21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.12.2018

Bayerischen Polizei­aufgaben­gesetz: Automatisierte Kraft­fahr­zeug­kennzeichen­kontrollen in Teilen verfas­sungs­widrigBundes­verfassungs­gericht rügt Verstoß gegen Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Das Bundes­verfassungs­gericht hat die automatisierte Kraft­fahr­zeug­kennzeichen­kontrolle nach dem Bayerischen Polizei­aufgaben­gesetz als Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung in Teilen für verfas­sungs­widrig erklärt. In solchen Kontrollen liegen Grund­rechts­eingriffe gegenüber allen Personen, deren Kraft­fahr­zeug­kennzeichen erfasst und abgeglichen werden, unabhängig davon, ob die Kontrolle zu einem Treffer führt (Änderung der Rechtsprechung). Diese Eingriffe sind nur teilweise gerechtfertigt. Das Bundes­verfassungs­gericht erklärte die verfas­sungs­widrigen Vorschriften aber größtenteils übergangsweise für weiter anwendbar, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2019.

In Bayern ist die Polizei dazu ermächtigt, automatisierte Kraft­fahr­zeug­kenn­zei­chen­kon­trollen durchzuführen. Dabei wird das Kennzeichen eines vorbeifahrenden Kraftfahrzeugs verdeckt von einem Kennzei­chen­le­se­system automatisiert erfasst, kurzzeitig gemeinsam mit Angaben zu Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung gespeichert und mit Kennzeichen aus dem Fahndungs­bestand abgeglichen. Für den Abgleich wird eine eigene Abgleichdatei erstellt, die nach der bayerischen Praxis nur Kennzeichen enthält, die für den Zweck der jeweiligen Kennzei­chen­kon­trolle zusam­men­ge­stellt werden. Ergibt der Abgleich des Kennzeichens keinen Treffer, wird der Datensatz mitsamt dem erfassten Kennzeichen unverzüglich und automatisch vom Computer gelöscht (Nichttreffer). Sofern das Kennzei­chen­le­se­system einen Treffer meldet, überprüft ein Polizeibeamter an einem Compu­ter­bild­schirm visuell, ob das aufgenommene Bild des Kennzeichens mit dem Kennzeichen aus dem Fahndungs­bestand übereinstimmt. Ist dies beispielsweise wegen einer fehlerhaften Ablesung des Kennzeichens nicht der Fall (unechter Treffer), wird der gesamte Vorgang durch den Polizeibeamten manuell gelöscht. Bei einer Übereinstimmung (echter Treffer) werden die Daten gespeichert und gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen eingeleitet.

Beschwer­de­führer wendet sich gegen automatisierte Kennzei­chen­kon­trollen

Der Beschwer­de­führer, der seinen Hauptwohnsitz in Bayern und einen weiteren Wohnsitz in Österreich hat, ist Halter eines auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugs, mit dem er zwischen seinen Wohnsitzen pendelt und auf Bundes­au­to­bahnen in Bayern unterwegs ist. Er befürchtete, in die durch das Gesetz ermöglichten Kennzei­chen­kon­trollen zu geraten, und beantragte deshalb beim Verwal­tungs­gericht, den Freistaat Bayern zu verurteilen, es zu unterlassen, Kennzeichen von seinen Kraftfahrzeugen mit dem Kennzei­chen­le­se­system zu erfassen und mit den polizeilichen Daten abzugleichen. Mittelbar wendete er sich damit gegen die Normen zur Kennzei­chen­kon­trolle selbst.

Vorinstanzen halten Unter­las­sungsklage für zulässig, aber unbegründet

Das Verwal­tungs­gericht und der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof hielten die Unter­las­sungsklage für zulässig, aber unbegründet. Der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof entschied, dass im Fall eines Nichttreffers allerdings schon kein Grund­recht­s­eingriff vorliege, da die Daten unverzüglich und automatisiert gelöscht würden. Es bestehe aber die hinreichende Wahrschein­lichkeit, dass es zu einem unechten Treffer komme, der einen Eingriff in das informationelle Selbst­be­stim­mungsrecht begründe. Dieser Eingriff finde jedoch durch die Vorschriften zur Kennzei­chen­kon­trolle eine verfas­sungs­gemäße gesetzliche Grundlage.

