18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen den Auspuff eines Autos.

Dokument-Nr. 27292

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil11.04.2019

Erstmaliger Verstoß eines gelegentlichen Canna­bis­kon­su­menten gegen Gebot des Trennens von Konsum und Fahren führt nicht unmittelbar zu Fahr­erlaubnis­entziehungFahr­erlaubnis­behörden sind aber zur Klärung der Fahreignung zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens berechtigt

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass die Fahr­erlaubnis­behörde bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen darf. In solchen Fällen haben die Fahr­erlaubnis­behörden gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der durch diese Fahrt begründeten Zweifel an der Fahreignung zu entscheiden.

In den beim Bundes­ver­wal­tungs­gericht anhängigen Verfahren war bei Verkehr­s­kon­trollen jeweils festgestellt worden, dass die Kläger, die gelegentliche Canna­bis­kon­su­menten waren, trotz vorangegangenen Konsums ein Kraftfahrzeug geführt hatten. Aufgrund der ermittelten Konzentration von Tetrahy­dro­can­nabinol (THC), dem psychoaktiven Canna­bis­wirkstoff, im Blutserum von 1 ng/ml oder mehr gingen die Fahrer­laub­nis­be­hörden davon aus, dass die Fahrsicherheit der Kläger beeinträchtigt sein konnte. Daher fehle ihnen nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wegen fehlender Trennung zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges die Fahreignung. Die Fahrer­laub­nis­be­hörden entzogen den Betroffenen deshalb gestützt auf § 11 Abs. 7 FeV ohne die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens die Fahrerlaubnis.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Die hiergegen erhobenen Klagen waren erfolgreich, soweit der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof in der Berufung entschieden hat. Er war der Auffassung, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Canna­bis­kon­su­menten nach einer erstmaligen, als Ordnungs­wid­rigkeit geahndeten Fahrt mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis nicht unmittelbar von der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen dürfe, sondern zur Klärung der damit begründeten Zweifel an der Fahreignung im Ermessenswege über die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu entscheiden habe. Dagegen erachtete das Nordrhein-Westfälische Oberver­wal­tungs­gericht in dem bei ihm anhängigen Berufungs­ver­fahren die unmittelbare Entziehung der Fahrerlaubnis für zulässig.

Erstmaliger Verstoß gegen gebotene Trennung von Konsum und Fahren rechtfertigt nicht Annahme des Ungeeignetseins zum Führen von Fahrzeugen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht bestätigt seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Bundes­ver­wal­tungs­gericht, Urteil v. 23.10.2014 - BVerwG 3 C 3.13 -), dass ein gelegentlicher Konsument von Cannabis den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht trennt (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), wenn bei der Fahrt die Möglichkeit einer canna­bis­be­dingten Beein­träch­tigung seiner Fahrsicherheit besteht. Von einer solchen Möglichkeit kann nach wie vor ausgegangen werden, wenn beim Betroffenen im Anschluss an die Fahrt eine THC-Konzentration von 1 ng/ml oder mehr festgestellt wird. Allein dieser erstmalige Verstoß gegen die gebotene Trennung von Konsum und Fahren rechtfertigt indes in der Regel nicht die Annahme, dass sich der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. An seiner gegenteiligen Annahme im Urteil vom 23. Oktober 2014 hält das Bundes­ver­wal­tungs­gericht nicht fest. Auch ein einmaliger Verstoß begründet aber Bedenken gegen die Fahreignung, denen die Fahrer­laub­nis­behörde nachgehen muss. Erforderlich ist eine Prognose, ob der Betroffene auch künftig nicht zwischen einem möglicherweise die Fahrsicherheit beein­träch­ti­genden Cannabiskonsum und dem Fahren trennen wird. Um hierfür eine ausreichend abgesicherte Beurtei­lungs­grundlage zu haben, bedarf es in der Regel der Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die Fahrer­laub­nis­behörde hat gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens und die hierbei einzuhaltende Frist zu entscheiden.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG (Entziehung der Fahrerlaubnis)

Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrer­laub­nis­behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen.

§ 46 FeV (Entziehung, Beschränkung, Auflagen)

Abs. 1: Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrer­laub­nis­behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrs­rechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Abs. 3: Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 entsprechende Anwendung.

§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV (Klärung von Eignungs­zweifeln im Hinblick auf Betäu­bungs­mittel und Arzneimittel)

Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens kann angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

§ 11 Abs. 7 FeV (Eignung)

Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrer­laub­nis­behörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens.

Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung

Mangel: Gelegentliche Einnahme von Cannabis.

Eignung oder bedingte Eignung: Ja, wenn Trennung von Konsum und Fahren und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit, kein Kontrollverlust.

Vorinstanzen

Vorinstanzen zu BVerwG 3 C 13.17

Verwal­tungs­gericht München, Urteil v. 20. November 2016 - M 26 K 15.1494 -

Bayerischer Verwal­tungs­ge­richtshof, Urteil v. 25.04.2017 - 11 BV 17.33 -

Vorinstanzen zu BVerwG 3 C 14.17

Verwal­tungs­gericht Gelsenkirchen, Urteil v. 20.01.2016 - 9 K 1253/15 u. a. -

Oberver­wal­tungs­gericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 15.03.2017 - 16 A 432/16, 16 A 550/16 und 16 A 551/16 -

Vorinstanzen zu BVerwG 3 C 7.18

Verwal­tungs­gericht München, Urteil v. 05. April 2017 - M 6 K 17.762 - Bayerischer Verwal­tungs­ge­richtshof, Urteil v. 28. Februar 2018 - 11 BV 17.1036 -

Vorinstanzen zu BVerwG 3 C 2.18

Verwal­tungs­gericht München, Urteil v. 07. August 2017 - M 26 K 16.5301 -

Bayerischer Verwal­tungs­ge­richtshof, Urteil v. 13. Dezember 2017 - 11 BV 17.1879 -

Vorinstanz zu BVerwG 3 C 8.18

Verwal­tungs­gericht München, Urteil v. 11. April 2018 - M 6 K 17.1389 -

Vorinstanzen zu BVerwG 3 C 9.18

Verwal­tungs­gericht München, Urteil v. 09. Januar 2018 - M 26 K 16.4642 -

Bayerischer Verwal­tungs­ge­richtshof, Urteil v. 10. April 2018 - 11 BV 18.259 -

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil27292

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI