie bei häufigerem Verzehr nachhaltige negative Auswirkungen auf das Verdau­ungs­system und folglich auf die Gesundheit haben. Somit stellt diese Bezeichnung eine verbotene gesund­heits­be­zogene Angabe dar.

Verbot stellt angemessenes Gleichgewicht zwischen Schutz der Gesundheit der Verbraucher und Berufsfreiheit der Erzeuger her

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass der Umstand, dass es einem Erzeuger oder Vermarkter von Wein auch dann ausnahmslos verboten ist, eine Angabe wie die hier in Rede stehende zu verwenden, wenn diese Angabe für sich genommen zutrifft, mit den von der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechten und mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit vereinbar ist. Denn dieses Verbot stellt ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher einerseits sowie der Berufsfreiheit und der unter­neh­me­rischen Freiheit der Erzeuger und Vermarkter andererseits her.

Angaben bei alkoholischen Getränken müssen frei von jeder Mehrdeutigkeit sein

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof insbesondere darauf hin, dass alle Angaben, die alkoholische Getränke betreffen, frei von jeder Mehrdeutigkeit sein müssen, damit die Verbraucher in der Lage sind, ihren Konsum unter Berück­sich­tigung aller sich daraus ergebenden Gefahren zu regulieren und auf diese Weise ihre Gesundheit wirksam zu schützen.

Selbst wenn die streitige Angabe zuträfe, wäre sie gleichwohl unvollständig. Sie stellt nämlich

eine bestimmte, zur Erleichterung der Verdauung geeignete Eigenschaft heraus; verschwiegen wird aber, dass ungeachtet der guten Verdaulichkeit die mit dem Konsum alkoholischer Getränke zusam­men­hän­genden Gefahren keineswegs beseitigt oder auch nur begrenzt werden. Vielmehr ist die streitige Angabe dadurch, dass sie allein die leichte Verdaulichkeit des in Rede stehenden Weins herausstellt, geeignet, dessen Konsum zu fördern und diese Gefahren letztlich zu erhöhen. Daher ist das absolute Verbot der Verwendung derartiger Angaben in der Etikettierung und der Werbung von bzw. für alkoholische Getränke notwendig, um die Gesundheit der Verbraucher zu schützen.

Erläuterungen

* Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesund­heits­be­zogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404, S. 9) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl. L 37, S. 16) geänderten Fassung.

** Unter „Angabe“ ist jede nicht obligatorische Aussage oder Darstellung zu verstehen, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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