BVerwG: Auch unechte Treffer sind nicht als Grund­recht­s­eingriff zu beurteilen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies die Revision des Beschwer­de­führers zurück. Die Klage sei unbegründet. Wie der Nichttreffer sei auch der unechte Treffer nicht als Grund­recht­s­eingriff zu beurteilen. Bei einem unechten Treffer nehme der Polizeibeamte das Kennzeichen nur wahr, um den unvollkommenen Lesemodus des Systems zu korrigieren, indem er vom Kennzei­chen­le­se­system fehlerhaft als Treffer gemeldete Kennzeichen unverzüglich lösche. Zu einem echten Treffer könne es im Fall des Beschwer­de­führers nicht kommen, da sein Kraft­fahr­zeug­kenn­zeichen in keinem Fahndungs­bestand gespeichert sei. Da das Bundes­ver­wal­tungs­gericht damit einen Eingriff in die Grundrechte des Beschwer­de­führers ausschloss, kam es auf die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der mittelbar angegriffenen Vorschriften nicht an und musste es sie in der Sache nicht prüfen.

Beschwer­de­führer verweist auf Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Der Beschwer­de­führer macht mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde geltend, durch die Entscheidungen in seinem Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Die Gerichte hätten den Umfang des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung verkannt, indem sie in Fällen des Nichttreffers und des unechten Treffers keinen Grund­recht­s­eingriff angenommen hätten. Ein Grund­recht­s­eingriff liege bereits darin, von einer Kennzei­chen­kon­trolle erfasst zu werden. Die diesbezüglichen Rechts­grundlagen seien formell verfas­sungs­widrig, da es sich nicht um Regelungen der Gefahrenabwehr, sondern der Strafverfolgung handle, für die der Bund zuständig sei. Ferner verstießen die Rechts­grundlagen zur Kennzei­chen­kon­trolle gegen die verfas­sungs­recht­lichen Gebote der Bestimmtheit und der Verhält­nis­mä­ßigkeit.

BVerfG bejaht Verstoß gegen Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erklärte die Verfas­sungs­be­schwerde für zulässig, aber nur teilweise begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den einzelnen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Daten­ver­a­r­beitung, aus infor­ma­ti­o­ns­be­zogenen Maßnahmen ergeben. Der Schutzumfang beginnt bereits auf der Stufe der Gefährdung des Persön­lich­keits­rechts. Umfasst sind alle perso­nen­be­zogenen Daten unabhängig davon, ob sie für sich genommen nur einen geringen Infor­ma­ti­o­ns­gehalt haben, sensibel oder öffentlich zugänglich sind. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Daten­ver­a­r­beitung kein schlechthin belangloses perso­nen­be­zogenes Datum.

Grundrechtseingriff

Die Kennzei­chen­kon­trolle greift jeweils durch die Erfassung der Kennzeichen, den Abgleich und die darauffolgende Verwendung der Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung ein. Ein Eingriff liegt auch im Falle eines unechten Treffers und eines Nichttreffers vor. Soweit dem die Entscheidung des Senats vom 11. März 2008 entgegensteht, wird daran nicht festgehalten.

Allerdings fehlt es nach der Rechtsprechung des Senats an einer Eingriffs­qualität, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkennt­ni­s­in­teresse für die Behörden ausgesondert werden. Hieran wird festgehalten. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamt­be­trachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwen­dungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grund­recht­s­eingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist.

Dies ist bei einer Kennzei­chen­kon­trolle jedoch gegenüber allen erfassten Personen der Fall. Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungs­maßnahme erst ihren Sinn. Dem steht nicht entgegen, dass den Betroffenen im Nicht­tref­ferfall weder Unannehm­lich­keiten noch Konsequenzen erwachsen. Denn das ändert nichts daran, dass die Betroffenen überprüft werden, ob sie behördlich gesucht werden und ihre ungehinderte Weiterfahrt unter den Vorbehalt gestellt wird, dass Erkenntnisse gegen sie nicht vorliegen. Eine solche Maßnahme ist nicht erst hinsichtlich ihrer Folgen, sondern als solche freiheits­be­ein­träch­tigend. Zur Freiheit­lichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Recht­schaf­fenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwacht­werdens ausgesetzt zu sein.

Formelle Verfas­sungs­mä­ßigkeit

In formeller Hinsicht sind die angegriffenen Normen überwiegend mit der Verfassung vereinbar. Da die Regelungen der Gefahrenabwehr zuzuordnen sind, liegt die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz bei den Ländern. Insbesondere handelt es sich bei den bayerischen Regelungen zur Kennzei­chen­kon­trolle nicht um Regelungen der Strafverfolgung, für die der Bund eine konkurrierende Gesetz­ge­bungs­kom­petenz hat. Für die Abgrenzung zwischen Regelungen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung kommt es auf eine genaue Bestimmung des Zwecks der Normen an. Die Kennzei­chen­kon­trolle in Bayern ist nur in Fällen erlaubt, in denen eine Identi­täts­fest­stellung zulässig ist und ist dabei auf die Gefahrenabwehr gerichtet. Die Kennzei­chen­kon­trolle dient in Anknüpfung hieran der Abwehr von im Einzelfall auftretenden Gefahren, der Bekämpfung der Herausbildung und Verfestigung gefährlicher Orte, dem Schutz von gefährdeten Orten, der Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen sowie der Bekämpfung grenz­über­schrei­tender Kriminalität oder der Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts mittels der Schlei­er­fahndung. Darüber hinaus liegt es auch in der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz der Länder, die weitere Nutzung der Daten im Wege der Zweckänderung für andere Zwecke zu regeln. Denn hierin liegt noch keine abschließende Entscheidung, sondern nur eine Öffnung, die weitere gesetzliche Regelungen erfordert.

