18.10.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil06.04.2016

Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken ausnahmsweise zulässigBehandlung eines schwer an Multipler Sklerose Erkrankten liegt ausnahmsweise im öffentlichen Interesse

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verpflichtet, einem an Multipler Sklerose Erkrankten eine Ausnah­me­er­laubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu erteilen, weil das Betäu­bungs­mittel für seine medizinische Versorgung notwendig ist und ihm keine gleich wirksame und erschwingliche Thera­pie­al­ter­native zur Verfügung steht.

Der 52-jährige Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist seit 1985 an Multipler Sklerose erkrankt. Die Symptome seiner Erkrankung behandelt er seit etwa 1987 durch die regelmäßige Einnahme von Cannabis. Vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes und Anbaus von Betäu­bungs­mitteln ist er zuletzt im Januar 2005 freigesprochen worden. Das Strafgericht sah sein Handeln als gerechtfertigt an, weil ihm keine Thera­pie­al­ter­native zur Verfügung stehe. Den seit Mai 2000 gestellten Antrag des Klägers auf Erteilung einer Ausnah­me­ge­neh­migung zum Anbau von Cannabis zur medizinischen Selbst­ver­sorgung lehnte das BfArM mit Bescheid vom 6. Dezember 2007 und Wider­spruchs­be­scheid vom 10. August 2010 ab. Das Verwal­tungs­gericht hob die Bescheide auf und verpflichtete die Beklagte, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechts­auf­fassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Die weitergehende Klage wies es zurück. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten vor dem Oberver­wal­tungs­gericht blieben ohne Erfolg.

Gleich wirksames und für Patienten erschwingliches Medikament steht derzeit nicht zur Verfügung

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat es die Urteile der Vorinstanzen geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die beantragte Erlaubnis zu erteilen. Nach § 3 Abs. 2 des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes (BtMG) kann das BfArM eine Erlaubnis zum Anbau von Cannabis nur ausnahmsweise zu wissen­schaft­lichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen. Die Behandlung des schwer kranken Klägers mit selbst angebautem Cannabis liegt hier ausnahmsweise im öffentlichen Interesse, weil nach den bindenden Feststellungen des Berufungs­ge­richts die Einnahme von Cannabis zu einer erheblichen Linderung seiner Beschwerden führt und ihm gegenwärtig kein gleich wirksames und für ihn erschwingliches Medikament zur Verfügung steht. Der (ebenfalls erlaub­nis­pflichtige) Erwerb von so genanntem Medizinalhanf aus der Apotheke scheidet aus Kostengründen als Thera­pie­al­ter­native aus. Seine Krankenkasse hat eine Kostenübernahme wiederholt abgelehnt. Eine Eigen­fi­nan­zierung ist ihm mit seiner Erwer­b­s­un­fä­hig­keitsrente nicht möglich.

Kläger verfügt über umfassende Erfahrungen zur Wirksamkeit und Dosierung von selbst­an­ge­bautem Cannabis

Der Kläger kann auch nicht darauf verwiesen werden, wegen der Kostenübernahme durch die Krankenkasse erneut den sozial­ge­richt­lichen Klageweg zu beschreiten. Eine solche Klage ist ihm unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar. Der Erlaub­ni­s­er­teilung stehen auch keine Versa­gungs­gründe nach § 5 BtMG entgegen. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungs­ge­richts ist die Sicherheit und Kontrolle des Betäu­bungs­mit­tel­verkehrs hinreichend gewährleistet. Mit den vom Kläger vorgesehenen Siche­rungs­maß­nahmen in seiner Wohnung sind die Betäubungsmittel ausreichend gegen eine unbefugte Entnahme geschützt. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Verwendung durch ihn selbst. Des Weiteren verfügt der Kläger aufgrund der jahrelangen Eigentherapie inzwischen über umfassende Erfahrungen hinsichtlich Wirksamkeit und Dosierung der von ihm angebauten Cannabissorte. Außerdem stehen der Anbau und die Therapie unter ärztlicher Kontrolle. Die Erlaubnis ist auch nicht mit Rücksicht auf das internationale Sucht­stof­f­über­ein­kommen von 1961 zu versagen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Erteilung der Ausnah­me­er­laubnis wegen der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass das der Behörde eröffnete Ermessen "auf Null" reduziert ist. Davon unberührt bleibt die Befugnis des BfArM, die Erlaubnis mit Neben­be­stim­mungen zu versehen.

Quelle: Bundeverwaltungsgericht/ra-online

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