Dem Freistaat Bayern fehlt allerdings die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz, soweit durch einen Verweis auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 des Bayerischen Polizei­auf­ga­ben­ge­setzes (BayPAG) die Kennzei­chen­kon­trolle zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze erlaubt ist. Diese Variante der Vorschrift ist eine Frage des Grenzschutzes, für die gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG ausschließlich der Bund die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz innehat. Der Einsatz der Kennzei­chen­kon­trollen zur Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenz­über­schrei­tenden Kriminalität, wie er nach den beiden anderen Varianten des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG erlaubt ist, unterliegt keinen kompe­tenz­recht­lichen Bedenken, da es sich um Regelungen der Gefahrenabwehr handelt.

Materielle Verfas­sungs­mä­ßigkeit

Im Hinblick auf die materielle Verfas­sungs­mä­ßigkeit ergeben sich Maßgaben zur Regelung von Kennzei­chen­kon­trollen aus dem Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz. Polizeiliche Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen im öffentlichen Raum setzen danach grundsätzlich einen objektiv bestimmten und begrenzten Anlass voraus. Die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein ist mit dem Rechts­s­taats­prinzip grundsätzlich unvereinbar. Der Gesetzgeber hat eine Eingriffs­schwelle vorzugeben, durch die das staatliche Handeln an vorhersehbare und kontrollierbare Voraussetzungen gebunden wird. Dies können einzelne Gefahren, typisierte Gefahrenlagen oder auch Situationen sein, in denen eine spezifisch gesteigerte Wahrschein­lichkeit besteht, gesuchte Personen oder Sachen aufzufinden. Es muss diesbezüglich aber stets ein auf einer hinreichenden Tatsachenbasis beruhender recht­fer­ti­gender Grund vorliegen. Abzugrenzen ist dies von Konstellationen, in denen polizeiliche Kontrollen - anders als hier - an ein gefährliches oder risiko­be­haftetes Tun anknüpfen wie etwa bei Verkehr­s­kon­trollen oder in weiten Bereichen etwa des Umwelt- oder Wirtschafts­ver­wal­tungs­rechts. Dort können auch anlasslose Kontrollen verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt sein.

Kennzei­chen­kon­trollen müssen weiterhin durch einen im Verhältnis zum Grund­recht­s­eingriff hinreichend gewichtigen Rechts­gü­ter­schutz gerechtfertigt sein. Angesichts ihres Eingriffs­ge­wichts müssen automatisierte Kennzei­chen­kon­trollen danach dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen. Hierzu zählen zunächst Leib, Leben und Freiheit der Person und der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Darüber hinaus kommen aber auch Rechtsgüter wie der Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten in Betracht. Der Gesetzgeber kann die Schwelle im einzelnen näher konkretisieren.

Schließlich muss sich die gesetzliche Ausgestaltung der Kennzei­chen­kon­trolle in einer Gesamtabwägung als zumutbar im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung erweisen. Im Übrigen müssen die Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichts­rechtliche Kontrolle erfüllt werden sowie Regelungen zur Datennutzung und -löschung getroffen sein.

Regelung mangelt es an Beschränkung auf Schutz bestimmter Rechtsgüter

Die angegriffenen Vorschriften genügen diesen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht. Soweit das Gesetz die Kennzei­chen­kon­trolle allgemein zur Abwehr einer konkreten Gefahr vorsieht, mangelt es der Regelung an einer Beschränkung auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse. Verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist - sofern die Vorschriften im Lichte der Verfassung ausgelegt und angewendet werden - die Ermächtigung zu Kennzei­chen­kon­trollen an gefährlichen und gefährdeten Orten. Soweit Kennzei­chen­kon­trollen an polizeilichen Kontrollstellen erlaubt werden, ist das verfas­sungs­konform, weil die gesetzliche Regelung zur Einrichtung der Kontrollstelle ihrerseits bei verständiger Auslegung so zu verstehen ist, dass sie eine konkrete Gefahr voraussetzt. Damit fehlt es nicht an einem hinreichend konkreten Anlass. Dieser Anlass hat auch hinreichendes Gewicht. Kontrollstellen dürfen nach der angegriffenen Bestimmung nur zur Verhinderung schwerer Straftaten oder bestimmter versamm­lungs­recht­licher Straftaten eingerichtet werden; es handelt sich folglich um den Schutz von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht. Soweit der Zugang zu einer Versammlung kontrolliert wird, greift die Regelung zwar zusätzlich auch in die Versamm­lungs­freiheit nach Art. 8 GG ein; sie genügt aber auch insoweit den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen.

Automatisierte Kennzei­chen­kon­trolle als Mittel zur Schlei­er­fahndung verfas­sungsgemäß

Die automatisierte Kennzei­chen­kon­trolle ist auch als Mittel der Schlei­er­fahndung grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Zwar handelt es sich um eine Befugnis, die allein final durch eine weit gefasste Zwecksetzung definiert ist und mangels näheren Anlasses in dieser Weite grundsätzlich mit verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht vereinbar ist. Ihre Rechtfertigung ergibt sich hier aber aus den besonderen Bedingungen des Wegfalls der inner­eu­ro­pä­ischen Grenzkontrollen, für die sie zur Gewährleistung von Sicherheit einen Ausgleich darstellt. Erforderlich ist dafür aber eine hieran orientierte konsequente und klare Begrenzung der Zwecke und Orte solcher Kontrollen. Die angegriffenen Vorschriften genügen diesen Anforderungen nicht vollständig. Verfas­sungs­rechtlich unbedenklich ist die Regelung, soweit die Kennzei­chen­kon­trollen in einem Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km oder an öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs durchgeführt werden dürfen. Die Befugnis zu Kontrollen allgemein auf Durch­gangs­straßen im ganzen Land ist demgegenüber nicht hinreichend bestimmt und begrenzt und weist nicht den erforderlichen klaren Grenzbezug auf. Für die Beurteilung der Vorschriften als verhältnismäßig fallen überdies die einschränkenden Maßgaben des Unionsrechts ins Gewicht, denen der Gesetzgeber nach dem Stand der fachge­richt­lichen Rechtsprechung noch Rechnung zu tragen hat.

Gericht beanstandet fehlende Dokumen­ta­ti­o­ns­pflicht

Die angegriffenen Vorschriften genügen ferner im Wesentlichen den Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichts­rechtliche Kontrolle. Verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden ist jedoch, dass das Gesetz keine Pflicht zur Dokumentation der Entschei­dungs­grundlagen für den Einsatz der verdeckt erfolgenden automatisierten Kennzei­chen­kon­trollen vorsieht. Eine Dokumen­ta­ti­o­ns­pflicht befördert die Selbstkontrolle, ermöglicht die Aufsicht durch den Landes­da­ten­schutz­be­auf­tragten und erleichtert die verwal­tungs­ge­richtliche Kontrolle.

Für den Kennzei­che­n­ab­gleich dürfen bei verfas­sungs­kon­former Auslegung nicht alle im Gesetz insgesamt zum Abgleich eröffneten Fahndungs­be­stände herangezogen werden, sondern jeweils nur diejenigen Datensätze, die für den konkreten Zweck der Kennzei­chen­kon­trolle Bedeutung haben können. Bei Zugrundelegung dieser Auslegung sind die angegriffenen Vorschriften zum Datenabgleich verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit genügt die durch die angegriffenen Bestimmungen erfolgte abstrakte Umschreibung der zum Abgleich eröffneten Fahndungs­be­stände verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen.

Regelung genügt im Hinblick auf erlangte Zufall­s­er­kennt­nissen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht vollständig

Soweit das Gesetz eine Verwendung der Daten für weitere Zwecke als denen, die den Anlass der Kontrolle bildeten, erlaubt und damit insbesondere auch die Verwertung von Zufall­s­er­kennt­nissen eröffnet, genügt die Regelung den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht vollständig. Nach verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben ist eine Zweckänderung allerdings grundsätzlich zulässig. Die entsprechenden Daten müssten aber neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Ermitt­lungs­maß­nahmen erhoben werden dürfen. Eine weitere Nutzung ist daher nur zulässig, wenn sie dem Schutz von Rechtsgütern dient, die auch die Durchführung einer Kraft­fahr­zeug­kenn­zei­chen­kon­trolle rechtfertigen könnte. Dies ist bei den bayerischen Regelungen zur weiteren Verwendung der Daten der Kennzei­chen­kon­trolle nicht sichergestellt.

Zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts wurden Kraft­fahr­zeug­kenn­zei­chen­kon­trollen auf Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie auf Art. 38 Abs. 3 BayPAG gestützt. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG und Art. 38 Abs. 3 BayPAG wurden in einem neuen Art. 39 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 bis 3 BayPAG bei geringfügigen redaktionellen Änderungen im Wesentlichen identisch zusammengeführt. Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat sowohl die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts geltenden Normen als auch die Nachfol­ge­re­ge­lungen teilweise für verfas­sungs­widrig erklärt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online (pm)

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